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Interview: IG-Metall-Chefin Benner: „Die Leute brauchen mehr Geld“

Interview

IG-Metall-Chefin Benner: „Die Leute brauchen mehr Geld“

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    IG-Metall-Chefin Christiane Benner versteht die Haltung des VW-Vorstands nicht.
    IG-Metall-Chefin Christiane Benner versteht die Haltung des VW-Vorstands nicht. Foto: Arne Dedert, dpa

    Frau Benner, Sie sind bald ein Jahr Chefin der IG Metall. Bei Ihrer Wahl haben sich viele damit beschäftigt, dass Sie die erste Vorsitzende in der damals 132-jährigen Geschichte der Gewerkschaft sind. Ist das immer noch ein Thema?
    CHRISTIANE BENNER: Nein. Ich bin auf dem Gewerkschaftstag mit 96,4 Prozent gewählt worden. Es gibt auch wirklich genügend andere wichtige Themen in diesem Land. Für mich stehen die Industriepolitik oder die laufende Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie an erster Stelle. Ich will damit aber nicht sagen, dass Frauen insgesamt nicht mehr diskriminiert werden. So haben Frauen nach Informationen des Statistischen Bundesamtes im vergangenen Jahr im Schnitt 18 Prozent weniger als Männer verdient. Und in der Corona-Zeit sind doch wieder mehr Frauen zu Hause geblieben oder haben kürzer gearbeitet. Was die Gleichberechtigung betrifft, ist Deutschland nicht das progressivste Land. 

    Und die VW-Betriebsrats-Vorsitzende Daniela Cavallo sagt, sie sei oft die einzige Frau bei Besprechungen mit Konzern-Managern.
    BENNER: Ich war auch am Montag beim digitalen Auto-Gipfel mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Branchenvertretern die einzige Frau. 

    Wie gewinnt denn die Autoindustrie in Deutschland wieder an Fahrt?
    BENNER: Was die Autoindustrie und die Industrie insgesamt brauchen, ist Planbarkeit. Dazu gehört eine verlässliche und bezahlbare Energieversorgung, also ein staatlich subventionierter Industriestrompreis für energieintensive Unternehmen. Und wir müssen Investitionen stärken, egal ob durch eine Reform der Schuldenbremse oder ein substanzielles Sondervermögen. Auch viele Ökonomen und Industrieverbände fordern staatliche Investitionen.

    Geht das mit der FDP? Finanzminister Lindner will die Schuldenbremse nicht lockern.
    BENNER: Nein, das geht nicht mit der FDP. Lindner glaubt an die Kräfte des freien Marktes und steht auf dem Standpunkt, man dürfe die Industrie nicht subventionieren. Er und andere Liberale sind der Meinung, wenn in Deutschland bestimmte Industrien verschwinden, dann verschwinden sie eben. Das ist meiner Meinung nach Sozialdarwinismus und gefährdet Unternehmen und Arbeitsplätze. Mit ordentlichen Investitionen könnte man auch die erneuerbaren Energien und die Wasserstoff-Infrastruktur weiter ausbauen. Wir müssen irgendwann mal anfangen zu laufen, um zu sehen, wo man hinkommt, wenn man läuft. Wir haben in vielerlei Hinsicht keine Zeit zu verlieren. Schließlich schreitet auch der Klimawandel voran, was sich auch daran zeigt, dass ein Jahrhundert-Hochwasser auf das andere folgt. 

    Was hilft der Autoindustrie noch?
    BENNER: Eine Förderung von Elektromobilität, die langfristig und sinnvoll ist. Aus unserer Sicht sollte man vor allem Menschen mit kleineren Einkommen unterstützen. Ausländische Autobauer, die in Europa fertigen, sollten zur Nutzung lokal gefertigter Komponenten verpflichtet werden, um auch die Zulieferer zu unterstützen. Wir brauchen, auch was den Preis betrifft, mit dem man Elektroautos lädt, Verlässlichkeit, also unterstützte Ladestrompreise. 

    Was ist das denn?
    BENNER: Menschen müssen die Strompreise für ihre E-Autos kalkulieren können. Die großen Preisunterschiede an den Strom-Tankstellen sollten der Vergangenheit angehören. Die Menschen müssen wissen, was es sie kostet, ein E-Auto zu fahren.

