Bei Bayerns Staatsgemäldesammlungen und der ihr übergeordneten Behörde, dem von Markus Blume geleiteten Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst, ist seit ein paar Tagen Feuer unterm Dach. Entzündet hat es sich an Kunstwerken, die die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen seit langem als ihr Eigentum betrachten, Werke jedoch, die sich ehemals in jüdischem Besitz befanden. Kunst also, bei der es Gründe gibt davon auszugehen, dass sie unrechtmäßig entzogen wurde während der Zeit des Nationalsozialismus - Raubkunst, die eigentlich an die ursprünglichen Besitzer beziehungsweise an deren Erben zurückzugeben wäre. Die Süddeutsche Zeitung hatte vergangene Woche von einer internen Liste der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen berichtet, in welcher 200 Werke als NS-Raubkunst gekennzeichnet sind, die einstigen Besitzer oder deren Nachfahren darüber jedoch nicht informiert wurden. Das wäre nichts weniger als ein bedenkliches Vorgehen.
1998 nämlich hatten sich in der „Washingtoner Konferenz“ mehr als 40 Staaten, darunter die Bundesrepublik Deutschland, dazu verpflichtet, Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten unrechtmäßig beschlagnahmt worden waren, an die ursprünglichen, zumeist jüdischen Eigentümer zurückzugeben. In einer im Folgejahr verfassten gemeinsamen Erklärung der Bundesregierung und der Länder hatte auch der Freistaat Bayern verbindlich zugesagt, sich um „gerechte und faire Lösungen“ mit den Erben - die ursprünglichen Besitzer sind ja in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht mehr am Leben - zu bemühen. Doch in Bayern scheint das, entgegen wohlfeilen ministeriellen Verlautbarungen zur eigenen Provenienzforschung und der ein oder anderen lauthals verkündeten Restitution minder bedeutender Kunst, nicht in dem Maße zu gelten, zu dem man sich verpflichtet hat.
Der Fall der Picasso-Büste und zweier Klee-Gemälde
Zur Methode gehört es etwa, nach außen hin so zu tun, als ob im Falle eines konkreten (hochrangigen) Kunstwerks hinsichtlich der ehemaligen Besitzverhältnisse oder des unrechtmäßigen Entzugs noch erheblicher Klärungsbedarf bestehe – obwohl das Restitutionsbegehren der Nachfahren bereits als eindeutig berechtigt festgestellt worden ist. Das zeigt einer der prominentesten Fälle der aktuellen Debatte um die Staatsgemäldesammlungen und das Kunstministerium: das Restitutionsersuchen der Erben des bedeutenden jüdischen Kunsthändlers Alfred Flechtheim (1878-1937) um eine Frauenbüste von Pablo Picasso („Fernande“) und zwei Gemälde von Paul Klee („Grenzen des Verstandes“, „Sängerin der Komischen Oper“). Im vergangenen Frühjahr hat diese Zeitung exklusiv über den Fall berichtet.
Markus H. Stötzel, Anwalt der beiden Flechtheim-Erben Michael und Peggy Hulton, hat in jahrelanger Recherche akribisch den unrechtmäßigen Entzug der drei in den Münchner Pinakotheken vorhandenen Kunstwerke dokumentiert. Recherchen, die Stötzel den von Bernhard Maaz geführten Staatsgemäldesammlungen wie auch Bayerns Kunstminister Markus Blume (CSU) zukommen ließ. Während jedoch andere bedeutende Kunstmuseen wie etwa das New Yorker Guggenheim Museum oder das Wallraf-Richartz-Museum in Köln Raubkunst aus ehemaligem Flechtheim Besitz restituierten, zeigte sich der Freistaat – und tut dies bis heute – unwillens, die drei Kunstwerke an die Hultons zurückzugeben.
Minister Blume wusste Bescheid
Höchst fragwürdig ist die Verfahrensweise vor allem deshalb, weil der Redaktion dieser Zeitung Dokumente vorliegen, aus denen hervorgeht, dass sowohl der Sammlungsleiter Klassische Moderne bei den Staatsgemäldesammlungen, Oliver Kase, wie auch Direktor Bernhard Maaz - gestützt auch auf die hauseigene Provenienzforschung - bereits im Sommer 2023 im Falle der Picasso-Büste ausdrücklich eine Restitution befürworteten und bei den beiden Klee-Gemälden zumindest einen Gang vor die unabhängige Beratende Kommission empfahlen. Maaz‘ Stellungnahme war an das Kunstministerium gerichtet, dessen Chef Markus Blume wusste also über die Einschätzung seiner Fachleute Bescheid – und ließ die Flechtheim-Nachfahren, die seit Jahren auf eine Rückgabe hofften, dennoch abblitzen. Erben-Anwalt Stötzel kommentierte das mit den Worten, seine Mandanten fühlten sich durch solches Vorgehen „missachtet und verhöhnt“. Peggy Hulton ist inzwischen nicht mehr am Leben, vergangenen Sommer verstarb sie mit 96 Jahren.

Ein Vorgehen wie im Falle der Picasso-Bronze und der Klee-Gemälde wirft ein zweifelhaftes Licht auf den Umgang Bayerns mit NS-Raubkunst. Auf den SZ-Bericht in der vergangenen Woche, wonach 200 Objekte der Staatsgemäldesammlungen intern als verfolgungsbedingt entzogen klassifiziert seien - die Staatsgemäldesammlungen drohen inzwischen mit presserechtlichen Schritten gegen angeblich „falsche“ Behauptungen in dem Artikel -, reagierte Minister Blume dann auch in einem Ton, der auf kein besonders intaktes Verhältnis zwischen dem Ministerium und den Kunsthütern schließen lässt: „Ich erwarte von den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, dass sie sich unverzüglich und lückenlos mit den Vorwürfen auseinandersetzen.“ Am Dienstag legte Blume nach mit einem Aktionsplan zu „mehr Transparenz und Tempo bei Provenienzforschung und Restitution“ inklusive der Ankündigung einer „Taskforce“ und zusätzlichen Finanzmitteln in Höhe von einer Million Euro für die Provenienzforschung.
Ein „durchsichtiges Ablenkungsmanöver“, befindet der Anwalt
Mindestens im Falle der drei genannten Kunstwerke mit Flechtheim-Provenienz aber spielt Blume ein doppeltes Spiel. Denn hier bedarf es keiner, wie der Minister es formuliert, „Tiefenrecherche“ mehr, diese liegt längst vor und ist dem Minister auch bekannt. Markus H. Stötzel als Anwalt der Flechtheim-Erben sieht Blumes Statement denn auch als „durchsichtiges Ablenkungsmanöver, mit dem die Verantwortung auf nachgeordnete Stellen abgewälzt werden soll“. Stötzels Einschätzung zufolge war das Kunstministerium „die treibende Kraft in der Unterdrückung von Informationen und der Verschleppung von Verfahren“. Der auf NS-Raubkunst spezialisierte Rechtsanwalt legt nach: „Ohne eine unabhängige Untersuchung der Missstände in Bayern wird das Problem nicht zu lösen sein.“
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