Was der Fall Mollath lehrt
Justizministerin Merk hat zu spät eingegriffen, sich zu lange hinter dem Justizapparat verschanzt und den Eindruck erweckt, als ob sie das Schicksal Mollaths kalt lasse.
Wer übernimmt eigentlich die Verantwortung für das Leid, das Gustl Mollath zugefügt worden ist? Wer von den Richtern und Gutachtern steht gerade für die Fehler und Schlampereien, die passiert sind? Und, vor allem: Was lernt die Politik aus dem Unglück dieses Mannes, der sieben lange Jahre hinter den Gittern einer psychiatrischen Anstalt zubringen musste? Das sind die drängendsten Fragen, die spätestens nach dem Ende des Mollath endlich zugestandenen neuen Prozesses beantwortet werden müssen. Das Vertrauen in die Justiz hat arg gelitten. Dieser Ansehensschaden ist nur zu reparieren, wenn Lehren aus dem Fall gezogen und jene Gesetze verändert werden, die die zwangsweise Unterbringung von Menschen in Psychiatrien regeln.
Gustl Mollath ist wieder ein freier Mann, weil das Oberlandesgericht Nürnberg dem Landgericht in Regensburg eine Lektion in Fairness und rechtsstaatlichem Denken erteilt hat. Im neuen Verfahren wird vor allem zu klären sein, wie es um die angebliche „Gemeingefährlichkeit“ Mollaths wirklich bestellt ist. Er ist gewiss kein bloßes unschuldiges Opfer staatlicher Willkür, er ist auch durch eigenes Zutun in diese furchtbare Lage geraten. Zudem haben sich im Untersuchungsausschuss des Landtags keine Beweise dafür gefunden, dass seine 2006 als „wahnhaft“ eingestuften Behauptungen über ein Komplott seiner Ex-Frau, der Justiz und einer in fragwürdige Geldgeschäfte verwickelten Bank zutreffen. Was für den Augenblick zählt, ist, dass der Fall endlich neu aufgerollt wird. So besehen haben sich die Kontrollmechanismen des Rechtsstaats doch noch bewährt.
Besorgniserregend ist und bleibt, dass es so lange gedauert hat und dass sich die Justiz sehr schwertut, eigene Fehler zu korrigieren. Ohne den öffentlichen Druck wäre Mollath womöglich bis ans Ende seiner Tage eingesessen. Man fragt sich, wie es anderen, unbekannten „Patienten“ ergeht und wie viele „Mollaths“ in Kliniken eingesperrt sind. Die Empörung über diesen Skandal speist sich ja nicht nur aus dem Gefühl vieler Bürger, hier sei ein unangenehmer Mann einfach weggeräumt worden. Darin steckt auch das Unbehagen daran, wie rasch jemand in der Psychiatrie landen kann und wie schwer es sein kann, wieder rauszukommen.
Bei der notwendigen Reform der Zwangsunterbringung geht es also auch darum, dieses Misstrauen der Bevölkerung auszuräumen. Vonnöten ist ein Gesetz, das die ständige Überprüfung von Urteilen, die regelmäßige Einschaltung von Gutachtern und die rasche Korrektur von Fehlentscheidungen ermöglicht. Dies und die Beschränkung der Einweisung auf gravierende Fälle bietet am ehesten die Gewähr dafür, dass Menschen nicht „auf Gedeih oder Verderb“ (Mollath) einem seelenlos wirkenden System ausgeliefert sind.
Die CSU ist nach der Freilassung Mollaths ein brisantes Wahlkampfthema los. Für die Justizministerin Merk ist die Sache nicht ausgestanden. Ja, es stimmt: Gerichte sind unabhängig, sie tanzen nicht nach der Pfeife des Ministeriums. Doch Merk ist naturgemäß die erste Adresse, wenn es um die Übernahme politischer Verantwortung geht. Sie hat zu spät eingegriffen, sich zu lange hinter dem Justizapparat verschanzt und den Eindruck erweckt, als ob sie das Schicksal Mollaths kalt lasse. Das war ein Fehler, der weniger mit handwerklicher Schwäche als mit einem Mangel an Fingerspitzengefühl und Instinkt für Stimmungen zu tun hat. Dass die Opposition ihren Rücktritt fordert – nun ja, es ist Wahlkampf. Schwerer wiegt, dass Merks Ansehen beschädigt ist. Es wäre daher keine Überraschung, wenn sie nach einem Wahlsieg nicht in ihr Ministerium zurückkehrte.
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