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„Künstliche Intelligenz erweckt den Bauernkrieg: Eine interaktive Ausstellung in Memmingen“

Bayerische Geschichte

Künstliche Intelligenz macht den Aufstand der Bauern lebendig

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    Mit der Gewalt des Wortes oder der Gewalt der Waffen? So visualisiert die Memminger Ausstellung die Dispute, die vor 500 Jahren die Aufständischen über ihr Vorgehen austrugen.
    Mit der Gewalt des Wortes oder der Gewalt der Waffen? So visualisiert die Memminger Ausstellung die Dispute, die vor 500 Jahren die Aufständischen über ihr Vorgehen austrugen. Foto: Matthias Becker

    Wie sah der Bauernkrieg vor 500 Jahren aus? Inzwischen gibt es viel Literatur dazu. Aber Bilder existieren kaum. Die „Revolution des gemeinen Mannes“, wie der Historiker Peter Blickle den Aufruhr bezeichnet hat, ist seinerzeit kaum visualisiert worden. Wie also eine attraktive Ausstellung konzipieren über dieses epochale Ereignis, wie es nun das Haus der Bayerischen Geschichte in Memmingen unternimmt? Dort also, wo die großen Bauernhaufen aus Schwaben und dem Allgäu zusammenkamen und sich ein Manifest gaben, die berühmt gewordenen „Zwölf Artikel“. Die Macher der Ausstellung mit dem Titel „Projekt Freiheit - Memmingen 1525“ haben das Problem elegant gelöst: Sie zogen so ziemlich alle Register zeitgemäßer Museumspädagogik, kombinierten historische Dokumente mit modernen Medien, Texte mit interaktiven Filmen, Sehen mit Hören, Fühlen und Riechen. Und um Bilder aus früheren Zeiten zeigen zu können, ließen sie sich von Künstlicher Intelligenz helfen.

    An diesem Wochenende startet die Landesausstellung im Bonhoeffer-Haus an der Memminger Stadtmauer. Die ersten Gäste sind gewichtige Politiker. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier macht der „Stadt der Freiheitsrechte“ zum Jubiläum seine Aufwartung. Bei seinem Rundgang wird er vom Bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder und der Bundeskulturbeauftragten Claudia Roth begleitet. Wenn sie den Gang entlang zum ersten Raum schreiten, werden sie vermutlich staunen: Plötzlich tauchen an der Wand neben ihnen Bauern auf und begleiten sie. Das ist schon mal eine von mehreren Computer-generierten Überraschungen dieser Eintritt-freien Schau, an der auch Kinder ihre Freude haben dürften, und durch die Menschen mit Behinderung vorbildlich barrierefrei zu inklusiven Stationen geleitet werden.

    Die Stiche von Hans Sebald Beham geben Einblick in den Alltag

    So lernen Besucherinnen und Besucher erst einmal die Landbevölkerung des späten Mittelalters kennen. Um zu verstehen, warum die Bauern so unzufrieden wurden, muss man ihre damalige Lage betrachten. Es war ein hartes, fremdbestimmtes Leben, das sie führten. Viele Bauern waren Leibeigene der Herren, also von Adel und Klerus. Ihnen hatten sie Abgaben zu leisten, mussten Frondienste erledigen. Einer der wenigen, die den Alltag der Bauern jener Zeit realistisch zeigten, war Hans Sebald Beham (1500-1550); seine Stiche bieten Einblicke.

    Wer fassen möchte, wie viel die Bauern von ihrer Ernte an die Herren in den Klöstern, Burgen und Schlössern abgeben mussten, darf Gewichte mit Getreide lupfen. Und spüren: Es ist ein Drittel, was ihnen am Ende bleibt. „Es war uns ein großes Anliegen, die Ausstellung interaktiv zu machen“, sagt Projektleiter Fabian Fiederer vom Haus der Bayerischen Geschichte. Solche Interaktivität gelingt in Zeiten von Künstlicher Intelligenz verblüffend. So werden mit ihrer Hilfe die holzgeschnitzten Figuren im Chorgestühl der Memminger Martinskirche lebendig. Sie erzählen von der Situation 1524/25 in der 5000-Einwohner-Stadt, die der Bauernsache aufgeschlossen war.

