Inwieweit sind private Schulen flexibler, was den Lehrplan, Lehrinhalte und die Gestaltung des Unterrichts angeht?
PETER KOSAK: Privatschulen sind freier als staatliche Schulen. Das ist im Grundgesetz verankert. Manche Privatschulen nutzen das, manche verstehen sich eher als eine Art parallele staatliche Schule. Wir als Schulwerk haben immer schon auf unsere Privatschulfreiheit gesetzt und gerade im Bereich Schulentwicklung und Innovationen die Freiheiten so weit gedehnt, wie es geht.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
KOSAK: Das sieht man an unserer Bischof-Ulrich-Realschule. Als der ehemalige Träger 2020 die Schule aufgegeben hat, haben wir sie übernommen. Zum neuen Schuljahr werden wir dort komplett auf selbstorganisiertes Lernen setzen. Es gibt keine Klassenräume mehr, es gibt keinen Unterricht im herkömmlichen Sinne mehr. Ein anderes Beispiel dafür ist unser Afra-Konzept für unsere Realschulen. Dass wir dabei vernetzt unterrichten und die vier Fächer Religion, Biologie, Geografie und Geschichte zusammenfassen, wäre im staatlichen Bereich so nicht möglich.
Auf der Website des Schulwerks steht, dass die erzieherische Tradition der Orden gewahrt werden soll. Was bedeutet das konkret für den Schulalltag?
KOSAK: Wir haben Ordensschulen, die von Schwestern und Brüdern gegründet worden sind, an denen aber seit mehreren Jahren keine Ordensangehörigen mehr tätig sind. Wie können wir diese Tradition wahren? Das ist eine große Aufgabe. Und wir werden das auch als Laien nicht in dem gleichen Maße hinbekommen. Aber uns muss klar sein, dass unser Leitbild christlich-katholisch ist. Das können auch Laien umsetzen. Viele Menschen wissen, dass wir aus einer reichen Tradition kommen und sie weiter am Leben halten. Ich denke da an die globalen Spendenaktionen unserer Schulen für Menschen in Not, die ganz häufig den jeweiligen Ordensniederlassungen in der Welt zugutekommen. Diese Solidarität verbindet uns mit der Vergangenheit und ermöglicht Zukunft. Wir müssen das so weitergeben, dass diese Quelle nicht versiegt. Darum geht es bei uns. In dem Moment, in dem wir uns als blankes Abziehbild der staatlichen Schule verstehen, braucht es uns nicht mehr.
Ist das eine Wert- und Haltungsfrage oder äußert es sich auch konkret im Umgang mit Schülerinnen und Schülern?
KOSAK: Natürlich kann auch jemand, der nicht christlich-katholisch gefärbt ist, eine gute Haltung gegenüber Schülerinnen und Schülern haben. Ich glaube aber doch, dass es für jemanden, der aus dem Glauben heraus handelt, leicht ist, mit Kindern umzugehen. Erbarmen, Verzeihen, das ist das tägliche Geschäft von Lehrern. Man muss Kinder mögen, sonst klappt das nicht. Und dazu ist eine christliche Grundhaltung förderlich.

Was leisten die privaten Schulen des Schulwerks, was eine öffentliche Schule so nicht leisten kann?
KOSAK: Wir können Glauben zu einem Inhalt unserer täglichen Praxis machen. Das kann eine staatliche Schule bei der Vielfalt von Personen, mit denen sie zu tun hat, so nicht machen. Viele sagen: Das ist eindimensional, ihr versperrt euch der Vielfalt. Das glaube ich nicht. Wir haben evangelische Schüler, wir haben muslimische Schüler, wir haben bekenntnislose Schüler, wir haben die ganze Vielfalt, aber wir wollen trotzdem auf der gemeinsamen Basis des Christentums stehen. Das schätzen Eltern sehr wohl, dass wir da konsequent sind und das einfordern. Das ist nichts Exklusives und Ausschließendes. Das ist ein Angebot und eine Einladung.
Eine Privatschule darf sich ein Stück weit aussuchen, welche Schüler kommen, gerade wenn man mehr Interesse hat als man vielleicht Plätze zu vergeben hat. Wie wählt man da aus?
KOSAK: Bei den Grundschulen ist es so, dass wir vom Staat auferlegt bekommen, wie viele katholische Schülerinnen und Schüler wir nehmen müssen. Da müssen 70 Prozent katholisch sein. In den Grund- und Mittelschulen haben Sie damit eigentlich keine Wahl. Bei den Realschulen und Gymnasien sind wir frei. Aber nachdem wir ein katholisches Schulwerk sind und in nicht unerheblichem Anteil von Zuschüssen der Diözese leben, ist es auch klar, dass Katholiken, die sich bei uns bewerben, einen gewissen Vorteil haben. Aber nur weil jemand katholisch ist, heißt das nicht automatisch, dass er genommen ist. Wenn sich jemand bewusst für eine katholische Grundschule entschieden hat oder kirchlich oder sozial engagiert ist, ist das ein wichtiges Kriterium. Oft sagt man zu uns: Ihr seid elitär, ihr nehmt nur die mit Notenschnitt 1,0. Das ist einfach nicht wahr.

