Der Legende nach leitet sich Billy Idols Künstlername von einem Zeugniseintrag eines mit Klein-Williams mangelnden Fleiß unzufriedenen Lehrers ab – idle war er wohl in der Schule, faul. Dabei weiß der britische Volksmund: „Idle hands are the devil‘s workshop.“ Frei übersetzt könnte man sagen: Wenn man nichts anderes zu tun hat, bleibt viel Zeit für Schabernack. Punkbands gründen, beispielsweise, so wie Idol in den späten 1970er Jahren mit Generation X. Und es scheint funktioniert zu haben, anderenfalls stünde er wohl nicht Jahrzehnte später vor 10.000 Fans auf dem Münchner Königsplatz, dessen griechische Tempel-Coverversionen von König Ludwig I. von der untergehenden Sonne in rot-goldenem Schimmer erstrahlen. Früher verbrannten Nazis dort Bücher, heute ist es die Spielwiese für - und das ist in keinster Weise despektierlich gemeint, sondern eine neutrale Observation - Altpunks.
Der Beginn der Show hat aber mit Punk nicht viel gemein, „I‘m still dancing“ vom neuen Idol-Album „Dream into it“ eröffnet das Konzert in der Manier einer klassischen Rockshow. Über die LED-Leinwand zackt sich blutrot die Silhouette von Idols charakteristischer Stachelfrisur. Gitarrist Steve Stevens sieht aus, wie aus dem Glamrock-Museum entflohen und leistet sich erste Eskapaden auf dem Griffbrett, Idols Lederjacke sitzt wie eine Eins, und auch als knapp 70-Jähriger kann er es sich leisten, ein transparentes Shirt zu tragen. Also alles wie gehabt?
Billy Idol trifft noch jeden Ton
Nun, es hängt von Beginn an eine seltsame Nostalgie über dem Konzert, nicht trotz, sondern gerade wegen des neuen Albums. Idol reminisziert über seine wilde Karriere vom vierfachen Großvater zurück zum räudigen Punk-Kid aus London, dem er mit dem leider schwachen Song „77“ eine kleine Grußbotschaft aus der Zukunft sendet. Da macht „Ready, steady, go“ vom ersten Generation X-Album schon mehr Spaß. Punkrock in seiner reinsten Form: simpel und mit einem Hauch Dilettantismus voll auf die Nase. Abgesehen davon scheint Idol die 42 Termine seiner aktuellen Tour in Formaldehyd eingelegt zu absolvieren, wie sonst soll er Körper wie Stimmbänder so dem Verfall entziehen.
In den sparsam eingestreuten Balladen beweist er, dass er noch jeden Ton trifft, er hüpft über die Bühne wie ein Flummi, dreht seinem Bassisten eine lange Nase und scheint mit sich im Reinen. Er hat nicht mehr „Too Much Fun“, in der Ansage zum Song sagt er, dass er dem ganzen „daft shit“, also den diplomatisch gesprochenen Dummheiten der Jugend abgeschworen hat, aber er hat immer noch Spaß genug.
Als Vorband dröhnte New Model Army
Die Fans ebenfalls, daher ist auch die Enttäuschung nachvollziehbar, die einigen ins Gesicht geschrieben steht, als schon nach knapp einer Stunde sein „Rebel Yell“ die Maxvorstadt erzittern lässt. Trotz der Zugaben hat Idol damit nicht signifikant länger durchgehalten als seine Vorband New Model Army um den Straßenpoeten Justin Sullivan, durch dessen britisches Arbeiterklassengebiss die Songs vom aktuellen Album „Unbroken“ in gleich intensiver Weise durch die Boxen dröhnen wie ein paar Klassiker aus den Jahren vor der Jahrtausendwende. Das dunkle, von beunruhigenden Drums nach vorne gepeitschte „Here comes the war“ zum Beispiel, das die Band aus aktuellem Anlass wieder aus der Mottenkiste geholt hat. Es wäre schön gewesen, wenn sie es drin gelassen hätte. Mitnichten, weil es ein schlechter Song ist. Sondern weil es einem zeigt, dass man sich nicht mehr so unbeschwert dem Hedonismus des Rock hingeben kann, wenn die Welt in Flammen steht.
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