Am 3. Mai 1969 wurde der achtjährige Björn Steiger aus dem baden-württembergischen Winnenden auf dem Heimweg vom Schwimmbad von einem Auto erfasst. Es dauerte fast eine Stunde, bis der Krankenwagen eintraf. Der Junge verstarb während der Wartezeit. Seine Eltern Ute und Siegfried Steiger gründeten daraufhin am 7. Juli 1969 die Björn-Steiger-Stiftung als gemeinnützige Organisation, mit dem Ziel, die deutsche Notfallhilfe zu verbessern. Ein Meilenstein dieses Engagements: die Einführung der bundesweit einheitlichen und kostenfreien Notrufnummern 110 und 112 am 20. September 1973 – also vor genau 50 Jahren.
Es ist heutzutage unvorstellbar, aber bis zu eben jenem Tag im Jahr 1973 mussten Betroffene erst mal im Telefonbuch blättern, um die Telefonnummer des richtigen Hilfekontakts vor Ort zu finden. Wertvolle Minuten verstrichen auf diese Weise. Mittlerweile gehen an einem durchschnittlichen Werktag rund 41.000 Anrufe bei den Notrufzentralen in Deutschland ein, zeigen Ergebnisse eines Forschungsprojekts der Bundesanstalt für Straßenwesen für die Jahre 2016 und 2017. Am Wochenende seien es etwa 10.000 Anrufe weniger. Bis zu zwölf Minuten darf es dann in Bayern dauern, bis nach einem Notruf die Helfer vor Ort sind. Im urbanen Raum sind es zehn Minuten.
In den 70er-Jahren wurden die Notrufnummern 110 und 112 eingeführt
Dreistellige Nummernfolgen waren in den 1970er-Jahren aus technischen Gründen die kürzesten, die bundeseinheitlich zur Verfügung standen. Der Polizeinotruf 110 hatte zudem den Vorteil, dass man ihn an den damals gebräuchlichen Wählscheibentelefonen auch im Dunkeln leicht wählen konnte, denn die Ziffern eins und null befinden sich auf einer Wählscheibe an den jeweiligen Enden. Beim Feuerwehr- und Rettungsdienstnotruf 112 befinden sich die Ziffern direkt nebeneinander.
Wer bei einem Verkehrsunfall Hilfe sowohl von der Polizei als auch vom Rettungsdienst benötigt, muss nicht beide Nummern anrufen. Über den Polizeinotruf 110 werden bei Bedarf Feuerwehr und Rettungsdienst von der Leitstelle gleich mitalarmiert. Laut Angaben des Deutschen Roten Kreuzes werden bei der Notrufzentrale durch geschultes, oft mehrsprachiges Personal alle wichtigen Informationen abgefragt, um die für die jeweilige Situation erforderlichen Rettungsmittel einsetzen zu können.
Beim Notruf fünf W beachten: Wer? Wo? Was? Wie viele? Warten!
Wenn man einen Notruf tätigt, sollte man die Fünf-W-Regel beachten: Wer ruft an? Wo ist die Notsituation eingetreten? Was genau ist passiert? Wie viele Menschen sind betroffen? – Das sind die Leitfragen, die man den Mitarbeitern der Leitstelle beantworten sollte. Das fünfte W ist das Warten auf Rückfragen.
Problematisch sei, dass zu viele Menschen den Notruf auch in weniger gravierenden Situationen riefen, wie etwa bei Kopfschmerzen, sagt Pierre-Enric Steiger, Präsident der Björn-Steiger- Stiftung. „Das ist absolut kein Einsatzszenario für den Notarzt“, betont er.
Björn-Steiger-Stiftung übt Kritik: Bisher geringe Digitalisierung im deutschen Rettungswesen
Wenn nicht gerade Lebensgefahr besteht und alle Arztpraxen geschlossen sind, sollten Betroffene laut Angaben des Bundesgesundheitsministeriums anstelle der 112 den ärztlichen Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung anrufen. Dieser ist unter der zentralen Nummer 116117 erreichbar. Bei Bedarf kommt dann auch ein Arzt zum Betroffenen nach Hause.
Auch wenn das Wälzen des Telefonbuchs im Notfall seit 50 Jahren Geschichte ist und jeder unter den Nummern 110 und 112 in Notsituationen Hilfe rufen kann – Verbesserungspotenzial sieht Pierre-Enric Steiger von der Björn-Steiger-Stiftung trotzdem noch. So sei es in Deutschland bislang noch nicht einheitlich geregelt, was nach Eingang eines 112-Notrufs in der Zentrale passiere. Es gebe bundesweit keinen standardisierten Fragenkatalog. Der Stiftungspräsident fordert zudem „eine viel höhere Digitalisierung“ im Rettungswesen. In Österreich etwa könne die Leitstelle beispielsweise Asthma-Erkrankten einen QR-Code schicken, um in der nächstgelegenen Apotheke das notwendige Medikament zu erhalten. Dadurch würden dann keine Rettungskräfte gebunden.