    Sebastian Lotzer spricht gewissermaßen leibhaftig

    Auch Sebastian Lotzer wird in der Ausstellung lebendig, jener Memminger Laientheologe, der die Zwölf Artikel Ende Februar, Anfang März 1525 gemeinsam mit 50 Bauernvertretern in der Kramerzunftstube diskutiert und niedergeschrieben hat. Auf einem Bildschirm tritt er in Lebensgröße den Besuchern entgegen, spricht sie sogar direkt an. Noch so ein Moment der Verblüffung. Ein Schauspieler und Computertechnologie machen es möglich.

    Sebatsian Lotzer spricht im Memmingen Bonhoeffer-Haus: Mittels Computertechnik macht die Ausstellung den Laientheologen lebendig.
    Sebatsian Lotzer spricht im Memmingen Bonhoeffer-Haus: Mittels Computertechnik macht die Ausstellung den Laientheologen lebendig. Foto: Matthias Becker

    Und dann ist man auch schon im zentralen Raum der Ausstellung. Fast wie ein Heiligtum werden die Zwölf Artikel präsentiert, in deren drittem Artikel der wohl wichtigste Halbsatz für den Bauernaufstand steht: „... dass wir frei sind und sein wollen“. Hinter Glas liegt einer der beiden Drucke, die das Stadtarchiv Memmingen hütet, gut ausgeleuchtet von Scheinwerfern. Auf einem Bildschirm können Besucher die Texte nachlesen - im Original und übersetzt in heutiges Deutsch. Ein Text mit Sprengkraft, der sich in Windeseile verbreitete und ein Bestseller wurde. Heute gelten Zwölf Artikel als eine der ersten aufgeschriebenen Forderungen nach Menschen- und Freiheitsrechten in Europa.

    Mit Worten kämpfen oder mit den Waffen?

    Wie kontrovers die Bauernvertreter, die sich selbst als „Christliche Vereinigung“ bezeichneten, diskutierten, wird auf einer Wand deutlich. Auf der einen Seite sind diejenigen, die sich für Waffengewalt aussprechen, um die Forderungen nach Freiheit, Gerechtigkeit und Teilhabe durchzusetzen. Auf der anderen Seite jene, die lieber mit Worten kämpfen wollen. Sie behalten die Oberhand - zunächst.

    Wer die ehemalige Kramerzunftstube, wo die Bauern tagten, besuchen möchte, kann das parallel zur Ausstellung im Bonhoeffer-Haus tun. Zehn Minuten Fußweg sind es hinüber zum Weinmarkt, wo das Haus der Kramerzunft steht. Den 50 Quadratmeter großen Tagungssaal im ersten Stock gibt es noch. Die Kreishandwerkerschaft residiert jetzt dort, überlässt den Saal aber einige Monate lang der Öffentlichkeit. Alles ist anders als 1525 - bis auf die dunkelbraune, gotische Holzdecke. Sie berichtet den Besuchern an diesem „authentischen Ort“, was seinerzeit geschah. Aus vielen Lautsprechern tönt die Stimme der Schauspielerin Kathrin Ackermann, fünf Scheinwerfer untermalen ihre zehnminütige Erzählung.

    Am Ende waren 70.000 Bauern tot

    Bekanntlich ging die Obrigkeit nicht auf die Forderungen der Bauern und ihrer Verbündeten ein. Und so kam es zum blutigen Krieg, den die Herren mit großer Brutalität führen, allen voran Georg Truchsess von Waldburg, der die Truppen des Schwäbischen Bundes führte. Am Ende waren nach jüngsten wissenschaftlichen Schätzungen rund 70.000 Bauern tot, der Aufstand niedergeschlagen. Die ersehnte Freiheit errangen die Bauern nicht, nur leichte Verbesserungen. Das ist längst Vergangenheit. Doch was Freiheit ist und wie viel man haben sollte, darüber wird auch heute debattiert und gestritten. So dürfen Besucher am Ende der Ausstellung - interaktiv und computergestützt - selbst eine Wand mit Freiheitsgedanken gestalten.

    Die Ausstellung

    Die Ausstellung in Memmingen läuft von 16. März bis 19. Oktober; Bonhoeffer-Haus und Kramerzunfthaus sind Dienstag bis Sonntag von 9 bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.

    Zur Ausstellung hat das Haus der Bayerischen Geschichte ein 115-seitiges Magazin als Begleitband zur Bayernausstellung „Projekt Freiheit – Memmingen 1525“ herausgebracht. Autorinnen und Autoren widmen sich unterschiedlichen Themen rund um den Bauernkrieg, auch solchen, die bisher wenig Beachtung gefunden haben. Das Magazin ist in der Ausstellung für 10 Euro erhältlich.

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