Trotz der Klima-Veränderung ist die Wein-Welt sauber aufgeteilt in „Hot-„ und Cool-Climate“-Gebiete. Man trennt außerdem zwischen kontinentalem, ozeanischem und alpinem Klima, ehe es in die klimatischen Feinheiten der einzelnen Lagen geht. Neben all diesen Einordnungen gibt es allerdings Außenseiter-Weine, die keiner Regel und keiner Klima-Zone zu unterwerfen sind. Und das Schönste für uns Wein-Trinker ist, dass Sie auch noch in wunderbaren Reise-Zielen angebaut werden.
Weinbau auf La Palma: Federnd leichter Clarete
Langsam senkt sich die kleine Zwei-Propeller-Maschine der innerspanischen Fluglinie „Binter Canarias“ über der Insel La Palma. Atemberaubende Steilküsten werden sichtbar, imposante grüne Gebirgszüge und auch der Schlund des Vulkans Tajogaite, der im Jahre 2021 mit seinem drei Monate dauernden Ausbruch die Insel verändert hat. Dazwischen, an den Hängen, die ins Meer abfallen, tauchen mattschwarze Böden mit etwas Gestrüpp auf und man fragt sich, wo denn nun der Weinbau (auf insgesamt 931 Hektar) wirklich stattfindet.
Wenige Stunden danach ist man noch ratloser. Victoria Torres-Pecis kniet eben genau auf diesem Vulkanboden und berührt mit zarter Hand die Rebstöcke, wobei man von „Stöcken“ gar nicht reden kann. Es sind windgebeugte Holz-Skulpturen, die sich knapp über der staubigen Erde krümmen. An eine Art „Reben-Erziehung“ im klassischen Sinne mit Stempen und Draht-Rahmen, wie wir es kennen, ist nicht zu denken. Zu stark wehen die „Alisios“, die Winde, die aus nörd-östlicher Richtung auf die Lagen von Victoria Torres-Pecis treffen und sie austrocknen. Dazu werden die Reben mit 4800 Sonnenstunden im Jahr bestrahlt – in höchster Intensität. Regen gibt es dagegen nur in homöopathischer Dosis.
Kein Wunder, dass viele Winzer auf La Palma angesichts dieser harten Arbeit schon vor vielen Jahren aufgegeben haben. Auch Victoria Torres war einmal weit weg davon. Sie studierte und absolvierte Kunstgeschichte, während der Vater Juan Matias in vierter Generation das Weingut führte. Nur kurze Zeit konnte Victoria ihm über die Schulter schauen, ehe er im Jahr 2015 starb. Als völlige Autodidaktin, ohne jegliche fachliche Ausbildung, übernahm sie den Betrieb. „Dies hatte auch einen Vorteil“, sagt sie heute, „denn von mir hatte keiner irgendetwas erwartet. Das schaffte mir Freiheit.“

Und genau diese Freiheit nutzte sie, um eine Stilistik der Weine zu entwickeln, die, mit ihrer epischen Würze, atemberaubend ist: Federnd leicht gleitet der „Clarete“ über den Gaumen. Ein (seltener) roter Gemischter Satz aus den drei einheimischen Rebsorten, der in einer einzigen Lage stehen und gemeinsam gelesen und vinifiziert werden: Listan Blanco, Listan Negro und Negramoll. Die Reben sind wahre Methusalems, bis zu 95 Jahre alt. Und sie tanzen zunächst jugendlich mit Aromen nach roten Johannisbeeren und Mandeln im Mund. Dann wird es ernsthaft mit dieser absolut konkreten Griffigkeit, der Tannin-Struktur und einer erstaunlichen Länge. Das Ganze, trotz aller Sonneneinstrahlung, bei nur 12 Prozent Alkohol. Der kühle Atlantik und Victorias ganz großes Verständnis für die alten Herrschaften machen dies erst möglich in einer Gegend in der sehr viel höhere Alkohol-Gradationen bislang als unvermeidbar gegolten hatten.
