Herr Feiger, die Konjunktur lahmt, die Bauwirtschaft wird als einer der Hauptbetroffenen genannt. Wie ist die Lage wirklich?
Robert Feiger: Die Lage ist nicht so schlecht, wie sie in der Öffentlichkeit häufig diskutiert wird. Die Baukonjunktur ist aber zweigeteilt. Auf der einen Seite läuft der Tiefbau sehr ordentlich. Hier spüren wir, dass die öffentliche Hand in Verkehrswege, Autobahnen oder Brücken investiert. Auf der anderen Seite haben wir in der Tat erhebliche Rückgänge und Probleme im Bereich des Wohnungsbaus. Die Pläne der Regierung von 400.000 neuen Wohnungen im Jahr - davon 100.000 Sozialwohnungen – werden weit verfehlt.
Wie viele fertiggestellte Wohnungen erwarten Sie dieses Jahr?
Feiger: Nach jüngsten Berechnungen des Pestel-Institutes werden wir bei etwa 255.000 Wohnungen am Jahresende landen.
Wo liegen die Ursachen, dass die Ziele nach wie vor verfehlt werden?
Feiger: Es gibt mehrere Gründe. Seit Herbst 2022 – ein halbes Jahr nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine – haben wir massive Preissteigerungen für Energie und Rohstoffe. Durch die Inflation kam es zudem zu einer Vervierfachung der Zinsen. Das trifft den Bau sehr stark, wo die Fremdfinanzierung durch Banken verbreitet ist. Viele genehmigte Bauprojekte sind durch die höheren Finanzierungskosten in den Schubladen liegengeblieben.
Und dort liegen die Pläne immer noch?
Feiger: Im Wohnungsbau werden noch immer viele Pläne nicht aus in den Schubladen genommen. Insbesondere ist das bei Ein- und Zweifamilienhäusern der Fall. Der klassische Häuslebauer wartet ab, wie sich die Zinsen entwickeln. Bei Einfamilienhäusern hatten wir im ersten Halbjahr einen Rückgang der Baugenehmigungen von 31 Prozent, bei Zweifamilienhäusern von rund 15 Prozent und bei Mehrfamilienhäusern von 21 Prozent. Alles, was nicht beantragt und genehmigt ist, wird auch nicht gebaut werden. Unsere kurzfristige Prognose für den Wohnungsbau ist deshalb eine Stagnation auf niedrigem Niveau. Wir machen uns große Sorgen.
Sind inzwischen schon Stellen auf dem Bau bedroht?
Feiger: Bisher verhalten sich die Baufirmen vernünftig und wirtschaftlich klug. Sie versuchen ihr Personal zu halten und hoffen, dass die Baukonjunktur auch bei den Wohnungen wieder anzieht. Trotz allem ist in der Bauwirtschaft ein Fachkräftemangel vorhanden. 2023 sind rund 290.000 Wohnungen gebaut worden, etwas weniger als 2022. Wenn wir die 400.000 Wohnungen schaffen wollen, müssen wir erheblich Kapazitäten aufbauen und Leute einstellen. Die Bauunternehmen und die Beschäftigten stehen bereit.
Wie lange hält der Bau die Durststrecke durch?
Feiger: Es müssen bald deutlich neue Aufträge nachkommen. Noch kann der aus guten Zeiten sehr ordentliche Auftragsbestand abgearbeitet werden und die Beschäftigungssituation ist vernünftig. Die Bauzeit beträgt meist 18 bis 24 Monate, dann müssen neue Projekte folgen.
Was muss passieren, um den Wohnungsbau wieder anzukurbeln?
Feiger: Wenn das Ziel 400.000 Wohnungen im Jahr sind, muss man ganz klassisch Geld in die Hand nehmen. Wir brauchen ein Konjunkturprogramm „Wohnen“. Bund und Länder müssen dafür 20 Milliarden Euro pro Jahr bereitstellen. Vom Bund müssten dabei rund 17 Milliarden Euro kommen, das sind 13,5 Milliarden Euro mehr als er für das kommende Jahr bereitstellen will. Der soziale Wohnungsbau braucht genauso Förderung wie der Ein- und Zweifamilienhausbau. Ich weiß, für die Koalition ist es ein ganz dickes Brett, angesichts der Haushaltsdiskussion mehr Mittel für den sozialen Wohnungsbau bereitzustellen. Die Debatten rund um das Heizungsgesetz haben Häuslebauer zusätzlich verunsichert, bei den Fördergeldern brauchen wir mehr Verlässlichkeit.
Wie sähe eine gute Förderung für den Wohnungsbau aus?
Feiger: Der klassische mehrgeschossige Wohnungsbau kann durch direkte Zuschüsse und steuerliche Anreize gefördert werden. Wir brauchen eine klassische Förderung von kommunalen Wohnungsbaugesellschaften, die gemeinnützig tätig sind. Daneben gibt es Menschen, die nicht für eine Sozialwohnung infrage kommen, sondern genug verdienen, um sich selbst eine Wohnung kaufen zu können. Damit für sie der Kauf bezahlbar und attraktiver ist, muss man ihnen steuerlich entgegenkommen.
Wie sieht es bei Einfamilienhäusern aus?
