In der Diözese Bozen-Brixen haben im Zeitraum von deren Gründung im Jahr 1964 bis 2023 katholische Priester 59 Minderjährige und Schutzbefohlene nachgewiesenermaßen oder „überwiegend wahrscheinlich“ sexuell missbraucht; beschuldigt wurden dementsprechend 29 Kleriker. Allerdings sei von einer „hohen Dunkelziffer auszugehen“. Das ist das Ergebnis eines mehr als 600-seitigen, unabhängigen Missbrauchsgutachtens, das von der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) erstellt wurde.
Rechtsanwalt Ulrich Wastl betonte während der anderthalbstündigen Vorstellung am Montag in Bozen: „Dies hier ist die einzige Diözese in ganz Italien, es gibt über 200, die den schmerzhaften Weg – aus unserer Sicht den einzig richtigen Weg – einer unabhängigen Aufklärung nach unserem Kenntnisstand bisher gegangen ist.“ Damit erhält die Untersuchung in dem Land, in dem Papst Franziskus Bischof von Rom ist, eine besondere Bedeutung. In Deutschland, wo im Januar vor 15 Jahren eine Welle an Enthüllungen über Missbrauchsfälle in katholischen Einrichtungen einsetzte, hat der Großteil der 27 Diözesen bereits eigene, umfassendere Studien veröffentlicht oder in Auftrag gegeben.
Bischof Ivo Muser: „Jeder Fall ist einer zu viel, viel zu viel“
Überrascht zeigten sich die Gutachter, dass in der südtiroler Diözese „über 51 Prozent der Betroffenen weiblich waren“. In Deutschland habe die Zahl der männlichen Betroffenen bei weitem überwogen. Seit dem Jahr 2010 können ihnen zufolge auf Ebene der Leitungsverantwortlichen „erste aufrichtige Bemühungen erkannt werden“, den Missbrauchsskandal in der Diözese Bozen-Brixen aufzuklären. Namen von Missbrauchstätern werden in dem Gutachten nicht genannt.
Ivo Muser, Bischof der Diözese Bozen-Brixen, sagte am Ende der Pressekonferenz: „Jeder Fall ist einer zu viel, viel zu viel.“ Er stelle sich „ganz bewusst an die Seite der Betroffenen“. Am kommenden Freitag, nach Sichtung des Gutachtens, wolle er Stellung dazu nehmen.

Für das Gutachten wurden unter anderem rund tausend Personalakten gesichtet, Zeitzeugen und Betroffene befragt. Erstmals hatte die Kanzlei WSW, die schon mehrere Gutachten für deutsche Diözesen erarbeitete, hierzu im vergangenen Jahr auch Betroffene und Zeitzeugen zur Mit- und Zusammenarbeit öffentlich aufgerufen. Rechtsanwalt Wastl erklärte am Montag, seitens der Kirchenleitung habe „von Anfang an der Wille zu Verbesserung“ bestanden. „Das erleben wir selten.“ Die Studie stelle die erste Phase des Aufarbeitungsprojekts „Mut zum Hinsehen“ der Diözese Bozen-Brixen dar.
Dieses startete 2023 nach einer Idee des aus Regensburg stammenden Jesuitenpaters Hans Zollner, der als kirchlicher Experte für die Prävention sexuellen Missbrauchs hoch anerkannt ist.
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