Was Medien leisten müssen
Mit Deutschland sind die Verhältnisse in Großbritannien nicht vergleichbar. Trotzdem gibt es eine britische Lektion - auch für deutsche Journalisten.
Der britische Medienskandal zieht über die Landesgrenzen hinaus die ganze Branche, den ganzen Berufsstand des Journalisten in Mitleidenschaft.
Doch mit Deutschland sind die Verhältnisse in Großbritannien nicht vergleichbar. In anschaulicher Übertreibung sagte jemand dieser Tage, sogar Bild sei im Vergleich zu den britischen Revolverblättern so brav wie eine Kirchenzeitung. Die Boulevardpresse in London dagegen ist rabiat und rücksichtslos; sie ist in der Recherche zu großer Brutalität bereit und in der Darstellung zu kaltem Zynismus und frecher Lüge. Mit Journalismus hat das nichts zu tun; es ist ein Geschäft mit den primitivsten der menschlichen Emotionen: Sensationslust, Schadenfreude, Neid, Hass, Gier. Und man steht etwas ratlos vor der Tatsache, dass in Großbritannien bis in gebildete Kreise hinein die Lektüre der schlimmsten Boulevardzeitungen zum Lebensstil gehört.
Deutschland also, das Land des seriösen, vom Verkaufsdruck unabhängigen Journalismus? Schön wär’s. Nein, man muss vorsichtig sein, wenn man jetzt mit dem Finger auf andere zeigt. Im deutschen Journalismus ist nun wirklich nicht alles Gold, was glänzt. Das meiste glänzt auch gar nicht.
Selbst wenn man von den großen Skandalen, die es auch hier gab (Hitler-Tagebücher, Beobachtung von Prominenten durch Privatdetektive), einmal absieht, leidet der deutsche Journalismus oft an mangelnder Genauigkeit und Ausgewogenheit, an einem klischeehaften Blick auf die Dinge, an der leichtfertigen Übernahme vorgegebener Urteile. Viele durchschauen das.
Deshalb hat die Politikverdrossenheit längst eine Zwillingsschwester. Sie heißt Medienverdrossenheit. Viele Menschen haben nicht nur das Vertrauen in die Politik, sondern auch in die Medien verloren. Sie haben das Gefühl, dass ihnen nicht die Wahrheit gesagt wird, dass die Medien übermächtig sind und jeden mundtot machen, der sich nicht in den etablierten Meinungsstrom fügt. Sie haben das Gefühl, dass die Medien Helden konstruieren, um sie dann vom Sockel zu stoßen, dass sie Stars und Sternchen hoch- und runterschreiben, dass Politik nicht im Parlament, sondern in Talkshows und Interviews stattfindet. Kann man es den Menschen verdenken, dass sie das so empfinden? Mindestens ein Teil dieser Frustration ist gut verständlich.
Allerdings gibt es auf der anderen Seite gerade in Deutschland ein differenziertes Medienangebot. Man muss die Volksverdummung im Trash-TV genauso wenig mitmachen wie die Verblödung durch Boulevardschlagzeilen. Man findet die seriöse Information.
Damit das so bleibt, müssen Journalisten aber das Vertrauen ihrer Leser oder Zuschauer immer neu verdienen. Sie müssen sich selbst und ihren Grundsätzen treu bleiben – auch unter wachsendem Wettbewerbsdruck und unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen. Das ist die britische Lektion – auch für deutsche Journalisten.
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