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Rüdiger Mahlo: "Deutschland braucht ein Restitutionsgesetz."

Interview

Raubkunst-Verfahren: "Der Umgang ist würdelos"

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    Rüdiger Mahlo vertritt die Jewish Claims Conference in Europa.
    Rüdiger Mahlo vertritt die Jewish Claims Conference in Europa. Foto: Benyamin Reich

    Herr Mahlo, Sie vertreten die Claims Conference in Europa, eine Organisation, die sich schon lange für die Rechte von NS-Opfern einsetzt. Wieso bedarf es in Deutschland eines Restitutionsgesetzes?
    RÜDIGER MAHLO: Im Umgang mit NS-Unrecht gab es immer Spezialgesetze, etwa das Bundesentschädigungsgesetz. Das normale Recht ist nicht in der Lage, NS-Unrecht zufriedenstellend aufzuarbeiten. Die Anwendung des normalen Strafrechts bei der Aufarbeitung der NS-Verbrechen hat nur zu etwa 170 Verurteilungen wegen Mordes geführt. Die Rekonstruktion des genauen Tatorts, der Tatzeit des lückenlosen Tathergangs waren ebenso unmöglich wie eine präzise Beschreibung des Täters. Bezogen auf die Anwendung des Zivilrechts bei der Rückgabe von NS Raubkunst gibt es andere ähnlich gelagerte Probleme. Deshalb bedarf es eines Restitutionsgesetzes. 

    Bislang greifen nur die Regeln des Washingtoner Abkommens. Warum ist das zu wenig?
    MAHLO: Das Abkommen regelt, dass die Staaten frei sind in der Art und Weise, wie mit der NS-Raubkunst verfahren werden soll. Das Abkommen beruht auf Freiwilligkeit und ist per se nicht bindend. 

    Auch bei den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, hier die Pinakothek der Moderne, ziehen sich Restitutionsverfahren über viele Jahre.
    Auch bei den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, hier die Pinakothek der Moderne, ziehen sich Restitutionsverfahren über viele Jahre. Foto: Felix Hörhager, dpa

    Was würde mit einem Restitutionsgesetz besser werden? 
    MAHLO: Zurzeit ist die Opferseite Bittsteller in einem Rückgabe-Verfahren. Dieser Zustand würde durch ein Gesetz beendet werden. Bezogen auf öffentliche Einrichtungen, haben die Opfer bisher keine Möglichkeit, aktiv einen Prozess zu starten. Sie sind darauf angewiesen, dass das Museum mitmacht. Wenn das Museum eine andere Ansicht hat wie bei Picassos "Madame Soler", bleibt der Fall über 15 Jahre stecken. Sie haben keine Möglichkeit, gehört zu werden.

    Wie sieht das mit der Erstattung aus dem privaten Bereich aus, wie wird dort verfahren?
    MAHLO: Heute gibt es für die Opfer keine Möglichkeit, einen aussichtsreichen Restitutionsprozess in Gang zu setzen. Die Gesetze verhindern eine Restitution von Raubkunst. Das Opfer muss nach heutiger Rechtslage beweisen, dass der jetzige Besitzer das Objekt in bösem Glauben in seinen Besitz gebracht hat. Aber die Fälle liegen über 80 Jahre zurück und die Opfer haben kaum Beweisdokumente. Juden, die die Shoah überlebt haben, waren froh, mit ihrem Leben davongekommen zu sein. Deswegen braucht es die Aussetzung der Verjährung und der Ersitzung sowie die Beweislastumkehr für den gutgläubigen Erwerb. Restitutionen erfolgten bisher nur, wenn der Besitzer von NS-Raubkunst auf dem Kunstmarkt verkaufen wollte. 

    Wie viele Verfahren sind in Deutschland am Laufen?
    MAHLO: Es gibt keine zentrale Erfassung. In der Datenbank Lost-Art sind ungefähr 80.000 Verdachtsfälle von NS-Raubkunst registriert. Seit dem Washingtoner Abkommen, also in über 20 Jahren, sind sechs Prozent der Fälle von geraubten Gemälden, die Museen selbst angezeigt haben, abgeschlossen worden. Wenn es in dem Tempo weitergeht, dauern die Restitutionsverfahren allein in der Kategorie der Gemälde über 300 Jahre.

    Wieso dauert das so lange? 
    MAHLO: Weil der politische Wille fehlt und sie auf Freiwilligkeit beruhen. Die Institution bekommt eine Anfrage und dann vergeht schon mal ein halbes Jahr bis zur ersten Antwort. In dem Tempo geht es weiter. Die Verfahren dauern über sieben, acht oder gar zehn Jahre. Und Sie müssen bedenken, dass die Opfer alles vorfinanzieren müssen und keine Gewissheit haben, gehört zu werden.

    Werden Restitutionen in anderen Ländern besser gehandhabt?
    MAHLO: In Österreich zum Beispiel gibt es ein Restitutionsgesetz. Dort können Sie ein Verfahren selbst in Gang setzen. Dann bekommt das eine andere Dynamik. Im Fall von Picassos "Madame Soler" haben die Nachfahren 15 Jahre in das Verfahren investiert. Die Bayerische Staatsgemäldesammlung hat es abgelehnt, den Fall vor die Beratende Kommission zu bringen. Die Nachfahren können nach jetziger Rechtslage nichts daran ändern. 

    Wir haben über einen ähnlichen Fall berichtet. Ein Raubkunst-Verfahren, das die Sammlung Flechtheim betrifft und sich jetzt schon über 16 Jahre hinzieht. Meine Frage: Wird in Bayern besonders gemauert?
    MAHLO: 15 oder 16 Jahre für solche Verfahren, das ist doch peinlich. Es ist würdelos, so mit Antragstellern umzugehen. Und es ist völlig gleichgültig dabei, ob andere Bundesländer schneller oder weniger schnell sind.

    Bis es zu einem Restitutionsgesetz in Deutschland kommt, wird es dauern. Was soll bis dahin gemacht werden?
    MAHLO: Es gibt mittlerweile so viele Entwürfe zu Restitutionsgesetzen, einen auch aus Bayern, dass man mit dem entsprechenden politischen Willen ein solches Gesetz in einem überschaubaren Zeitrahmen verabschieden könnte. Wenn Sie sagen, dass es bis zu einem solchen Gesetz lange dauert, dann schauen Sie auf die Dauer der Restitutionsverfahren. In der Zeit hätte der Gesetzgeber längst ein Gesetz verabschieden können. Und bis es dieses Gesetz gibt, raten wir, bei strittigen Fällen vor die Beratende Kommission zu gehen, also genau so zu verfahren, wie es Bund, Länder und Kommunen beschlossen haben. An Beschlossenes sollte man sich halten.

    Wird es ein Restitutionsgesetz geben? Ist der politische Wille dazu da? 
    MAHLO: Alle verstehen, dass die jetzige Situation unhaltbar ist. Leider scheint es so zu sein, dass man die Gelegenheit, ein Restitutionsgesetz in Gang zu bringen, nicht wahrnehmen wird. Aktuell angedachte Lösungen bergen die Gefahr, die Position der Opfer bei den Rückgaben von NS-Raubkunst zu verschlechtern. Ich sage, am Ende wird es ein Restitutionsgesetz geben. Nur damit wird es zu einer Befriedung kommen. 

    Zur Person

    Rüdiger Mahlo repräsentiert die Claims Conference mit Sitz in New York seit 2013 in Europa. Gegründet wurde sie 1951, um mit der deutschen Regierung Entschädigungsprogramme zu vereinbaren.

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