
"Digitalisierungswahn" an bayerischen Schulen?

Die CSU verspricht Tablets für alle Schüler. Der Augsburger Schulpädagoge Klaus Zierer nennt das "unsinnig" und fürchtet politischen Aktionismus.
Bayerns Schulen bei der Digitalisierung voranzubringen, ist eins der großen Ziele der amtierenden Staatsregierung. Die CSU plant, bis 2028 alle Schülerinnen und Schüler mit einem Tablet für den Unterricht auszustatten. So steht es im Wahlprogramm für die Landtagswahl 2023. Wie die Geräte eingesetzt und Lehrkräfte dafür geschult werden sollen, steht nicht darin. Der Augsburger Schulpädagogik-Professor Klaus Zierer warnt nun vor einem "Digitalisierungswahn" an bayerischen Schulen und fürchtet "politischen Aktionismus". Es sei "unsinnig", einfach allen Schülern ein Tablet zu geben, sagte Zierer unserer Redaktion. Digitale Medien müssten vielmehr immer altersgemäß, zielgerichtet und auf der Grundlage von Forschungsergebnissen eingesetzt werden. Und vor allem betont er: Technik löse nie das dramatischste Problem in den Klassenzimmern – den Lehrermangel.

An Bayerns staatlichen Schulen lernten zuletzt rund 1,3 Millionen Kinder und Jugendliche. Mehr als 400.000 Schüler-Endgeräte sind nach Angaben des Kultusministeriums jetzt schon im Umlauf – insbesondere an bislang 250 Schulen im Modellversuch "Digitale Schule der Zukunft". Die Eltern kaufen dabei die Geräte und erhalten vom Staat eine Förderung über 300 Euro. Bayerns Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) war im April davon ausgegangen, dass die flächendeckende Digital-Ausstattung allein an weiterführenden Schulen den Staat jährlich 150 Millionen Euro kosten wird.
Digitalministerin will digitale Geräte schon für die Kleinsten
Schulpädagoge Zierer kritisiert vor allem den Einsatz digitaler Technik an Grundschulen. Er unterfüttert seine Kritik mit einer Studie der Technischen Universität Dortmund. Sie analysierte Wortschatz und Leseverhalten von mehr als 4600 Viertklässlern in Deutschland. "Die Ergebnisse zeigen, dass Kinder, die selten Bücher lesen und häufig an digitalen Geräten, den höchsten Förderbedarf hinsichtlich ihres Wortschatzes aufweisen", resümieren die Forschenden. In der Grundschule, so Zierer, gehe es in erster Linie darum, Lesen, Rechnen und Schreiben zu lernen. "Wir wissen aus zahlreichen Studien, dass dies mit analogen Mitteln, also mit Stift, Papier und gedrucktem Buch, wesentlich besser gelingt als mit digitalen Medien."
Eine Mehrheit der Deutschen steht dem digitalen Unterricht positiv gegenüber. Im Bildungsbarometer des Münchner ifo-Instituts sind 65 Prozent der Bürger dafür, Lernende mit einem eigenen Computer auszustatten – zumindest an weiterführenden Schulen. Judith Gerlach, Bayerns Staatsministerin für Digitales, hält den Umgang mit Tablets und Apps schon an der Grundschule für unerlässlich. "Digitalisierung gehört heute zur Lebensrealität unserer Kinder", sagte die CSU-Politikerin unserer Redaktion. "Digitalkompetenz ist für sie Alltagskompetenz. Darauf muss sich auch der Schulunterricht einstellen, schon bei den ganz Kleinen." Mit dem Einsatz digitaler Geräte und einer altersgerechten Aufklärung über die Vorteile und Risiken von Internet und Co. bereite man Schülerinnen und Schüler auf die Zukunft vor.

Gerlach betonte auch, dass die Nutzung etwa von Tablets, Apps und E-Books an den Schulen medienpädagogisch und wissenschaftlich begleitet wird. Demnach analysiert die Universität Würzburg beispielhaft digitalen Unterricht an weiterführenden Schulen im Kreis Aschaffenburg. "Erste Zwischenergebnisse zeigen, dass der Tablet-Einsatz unter anderem die Zusammenarbeit mit den Klassenkameraden stärkt", sagte Gerlach. Lehrkräfte würden die Geräte zu 95 Prozent im Unterricht einsetzen. "Mehr als die Hälfte sogar in jeder einzelnen Unterrichtsstunde."
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Wann lernt man in der Politik endlich, dass die IT ein sehr nützliches und effizientes Hilfsmittel sein kann! Hilfsmittel und nicht Allheilmittel. Und IT kann nur richtig und effizient angewandt werden, wenn man sie versteht und damit umgehen kann. Aber man darf auch nicht und niemals alle anderen Kenntnisse, Fertigkeiten in unserer "alten" Welt vergessen. Auch diese gehören gelehrt und erlernt. Und solche Technik wie Tablets gehören nicht in kleine Kinderhände! Man kann und wird sie langsam heranführen, was Sinn macht, aber dabei nicht zu vergessen alle anderen bisherigen manuellen Tätigkeiten!
Da werden die Optiker sich schon die Hände reiben. Besser wäre ein zweiter Büchersatz! Und wenn schon digital sein muss, dann bitte auch die Bücher! Unglaublich, was die Kleinen schleppen müssen!
An der Schule, an der ich unterrichte, sind die Bücher soweit möglich auch digital auf dem Tablet. Das ist eine gute Ergänzung, aber in unserer Erfahrung hat sich die Kombination aus Digital und analog sehr bewährt.
Einfach nur alles unter Strom zu setzen, ist kein Qualitätsmerkmal.
@Jonas D.: ich habe mehrere Jahrzehnte in der IT gearbeitet und würde mich schon als digital-affin bezeichnen. Neben einigen Vorteilen, die ein Tablet, ganz allgemein: ein Computer, bringt, befürchte ich doch, daß wichtige Fertigkeiten fürs spätere Leben evtl. verkümmern oder nicht ausreiche4rnd geschult werden, wie z.B. Texte handschriftlich verfassen, Rechnen auf Blatt und Papier, eine Schrift/ein Buch lesen und einiges mehr. Ich glaube, Sie wissen worauf ich hinaus will.
Zweitens: Digital = Technik => und die ist bei "Computern" manchmal nicht trivial. Wer hilft wenn das Tablet nicht mehr startet (kryptische Fehlermeldung) oder oder?