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Kriegszustand in allen Köpfen: So liest sich „Striker“ von Helene Hegemann

Buchrezension

Kriegszustand in allen Köpfen: So liest sich „Striker“ von Helene Hegemann

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    Helene Hegemann wurde mit dem Roman „Axolotl Roadkill“ bekannt(, jetzt hat sie mit „Striker“ ein neues Buch vorgelegt.
    Helene Hegemann wurde mit dem Roman „Axolotl Roadkill“ bekannt(, jetzt hat sie mit „Striker“ ein neues Buch vorgelegt. Foto: Soeren Stache/dpa

    Berlin, dort wo es stinkt und schmerzt, wo der Techno pocht und das Heroin kickt, wo obdachlose Propheten am Späti den Weltuntergang vorhersagen – dort begann die Karriere der Helene Hegemann. Das war zumindest die Kulisse ihres ersten Romans „Axolotl Roadkill“, ein Debüt, das sie mit 16 Jahren schrieb. Und jetzt, vier Bücher später, schlägt Hegemann mit ihrer nächsten Blut-, Schweiß- und Schmerzgeschichte in Berlin auf, mit dem Roman „Striker“.

    Von Beginn an wuchert Panik durch den Roman „Striker“

    Schläge und Tritte knallen durch das Boxstudio. Chef in der Halle ist ein Stier namens Jürgen – hat ein Jagdgewehr und einen Zweitwohnsitz in Kapstadt, organisierte früher illegale Kämpfe in der DDR. Er trainiert die Hauptfigur des Romans, eine Boxerin namens N. „Hör mir zu“, sagt er. „Auf der Straße hast du keine Angst davor, getötet zu werden. Du hast Angst, jemanden töten zu müssen.“ Wer solche Glaubenssätze lernt, kennt keine Furcht – denkt man. Aber von Beginn an wuchert die Panik durch den Roman und durch Ns Gedanken. Die Welt, Stand 2025, befindet sich im Krieg, nicht nur in der Ukraine, in Gaza, an den Fronten aus den Eilmeldungen. Jeder Mensch scheint heute darum zu kämpfen, die Nerven zu bewahren, in einer Zeit der absoluten Verunsicherung. Letzte Ausfahrt: Verschwörungsglaube. Hegemann bohrt sich in diese Psychologie der Angst und lässt die Gefahr in Gestalt einer Frau auftreten.

    Zuerst tauchen Graffiti an der Brandmauer vor Ns Fenster auf, kein Gekrakel, es müssen Zeichen sein. Warnungen? Denn Stunden später klingelt Ivy an Ns Tür. Diese kleine, blonde, offenbar obdachlose Frau verlangt von N, bei ihr duschen zu dürfen und mit ihr einen Kaffee zu trinken. Sie erzählt von ihrem Freund, dem mysteriösen Sprayer Striker und seinen antikapitalistischen Aktionen. Mit ihrem Hausrat in Tüten campiert Ivy vor Ns Türe. Und wie reagiert die Boxerin? Weicht aus. Sie flieht aus dem Haus und irrt durch die Berliner Nacht, als wäre sie selbst obdachlos.

    Hegemann schreibt in einer von der Straße abgelauschten Sprache

    N sieht die Frierenden, die Kreischenden, Menschen im Rausch, die sie als Bekannte erkennt: „Unter Tod kann sie sich auch ein gediegenes Ableben auf Morphium im Hospizbett vorstellen. Was die da durchleben, dieses Durchschreiten von Fegefeuern, hat nichts mit dem Blumenstrauß auf dem Nachttisch eines Sterbenden zu tun. Es geht da um mehr als um Tod. Es geht darum, sich gegen Hunderte Seelenfresser zur Wehr zu setzen.“ Diesen Albtraum beschreibt Hegemann in einer Sprache ohne Geheimnisse, von der Straße abgelauscht und in Kunst übersetzt. Ist Ivy vielleicht eine Halluzinose? Eine böse Doppelgängerin in Ns Fantasie? Nonsens, Ivy ist wahrhaftig. Eine Figur aus Fleisch und Blut in dieser Boxkampf-Gesellschaft.

    Stark sind die Kontraste, die Hegemann verknüpft: Die Bahnlinie vor Ns Haustür verbindet ihren Problembezirk mit einem Villenviertel und N pendelt zwischen den Extremen. Sie erkennt, dass sich die Reichen genauso leicht verlieren im Wahnsinn. Wenn jedem Anfang ein Zauber innewohnt, wartet an jedem Ende heute der Exzess: „Sucht man auf Youtube nach Lauftipps für Anfänger, landet man zwei Klicks später bei Extremmarathons. Eine Falltechnik beim Judo führt zum rituellen Suizid der Samurai. Deutsche Kochrezepte zu Nazivorträgen über das Großreich. Diese Steigerungslogik durchdringt jede Faser der Weltordnung.“

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