24 kleine Parzellen mit insgesamt sieben Hektar Fläche bearbeitet Victoria Torres Pecis in verschiedenen Klima-Zonen auf der gesamten Insel. Das ist unpraktisch und kostenintensiv, aber es erschließt die wunderbar abwechslungsreiche Landschaft von La Palma für den (Wein-) Reisenden aufs Feinste. Auf einer Höhe von 1400 Metern, die sehr wohl Schneefall im Winter kennt, baut die Winzerin in schönster Gebirgslandschaft in drei Parzellen auf verwittertem Vulkanboden, also Basalt mit Humus-Auflage, auch kraftvoll-fruchtige Weine an. Ganz großes Handwerk ist das. Und wirklich: „Wein am Limit“ auf der vielleicht schönsten stillen Insel der Kanaren. Kein Wunder, dass ausgerechnet Hendrik Thoma mit seinem gleichnamigen Betrieb die Arbeit dieser faszinierenden Frau und Winzerin würdigt und fördert.
2022 Clarete, € 36, www.weinamlimit.de
Wein vom Vulkanboden: Trenzado aus Teneriffa
Die Reise nach Teneriffa ist meistens eine freudige. Die größte Kanaren-Insel bietet so ziemlich alles, was die Erholungssuchenden erwarten: Strände und sommerliche Temperaturen im Süden, den höchsten Berg Spaniens (Teide 3715 Meter), einen noch ursprünglich-kanarischen Norden und jede Menge touristischer Attraktionen wie die großen Themen- und Wasserparks.
Kulinarisch dominieren Fisch und Meeresfrüchte feinster Art aus dem Atlantik. Das schreit geradezu nach sehr guten Weinen. Wenn man jedoch durch Teneriffas Lokale streift, begegnet einem, zugegeben, immer trinkbarer Wein, der alle Segnungen des chemisch ausgefeilten Weinbaus innehat, aber nichts, was in Wallung bringen würde. Man will es nicht so recht glauben angesichts der Vulkan-Böden, dem ozeanischen Insel-Klima und der sehr guten Erfahrung aus La Palma.
Irgendwann drängt sich der Gedanke auf, dass man genau jetzt einen guten deutschen Freund haben müsste, der schon lange auf Teneriffa lebt, perfekt spanisch spricht und am besten gleich auch noch Sommelier ist. Den gibt es! Er heißt Wolfgang Jandl, kommt aus Würzburg, wo er sich jahrelang als Journalist mit Landwirtschaft und Wein beschäftigt hat. Einen Gutteil des Jahres verbrachte er schon immer auf Teneriffa, ehe er 2015 ganz dorthin gezogen ist. Auf seinen absolut lohnenden Wein-Touren (ein Tag inklusive Besuch eines Weinguts mit Führung durch die Lagen und den Weinkeller plus Verkostung mit Tapas kostet € 90) erlebt man eine höchst interessante andere Seite dieser Insel und lernt genussvoll. Nicht zu unterschätzen sind die Kontakte von Wolfgang Jandl, der in der Tat das spanische „Diploma de Summiliera“, also die Ausbildung zum Sommelier, absolviert hat. Auf Anfrage bietet er auch mehrtägige Touren für fortgeschrittene Wein-Freunde an.

Und nur so bekommt man dann einen Besuchs-Termin bei „Suertes del Marqués“ im wunderbar grünen Norden Teneriffas im Tal „La Orotava“ Der Vulkanboden dort ist schon stärker verwittert in Richtung Basalt. Auch hier, wie schon auf La Palma, gab es nie den Befall durch die Reblaus und damit uralte Rebstöcke. Die Weine von Jonathan Garcia Lima bringen eine animierende Salzigkeit mit. Insel-Wein eben. Sein „Trenzado“ aus der Rebsorte Listan Blanco beeindruckt durch eine verspielte exotische Aromatik, in der Maracuja eine leise Rolle spielt, aber auch Birne und Zitrus. Keine Aroma-Bombe ist das allerdings, sondern ein retro-eleganter Wein in höchster Klasse. Geht doch!