Feiger: Der klassische Häuslebauer muss die Sicherheit haben, dass er in einer bestimmten Größenordnung über die staatliche KfW-Bank einen günstigen Kredit bekommt. Er braucht auch die Sicherheit, mit welchen Zuschüssen er rechnen kann, wenn er bestimmte energetische Standards erfüllt, die dem Klimaschutz dienen. Man muss auch überlegen, ob es nötig ist, bei den Gebäudestandards immer hundert Prozent des technisch Machbaren erfüllen zu müssen, um gefördert zu werden. Die letzten zehn Prozent an Energieeinsparung durch noch höhere Standards verursachen im Schnitt dreißig Prozent mehr Kosten. Man muss sich fragen, ob dieser Schritt noch sinnvoll ist, schließlich haben wir im Neubaubereich schon ein vernünftiges energetisches Niveau erreicht. Den höchsten Standard können sich nur noch die wenigsten leisten.
War es ein Fehler, die Neubauförderung an einen KfW-40-Standard zu koppeln, bei dem ein Haus nur noch 40 Prozent eines Durchschnitthauses an Energie verbraucht?
Feiger: Vom Ziel her gesehen nicht unbedingt ein Fehler, aber der extrem hohe Standard hat auch einen Nachteil. Man muss in der Masse und in der Fläche bei der Energieeinsparung weiterkommen, nicht nur bei wenigen Gebäuden, die zwar bestens gedämmt sind, von denen es dann aber wenige gibt. Der KfW-Standard 55, bei dem ein Haus nur noch 55 Prozent der Energie eines Durchschnittshauses verbraucht, war doch schon sehr gut. Den Standard auf 40 zu verbessern, ist technisch extrem aufwendig und kostentreibend. Es hilft nicht nur die Exzellenzförderung, auch die breite Masse muss die Chance haben, ein bezahlbares Dach über dem Kopf zu haben.
Die Zinsen könnten bald wieder sinken. Springt dann die Baukonjunktur automatisch wieder an?
Feiger: Viele bereits genehmigte Bauprojekte würden bei einem Zins von zwei bis zweieinhalb Prozent zügig anlaufen. Diesen Bereich werden wir durch die Leitzinssenkungen der EZB in den nächsten zwei, drei Jahren erreichen. Diese Zeit muss jetzt überbrückt werden. Die Bauwirtschaft kann eine Konjunkturlokomotive sein. Ein Euro Bauinvestitionen führt zu sechs bis sieben Euro an weiteren Investitionen.
Manchmal scheint es, als habe sich die Politik bereits damit abgefunden, dass das Ziel der 400.000 Wohnungen nicht erreicht wird. Enttäuscht Sie dies?
Feiger: Mich enttäuscht es, weil dies ein großes sozialpolitisches Problem ist. Uns fehlen 540.000 Wohnungen in Deutschland. Die Wohnungsnot ist der größte soziale Sprengstoff, der in den nächsten Jahren in den Ballungszentren vorhanden sein wird. Und die politische Situation ist bereits heute angespannt. Wenn eine Familie mit zwei Einkommen und zwei Kindern in der Stadt keine Chance hat, sich eine Wohnung leisten zu können, wird dies zu noch mehr Unzufriedenheit führen. Davor warnen wir.
Eine eigene Immobilie ist schlicht zu teuer geworden…
Feiger: Eine Wohnung ist häufig für normale Einkommen nicht mehr finanzierbar. Für Facharbeiter ist es äußert schwer, sich eine Wohnung leisten zu können. Wohnen muss aber jeder.
Es soll sich also auch der Maurer eine Wohnung leisten können.
Feiger: Ein Bauarbeiter soll in dem Haus oder der Wohnung, die er baut, auch selbst wohnen können – und zwar so, dass es noch bezahlbar ist.
Zur Person
Robert Feiger, 61, ist seit 2013 Bundesvorsitzender der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt. Der gebürtige Augsburger ist ausgebildeter Industriekaufmann.
Die Bundesregierung muss allerdings sparen. Ist es realistisch, hier Geld für eine noch stärkere Wohnbauförderung zu erwarten? Was tun?
Feiger: Die Bundesregierung kämpft sicherlich mit schwierigen Rahmenbedingungen durch Inflation, Krieg und Energiepreiskrise. Wenn man das große soziale Problem der Wohnungsnot aber lösen will, muss man es innerhalb der heutigen Rahmenbedingungen schaffen. Dies geht nur – und das ist eine klare Kritik an Finanzminister Christian Lindner – wenn man das Geld dafür in die Hand nimmt. Hier kann man nicht nur immer die Schuldenbremse propagieren. In der Philosophie der FDP regelt alles der Markt. Er regelt, ja, aber nicht bezahlbar. Wir haben vorgeschlagen, dass außerhalb des Haushalts ein Budget für den sozialen Wohnungsbau eingerichtet wird – eine Art Sondervermögen wie bei der Bundeswehr.
Um das Bauen anzukurbeln, will die Bundesregierung die Wohngemeinnützigkeit fördern. Hilft das?
Feiger: Ja, ich begrüße das. Das Programm hilft, dass gemeinnützige kommunale und staatliche Wohnbaugesellschaften in eine bessere wirtschaftliche Position kommen. Mit sozialem Wohnungsbau kann so eine gewisse Rendite erwirtschaftet werden, die in neue Projekte fließt.
Ein anderer Ansatz ist der Gebäudetyp E, bei dem weniger Auflagen eingehalten werden müssen. Ein richtiger Schritt?
Feiger: E wie „einfach“. Der Gebäudetyp E hat das Potential, die Baukosten zu reduzieren. Energetische Standards oder die Zahl der Steckdosen sind dann nicht auf Top-Niveau. Ich halte dies für richtig, um relativ günstig Wohnraum schaffen zu können. Und man muss keine Angst haben, dass es bei Brandschutz oder Deckenstärken weniger Sicherheit gibt.
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