Man kann aber sagen, dass die Schulwerksschulen zumindest in manchen Bereichen keinen Querschnitt der Gesellschaft sind. Auch gerade bei den Grundschulen.
KOSAK: Bei Grundschulen auf gar keinen Fall, weil die Katholikenquote auferlegt ist. Und auch in anderen Bereichen ist es so: Spätestens dann, wenn man auf kirchliches oder soziales Engagement kommt, dann ist das natürlich nicht der Durchschnitt. Das ist aber nicht nur deswegen so, weil wir Auswahlkriterien haben, sondern ganz besonders, weil sich ein Großteil gar nicht bei uns in der Schule bewirbt. In der säkularen Gesellschaft können viele Menschen mit einer kirchlichen Schule gar nichts anfangen.
Die Auswahl trifft also die Schule, aber es interessieren sich auch nicht alle für die Schule – am Ende entsteht so auf jeden Fall eine homogenere Gruppe.
KOSAK: Ohne die Vielfalt aus dem Auge zu verlieren. Sie dürfen jetzt auch nicht das Thema Migration aus den Augen verlieren. Auch bei 70 Prozent Katholiken haben Sie die ganze Vielfalt, Familien aus Kroatien, Italien, Portugal, Spanien, aber auch aus asiatischen Ländern wie den Philippinen oder aus Südamerika. Den kompletten gesellschaftlichen Mix sehen Sie an einer Schule wie der Bischof-Ulrich-Grundschule. Da sind wir ganz nah am Leben trotz Katholikenquote. Und wer behauptet, katholische Schulen sind Inseln der Seligen, weil sie ihre Leute aussuchen, dem empfehle ich einen Besuch an unserer Grundschule in Neu-Ulm. Diese ist, was die Migration und das gesellschaftliche Umfeld betrifft, schon noch durchmischter als in Augsburg. Da erleben Sie die ganze Welt in einer Schule und da sind die Probleme nicht kleiner als an einer der staatlichen Schule.

Inwieweit spielen die individuellen Fähigkeiten der Kinder in Ihren Schulen eine Rolle?
KOSAK: Das spielt bei uns tatsächlich eine ganz große Rolle. Wir gehen davon aus, dass jedes Kind, jeder Jugendliche, mit dem wir zu tun haben, ein gottgewolltes Abbild Gottes ist. Und damit müssen wir individuelle Fähigkeiten, Fertigkeiten, Talente ernst nehmen. Das geht schon auch mal unter und ich möchte nicht sagen, dass uns das überall zu 100 Prozent gelingt. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass wir das noch viel stärker fokussieren müssen in der Zukunft. Wir müssen das Kind so annehmen, wie es ist. Wir müssen diesem Kind alle Chancen geben, damit es sich entwickeln kann, so wie es von Gott gewollt ist. Und das passiert in unserem Bildungssystem noch in nicht ausreichendem Maß. Wir machen es uns manchmal zu leicht, wenn wir uns nur auf die Verteilungskraft des Systems verlassen und Kindern nicht eine zweite oder dritte Chance geben. Scheitern macht was mit Kinderseelen.
Das ist ja auch ein sehr großes Spannungsverhältnis zwischen Persönlichkeitsentwicklung und Wissensvermittlung.
KOSAK: Ich glaube, dass das jetzige System in absehbarer Zeit an seine Grenzen stoßen wird. Es stößt jetzt teilweise schon an seine Grenzen. Das wird stärker, weil wir als Lehrkräfte im schlechtesten Fall als Dompteure von vielen nicht mehr beherrschbaren Individuen unterwegs sind. Denn Kinder und Jugendliche müssen in diesem System immer mehr den Eindruck gewinnen, dass sie nicht verantwortlich sind für das, was sie in der Schule lernen. Wir kehren das jetzt wieder um und sagen dem Kind: Du bist verantwortlich für deinen Lernprozess. Wir geben dir alles, was du brauchst, aber der Lernprozess ist zuvörderst mal deiner. Das scheint mir der richtige Weg zu sein.
Zur Person
Peter Kosak leitet seit 2016 das Schulwerk der Diözese Augsburg. Kosak ist selbst Lehrer und leitete vor seiner Position im Schulwerk das schulwerkseigene private Maria-Ward-Gymnasium in Augsburg.


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