    Soll es in der EU beim Aus für Verbrenner-Autos ab 2035 bleiben?
    BENNER: Es geht um Planbarkeit für Milliarden-Investitionen. Es gibt einen Überprüfungszeitpunkt in 2026. Dann schauen wir uns an, ob die Voraussetzungen für den Umbau eingehalten worden sind. Wir müssen den Weg von Verbrenner-Autos hin zu Elektro-Fahrzeugen, ja den ganzen ökologischen Umbau der Wirtschaft sozial flankieren und Beschäftigte für den Wandel qualifizieren, sodass sie auch in neuen Bereichen arbeiten können, etwa in der Batterie-Produktion oder im Recycling. Wir sollten den Menschen Zuversicht geben und sie mitnehmen.

    Doch die Bundesregierung sorgte für Missmut, etwa indem sie die Kaufprämien für E-Autos Ende 2023 überraschend auslaufen ließ. 
    BENNER: Das war ein Fehler. Die Aktion war verrückt: An einem Freitag wurde das Aus für die Prämie verkündet und am Sonntag war sie dann schon ausgelaufen. Ich erinnere mich so gut daran, weil mein Mann und ich damals zufällig an dem Samstag in einem Autohaus waren, weil wir uns überlegten, ein Elektroauto zu kaufen. Der Autoverkäufer war schockiert über das Vorgehen der Bundesregierung. 

    Wie kurbelt die Bundesregierung den E-Autoabsatz wieder an? Soll sie eine Abwrackprämie für die Verschrottung eines Verbrenners beim Kauf eines E-Autos einführen?
    BENNER: Diesen Vorschlag unterstützt die IG Metall nicht. Dadurch würde nur ein Strohfeuer entfacht. Wir sind aber dafür, dass auch für Privatleute wieder die Förderung beim Kauf eines Elektroautos oder Plug-in-Hybrids aufgelegt wird. Der Zuschuss muss allerdings sozial gestaffelt werden und könnte Schritt für Schritt zurückgeführt werden. Und die IG Metall fordert ein soziales Leasing, ähnlich dem französischen Modell. E-Mobilität muss bezahlbar werden. Menschen müssen Lust auf E-Mobilität haben. Menschen mit geringem Einkommen können dort ab Januar E-Autos für 100 Euro und weniger pro Monat leasen.

    Funktioniert das auch in Deutschland?
    BENNER: Eine Zusage aus dem Auto-Gipfel ist, dass die Bundesregierung dieses Modell durchrechnen will. Die Koalition muss durch ein Bündel an Maßnahmen Beschäftigung in der Autoindustrie stabilisieren und Wertschöpfung in Deutschland halten.

    Doch Industrie-Riesen wie ZF und Bosch bauen tausende Arbeitsplätze ab. Industrie-Unternehmen investieren zunehmend im Ausland. VW will Werke schließen. Wackelt der Industrie-Standort Deutschland? 
    BENNER: Ich verstehe nicht, warum VW diesen Konflikt vom Zaun gebrochen hat. Das wirkt auf mich wie eine unkontrollierte Sprengung. Die VW-Verantwortlichen schüren grundlos Angst. Das ist Wasser auf die Mühlen von Populisten mit ihren einfachen Lösungen. Wir werden Werksschließungen bei VW nicht akzeptieren! Und mit uns gibt es auch keine Massenentlassungen! 

    Was verlangen Sie vom VW-Vorstand?
    BENNER: Die von VW gekündigte Beschäftigungssicherung muss wieder in Kraft gesetzt werden. Der Vorstand sollte uns Zukunftskonzepte aufzeigen und coole, neue Automodelle präsentieren. Denn selbst wenn wir jetzt bei VW Kosten einsparen, werden die Elektro-Modelle nicht schlagartig besser und die Menschen kaufen dann auch nicht wie wild den ID.3 von VW. Seit Jahren sagen wir, dass VW auch günstigere E-Autos bauen muss. Dass das ignoriert wird, nicht umgesetzt wurde, ist ein reiner Managementfehler. Den dürfen nicht die Beschäftigten ausbaden. 

