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Mit Depression und Empathie: der neue Marvel-Film „Thunderbolts“

Filmkritik

„Thunderbolts“ ist ein Marvel-Film über eine Heldengruppe der anderen Art

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    Außergewöhnliche Helden (von links nach rechts): Sebastian Stan als Bucky Barnes, Hannah John-Kamen als Ghost, Florence Pugh als Yelena Belova, Wyatt Russell als John Walker und David Harbour als Red Guardian in einer Szene des Films „Thunderbolts“.
    Außergewöhnliche Helden (von links nach rechts): Sebastian Stan als Bucky Barnes, Hannah John-Kamen als Ghost, Florence Pugh als Yelena Belova, Wyatt Russell als John Walker und David Harbour als Red Guardian in einer Szene des Films „Thunderbolts“. Foto: Marvel Studios, dpa

    Fast lautlos, mit einem kurzen, leisen Zischen zerfallen die Menschen zu dunklem Staub, wenn der schwarze Bösewicht am Himmel sie erwischt. Sie werden aufgesogen von der monströsen Leere, die von der Seele des Schurken Besitz ergriffen hat und nun die Bewohner Manhattans nacheinander zu verschlingen droht. Im Marvel-Universum gab es schon viele schillernde Antagonisten. Aber so düster wie der Finsterling im neuen Marvel-Film „Thunderbolts“ hat bisher noch keiner ausgesehen.

    In „Thunderbolts“ schwebt der finstere Bösewicht über New York

    Kohlrabenschwarz, nur noch als Silhouette zu erkennen, schwebt seine Gestalt über der New Yorker Skyline und bildet eine machtvolle Metapher für eine abgrundtiefe, alles verschlingende Depression. Denn dieser Sentry (Lewis Pullman), der mit bürgerlichen Namen einfach nur Bob heißt, ist ein Schurke wider Willen, dessen dunkle Seite sich unwillkürlich seiner bemächtigt. Der tragischen Gestalt steht eine Gruppe von Heldinnen und Helden gegenüber, die ebenfalls nicht sind, was sie sein sollen. Allen voran Yelena Belova (Florence Pugh), die sich zu Beginn des Films von einem Hochhaus in die Tiefe stürzt. Auch sie fühlt diese Leere in sich, seit ihre Schwester gestorben ist. Aber was zunächst wie ein spektakulärer Freitod aussieht, entpuppt sich als weiterer Einsatz der gelernten Auftragsmörderin. Ein Gleitschirm bringt sie in eine mittlere Etage des Gebäudes, in dem sie mit gelangweilter Miene eine Überzahl an bewaffneten Gegnern erledigt.

    Ihren ersten Auftritt als Marvel-Figur hatte Florence Pugh bereits an der Seite von Scarlett Johansson in „Black Widow“ (2021) und wäre damals fast mit dem Film unter dem Arm davongerannt. Nun wird ihre Yelena zur desillusionierten Zentralfigur in einer Außenseiterbande, mit der Marvel ein neues Kapitel aufschlagen möchte – und dieser Neuanfang könnte sogar funktionieren. Denn Regisseur Jake Schreier verabschiedet sich nicht nur vom Superhelden-Overkill, sondern auch von digitaler Hochglanzästhetik und übertriebenen Effektegewittern. Er verleiht seinem Film einen etwas schmuddeligen Independent-Look, der bestens zur seelischen Beschaffenheit der unvollkommenen Antihelden-Gemeinde passt.

    Florence Pugh und Olga Kurylenko spielen mit in „Thunderbolts“

    Gemeinsam landet Yelena mit ihren Berufskollegen Ghost (Hannah John-Kamen), John Walker (Wyatt Russell) und Taskmaster (Olga Kurylenko) im Geheimlabor des Pharmakonzerns „OXE“. Dessen Chefin Valentina Allegra de Fontaine (Julia Louis-Dreyfus) hat ihre vier Auftragskiller in die Falle gelockt, um sie als Mitwisserinnen zu eliminieren. Gemeinsam müssen die Einzelgänger einen Weg nach draußen finden, was ihre mangelhafte Teamfähigkeit auf eine harte Probe stellt. Zu den Außenseitern stößt später noch Bucky Barnes (Sebastian Stan), der als „Winter Soldier“ in der Gruppe der einzige Superheld alter Schule ist.

    Und dann ist da auch noch dieser Bob, der als Versuchskaninchen mit einem Superhelden-Gen behandelt wurde. Schon bald erkennt Yelena in ihm einen verunsicherten Mann, der genau wie sie von traumatischen Kindheitserlebnissen verfolgt wird. Als die Gentherapie ausgerechnet bei Bob Erfolge zeichnet, versucht de Fontaine den seelisch labilen Probanden zum willenlosen Superhelden aufzubauen, mit dem sie alle Macht im Staate an sich reißen will. Schließlich muss sie sich gerade in einem Impeachment-Verfahren vor dem Kongress verantworten. Mit der mächtigen Waffe könnte sie endlich wie Donald Trump „unimpeachable“ an allen demokratischen Kontrollorganen vorbei agieren.

    Ein manisch-depressive Superheld gerät in „Thunderbolts“ außer Kontrolle

    Aber der manisch-depressive Superheld gerät außer Kontrolle und beginnt seine tödliche, innere Leere auszubreiten. Bekämpft wird er von dem Antihelden-Team jedoch nicht mit Waffengewalt, sondern indem sich Yelena buchstäblich in ihn hinein versetzt und sie sich gemeinsam den traumatischen Erlebnissen stellen. Dass hier mit einem therapeutischen Ansatz die Welt vor dem Untergang bewahrt und Empathie zur wichtigsten Waffe wird, ist doch mal eine gelungene Abwechslung im zerstörungswütigen Superhelden-Genre. Auch die visuelle Auflösung, die in verschiedene traumatische Erinnerungsräume führt, wirkt auf der Leinwand vollkommen schlüssig, ohne dass dabei die Spannung eines klassischen Finales verloren gehen muss. Der unvermeidlichen Fortsetzung von „Thunderbolts“ kann man nach diesem vielversprechenden Auftakt mit Interesse entgegenblicken.

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