2023 Trenzado Listan Blanco, € 24, www.gute-weine.de
Rotwein aus Lipari ist eine Reise wert
Was verbindet man, wenn überhaupt, mit den Liparischen Inseln (auch Äolische Inseln genannt)? Klar: den chronisch grummelnden Vulkan Stromboli auf der gleichnamigen Insel. Vielleicht noch Vulcano mit den schwefeligen Pools im Meer. Panarea beeindruckt als Heli-Landeplatz mit angrenzendem Sandstrand für die Schickeria vom italienischen Festland. Das stille Eiland Salina punktet mit wunderbaren Wanderwegen, unter anderem zu den Original-Drehorten des zarten, romantischen Filmes „Il Postino“ (auf Deutsch: „Der Postmann“) über Pablo Neruda. Lipari ist der Hauptort und das Verwaltungszentrum der Inselgruppe. Die Attraktionen sind im Boden zu finden: Erstens der pechschwarze Obsidian, ein vulkanisches Gesteins-Glas, das messerscharf an den Kanten und gleichermaßen filigran zerbrechlich ist. Und zweitens der Rotwein der Tenuta di Castellaro mit eben diesem Namen aus der Rebsorte „Corinto“, der kühl-hitzig (sic!) daherkommt und jede Reise wert ist.
2020 Nero Ossidiana, € 28.90, www.weinhalle.de
Wein aus Santorin: Dieses Reife-Potenzial reicht bis in die Antike
Ich gestehe hiermit, dass meine Lieblings-Insel in den Kykladen Paros heißt. Sie hat jedoch nur einen sehr kleinen Flughafen, weshalb man aus Deutschland kommend, gerne auf der Nachbar-Insel Santorin landet. Der eintägige Zwischenstopp bei An- und Abreise ist beeindruckend trotz der Massen an anderen Touristen: Der schwarze Strand von Kamari, die Ruinen von Akrotiri, die Lava-Inseln …
Die wahre Attraktion von Santorin begegnete mir jedoch im Glas, wie in meiner letzten Wein-Geschichte beschrieben, nicht auf Santorin selbst, sondern auf dem Peloponnes: ein Wein wie kein anderer, Assyrtiko. Angefangen habe ich mit frucht-betonten Exemplaren. Es folgten zitrisch-geprägte Ausgaben bis hin zu Weinen, deren Komplexität als unendlich erscheint. Aber was ist denn das Faszinierende an dieser Rebsorte, die auch ursprünglich aus Santorin kommt? Erstens schafft sie es, auch im heißen Klima eine dezidierte feine Säure zu entwickeln-ohne künstliche Nach-Säurerung.
Zweitens kann sie bei naturnaher Behandlung eine große Aromen-Tiefe erreichen, die man beim ersten Antrunk noch nicht einmal erahnt. Das Erlebnis beginnt schon in der Nase mit dem Aroma von getrockneten Limonen-Zesten. Dazu schleicht sich dieser unwiderstehliche staubig-aromatische Ton an, den eine Straße im Hochsommer nach einem kurzen Gewitter hat. Am Gaumen dann fächert sich der Saft auf, genau mit diesem Aroma und mit Noten nach mediterranen Büschen, der Macchia. Rosmarin spielt diskret mit. Ja, auch harzige Noten kommen zum Vorschein, wiewohl dieser Wein, und das muß gesagt werden, maximal weit weg ist vom freudigen Theken-Treibstoff Retsina. Schon allein das Reife-Potenzial reicht knapp bis in die Antike. Eine Önologin und zwei Winzer haben sich zum Weingut Mikra Thira zusammengetan, um den ohnehin schon hervorragenden Assyrtiko auf der ehedem „abgebrochenen“ Nachbarinsel Thirasia mit reiner Handarbeit mit kleinsten Erträgen in die Höhen der ganz großen Weißweine dieser Welt zu heben. Jeden Euro wert.
2022 Santorini Assyrtiko, € 45, www.weinamlimit.de
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