    Wie haben die VW-Manager auf die Anregung reagiert, günstigere E-Autos zu bauen?
    BENNER: Die Argumente klingen logisch. Sie verwiesen darauf, dass sie zunächst größere Elektroautos bauen, die höhere Margen abwerfen. Und diese höheren Margen bräuchten sie, um den Wandel hin zur E-Mobilität zu finanzieren. Aber entschuldigen Sie: Volkswagen hat Milliarden-Gewinne erwirtschaftet und konnte sich um die 30 Milliarden Euro an Strafzahlungen als Folge des Diesel-Skandals leisten. Das hat der Konzern weggeatmet. Jetzt fehlen der Marke VW nach Darstellung des Managements fünf Milliarden und es soll drastische Maßnahmen geben. Wer soll denn so was nachvollziehen. Ob es sich um VW oder andere Konzerne handelt: Die IG Metall macht die Abbaufantasien nicht mit. Wir haben ein 11-Punkte-Programm für ein modernes, innovatives und gerechtes Industrieland entwickelt. Dazu zählt auch, dass die Bundesregierung energieintensive Unternehmen mit günstigen Strompreisen entlasten muss.

    Läuft uns nicht die Zeit davon? Einen Industriestrompreis fordert die IG Metall schon lange.
    BENNER: Und wir werden diesen auch weiter einfordern. Das Thema ist viel zu existenziell für unser Land. Es geht um die industrielle Substanz und gut bezahlte Arbeitsplätze. Es ist nicht zu spät für den Industrie-Standort Deutschland. Die Deindustrialisierung ist kein unumkehrbarer Trend. Dazu müssen Arbeitgeber den aktionistischen und hektischen Abbau von Arbeitsplätzen und Standorten stoppen. Stattdessen sollten sie sich überlegen, wie sie ihre Geschäftsprozesse verbessern, indem sie Digitalisierung und Künstliche Intelligenz besser für sich nutzen und die Produktivität steigern. Es gibt reichlich Ideen für neue Geschäftsfelder. Solche Geschäftsmodelle müssen wir industrialisieren und in gut bezahlte Arbeitsplätze umsetzen. 

    Hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die Signale verstanden?
    BENNER: Beim Auto-Gipfel haben wir ihm mitgegeben, dass mit den konkreten Maßnahmen, die jetzt kommen müssen, auch Zuversicht und ein klares Programm verbunden sein muss. Und Kommunikation und Maßnahmen, die zeigen: Wir haben verstanden.

    Die Metall-Arbeitgeber und die IG Metall könnten hier an einem Strang ziehen, schließlich haben beide Tarifpartner im April eine gemeinsame Erklärung zur Stärkung des Industriestandortes Deutschland verabschiedet.
    BENNER: Die Basis zwischen IG Metall und den Metall-Arbeitgebern ist da. Wir sind uns einig, dass wir eine gemeinsame Verantwortung für den Industriestandort haben. Und wir haben gute Chancen, zu zeigen, dass wir zusammen etwas für den Standort erreichen können.

    Schaffen Sie es auch in der Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie, mit den Arbeitgebern zügig und ohne große Konflikte einen Lohn-Kompromiss zu finden? Die IG Metall fordert 7,0 Prozent mehr Lohn.
    BENNER: Die Stimmung unserer Belegschaften ist kämpferisch. Die Leute brauchen mehr Geld. Die Tiger wollen aus den Käfigen!

    Also wollen sich Beschäftigte an Warnstreiks beteiligen, wenn nach Ende der Friedenspflicht ab 29. Oktober Arbeitsniederlegungen möglich sind. 
    BENNER: Ich schließe Warnstreiks nicht aus, aber wir wollen zügig verhandeln. Schon bei der ersten Tarifrunde haben allein in München rund 5000 IG-Metallerinnen und -Metaller demonstriert. Das ist eine schöne Form von Demokratie. Menschen sind bereit, für ihre Lohn-Forderungen vor die Werkstore zu gehen, sich gemeinsam zu engagieren, ihre Stimme hören zu lassen.

