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Ulm: „Wegwerfagenten“ sollen im Auftrag Russlands Hunderte Autos mit Bauschaum beschädigt haben

Ulm

„Wegwerfagenten“ sollen im Auftrag Russlands Hunderte Autos mit Bauschaum beschädigt haben

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    Die Polizei geht davon aus, dass zahlreiche Taten der vergangenen Monate der aus Russland gesteuerten Sabotageserie zuzurechnen sind. (Symbolbild)
    Die Polizei geht davon aus, dass zahlreiche Taten der vergangenen Monate der aus Russland gesteuerten Sabotageserie zuzurechnen sind. (Symbolbild) Foto: Oliver Berg/dpa

    Allein im Raum Ulm und Neu-Ulm waren im vergangenen Dezember mehr als 100 Autos beschädigt worden. Die Vorgehensweise war dabei meist dieselbe: Der Auspuff wurde mit Bauschaum gefüllt. Die Hintergründe aber waren zunächst unklar, vermutet wurden schnell radikale Klimaaktivisten. Kurz vor Weihnachten vermeldete die Polizei einen Ermittlungserfolg. Drei junge Männer aus Ulm, dem Alb-Donau-Kreis sowie dem Kreis Günzburg waren bei Berlin aufgegriffen worden. Jetzt kommt heraus: Die Männer sollen offenbar im Auftrag eines russischen Geheimdienstes gehandelt haben. Ihr mutmaßliches Ziel: Die Gesellschaft spalten.

    Das geht zumindest aus einem aktuellen Bericht des Spiegel hervor. Das Nachrichtenmagazin beruft sich auf Informationen aus Sicherheitskreisen. Die Staatsanwaltschaft in Ulm hat demnach jetzt vier Tatverdächtige im Visier, denen die Serie von Attacken auf Autos mit Bauschaum zur Last gelegt wird. Die Tatorte der insgesamt 123 Sachbeschädigungen: Blaubeuren, Langenau, Ulm, Blaustein, Beimerstetten und Neu-Ulm. Die vier Männer sind 17, 18, 20 und 29 Jahre alt. Ihren Ausweispapieren nach sollen sie aus Serbien, Bosnien-Herzegowina, Deutschland und Rumänien stammen.

    Polizei kontrolliert Transporter mit Ulmer Kennzeichen in Berlin - mit Montageschaum an Bord

    Die drei jüngeren von ihnen waren von der Polizei in Berlin kontrolliert worden. Ein Opel-Transporter mit Ulmer Kennzeichen im brandenburgischen Schönefeld war den Beamten in der Nacht wohl verdächtig vorgekommen. Gefunden wurde damals jedoch kein Einbruchswerkzeug, sondern Montageschaum. Was zunächst nach „falscher Alarm“ aussah, stellte sich Stunden später als „guter Riecher“ heraus: Zahlreiche Meldungen zu mit Bauschaum beschädigten Fahrzeugen waren bei der Polizei eingegangen. Unweit von der Stelle, wo der Transporter angehalten wurde.

    Wie im Raum Ulm waren auch bei den Taten in Berlin Aufkleber an den Fahrzeugen hinterlassen worden, auf denen „Sei grüner“ stand und daneben der grinsende Grünen-Politiker Robert Habeck abgebildet war. Der öffentliche Aufschrei war schnell groß. „Klima-Radikale attackieren Autos mit Bauschaum“, titelte Bild. Auch auf der Facebook-Seite unserer Redaktion waren sich Nutzer schnell sicher, wer die vermeintlichen Übeltäter waren: „Klima Terroristen“, schrieb eine. „Wenn man zu dumm für Argumente ist, kommen Gewalt und Sachbeschädigungen. Ein Bärendienst für den Umweltschutz“, kommentierte ein anderer.

    Deutschlandweit seien mehr als 270 Fahrzeuge beschädigt worden. Doch offenbar wurde bewusst eine falsche Fährte gelegt: Die Spur der Saboteure führt nach Spiegel-Informationen nicht zu Klimaaktivisten – sondern nach Moskau. Die Sabotageserie soll auf das Konto russischer Auftraggeber gehen. Es handle sich um eine gezielte Kampagne mit der Absicht, im Bundestagswahlkampf Hass auf die Grünen und ihren Kanzlerkandidaten Habeck zu schüren und die Gesellschaft zu spalten, heißt es im Bericht unter Berufung auf Sicherheitskreise.

    Bauschaum-Attacken auf Auto als Beleg für Russlands Einflussnahme auf die Bundestagswahl

    Der Fall gilt als Belegen dafür, wovor das Bundesamt für Verfassungsschutz kurz zuvor aufgrund der anstehenden Bundestagswahl gewarnt hatte: „Einzukalkulieren sind Aktionen der Desinformation und Diskreditierung, Cyberangriffe sowie Spionage und Sabotage“, teilte die Behörde Ende November mit. Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine habe Russland „das wohl größte und naheliegendste Interesse, die Wahl im eigenen Sinne zu beeinflussen“.

    Die drei Verdächtigen sollen gezielt per Chat des Messengers „Viber“ angeworben sein. Autos, vorzugsweise deutschen Fabrikats, sollten lahmgelegt und Grünen-Aufkleber hinterlassen werden. Fotos dienten wohl als Arbeitsnachweis, für jedes Auto seien 100 Euro versprochen worden. Der Auftraggeber soll den Männern zugesichert haben, dass er für etwaige Kosten aufkommt, sollten sie erwischt und bestraft werden. Einen Teil des Geldes, mehrere Tausend Euro, sollen die Verdächtigen schon erhalten haben – bar, in einem Briefumschlag, heißt es. Dass offensichtlich Amateure und keine professionellen Agenten zum Einsatz kommen, sei ein neues Phänomen. In Experten- und Sicherheitskreisen werden sie als „low level agents“ oder „Wegwerfagenten“ bezeichnet. Fliegen sie auf, ist der Schaden nicht so groß.

    Bei Wohnungsdurchsuchungen in Ulm, dem Alb-Donau-Kreis sowie im Landkreis Günzburg im Beisein der mutmaßlichen Verdächtigen wurden mehrere Dosen Bauschaum sowie weitere Beweismittel beschlagnahmt. Die jungen Männer machten bei der Vernehmung nur wenige Angaben, wie die Polizei damals mitteilte. Inzwischen aber soll eines der drei Männer ausgepackt haben, berichtet der Spiegel. Das Trio kam wieder auf freien Fuß. Zwei der Beschuldigten aber sollen inzwischen Deutschland verlassen haben. Für unsere Redaktion waren weder Polizei noch Staatsanwaltschaft Ulm bislang zu erreichen. (mit dpa)