    Doch die Metall-Industrie steckt in der Rezession fest. Und es gibt keine Aussicht auf Besserung.
    BENNER: Wir hatten erwartet, dass sich die Konjunktur im Herbst etwas erholt. Und jetzt schwächelt der Konsum als Stütze der Konjunktur. Die Sparquote ist hoch. Die Leute halten das Geld eben zusammen. Das zeigt, wie verunsichert viele Menschen sind. Mehr Lohn ist wichtig für die Beschäftigten, um für sie mehr Planungssicherheit zu schaffen. Denn dadurch würde der Konsum wieder angekurbelt. Wir müssen die Binnennachfrage stärken.

    Die Inflation ist zuletzt aber auf verträgliche 1,9 Prozent gesunken. Bricht das zentrale Kaufkraft-Argument der IG Metall damit in sich zusammen?
    BENNER: Nein, denn das Preis-Niveau bleibt hoch. Das zeigen die Mieten und Lebensmittelpreise deutlich. Das merkt jeder. Gefühlt kostet alles ein Drittel mehr. Teilweise auch real. Und es gibt keine Inflations-Ausgleichsprämie mehr. Am deutlichsten trifft das hohe Preis-Niveau Menschen mit geringem Einkommen wie Auszubildende. Deshalb fordern wir 170 Euro im Monat mehr für sie. Schließlich sieht sich ein Drittel dieser jungen Frauen und Männer gezwungen, einen Neben-Job anzunehmen, um Miete, Essen und Sprit bezahlen zu können. Diese 170 Euro wären ein Attraktivitäts-Turbo für eine Ausbildung in der Metall- und Elektroindustrie. Da muss in der Tarifrunde richtig was rumkommen. 

    Erwarten Sie, dass die Arbeitgeber bei den zweiten Tarifverhandlungsrunden in den Bezirken Mitte Oktober der IG Metall ein Angebot vorlegen?
    BENNER: In der letzten Tarifrunde haben die Arbeitgeber rund eineinhalb Monate kein Angebot vorgelegt. Wenn sie das wieder machen, haben wir allesamt ein Problem. Wir erwarten, dass zur zweiten Tarifrunde Mitte Oktober ein verhandlungsfähiges Angebot vorliegt. Wenn die Arbeitgeber daran interessiert sind, gut und schnell durch die Verhandlungstüre zu kommen, benötigen wir ein Angebot.

    Der Verhandlungsführer der Metall-Arbeitgeber im Südwesten, Harald Marquardt, hält nichts von 7,0 Prozent und hat eine Nullrunde angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage gefordert. Wie stark fühlen Sie sich provoziert?
    BENNER (LÄCHELT): Wir haben null Bock auf null. Der Vorschlag von Herrn Marquardt ist respektlos und unangemessen. So geht man nicht mit Beschäftigten um, die ranklotzen. Die Metall- und Elektroindustrie hat viele fette Jahre hinter sich. Das wissen auch die Arbeitgeber, Gesamtmetall-Präsident Wolf sieht auch die Bedürfnisse der Beschäftigten.

    Dann müssten Sie nur noch die ausgestreckte Hand von Herrn Wolf ergreifen. Ist ein schneller Abschluss ohne Streiks möglich?
    BENNER: Dann müssten uns die Arbeitgeber schon ein wirklich gutes Angebot vorlegen. Ich freue mich jedenfalls über die ausgestreckte Hand von Herrn Wolf. Wir können jetzt zusammen eine Lösung finden. Doch viele Probleme, die es in Deutschland gibt, lassen sich nicht in dieser Tarifrunde lösen, ob es um die überbordende Bürokratie, zu lange Genehmigungsverfahren, zu hohe Energiepreise oder um Probleme mit der Infrastruktur geht. Wir können in der Tarifrunde nicht den Standort Deutschland retten. Wir können aber die Kaufkraft stärken und damit die konjunkturelle Lage verbessern. 

    Die Arbeitgeber warnen indes nachdrücklich vor den Folgen eines zu hohen Lohnabschlusses. So würden noch mehr Investitionen ins Ausland verlagert.
    BENNER: Diese Untergangs-Szenarien entbehren jeder Grundlage. Ganz im Gegenteil. Mit mehr Geld für den Konsum stärken wir die Kaufkraft und damit die Wirtschaft. 

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