In Deutschland ist eine Debatte um einen besseren Schutz von Kindern und Jugendlichen im Umgang mit sozialen Medien entbrannt: Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU) sieht hier Handlungsbedarf und plädiert für eine Altersüberprüfung. „Unsere Kinder bewegen sich täglich in einer digitalen Welt, in der sie auf vieles treffen: Cybermobbing, sexualisierte Ansprache oder extremistisches Gedankengut – das überfordert junge Menschen“, sagte sie unserer Redaktion. „Grundsätzlich müssen wir Kinder und Jugendliche etwa vor Sucht, vor Gewaltverherrlichung und politischer Indoktrination durch Extremisten jeder Couleur schützen.“ Für Forderungen nach einem konkreten Mindestalter für den Zugang zu sozialen Medien habe sie große Sympathie, halte aber „eine wissenschaftliche Grundlage für hilfreich“. Mit den Bundesländern soll eine nationale Strategie für mehr Kinderschutz in der digitalen Welt erstellt werden.
Das Thema beschäftigt viele Länder. Australien hat schon ein Nutzungsverbot für Jugendliche unter 16 Jahren eingeführt. Bayerns Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) erklärte dagegen gegenüber unserer Redaktion: „Kinder und Jugendliche leben in einer digitalen Welt – sie kennen es gar nicht anders. Verbote oder pauschale Altersgrenzen bringen uns nicht weiter. Sie sind realistisch nicht umsetzbar.“ Entscheidend sei es, die Medienkompetenz der jungen Leute gezielt zu stärken „und den Kinder- und Jugendschutz sinnvoll auszubauen“. Auch SPD-Chefin Saskia Esken sagte auf Anfrage: „Ich halte nicht viel von einem Verbot einzelner sozialer Medien. Soziale Medien gehören zur Lebensrealität vor allem junger Menschen und sie sind wichtige Orte der Kommunikation, Information und Teilhabe.“ Sie setzt ebenfalls auf mehr Medienkompetenz, fordert aber auch „Transparenzpflichten der Plattformen beim Einsatz von Algorithmen und die Kennzeichnung von Bots“.

Schwere psychische Erkrankungen bei sehr jungen Menschen
Auch zwei Forscherinnen und ein Experte aus dem Bereich Psychologie und Psychiatrie sind beim Thema Regulierung eher zurückhaltend. Sie beobachten aber besorgniserregende Veränderungen: So beunruhigt es Professor Gerd Schulte-Körne, den Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der LMU in München, sehr, wie jung die Menschen schwer psychisch erkranken. Er und sein Team sehen nicht nur wesentlich mehr Persönlichkeitsstörungen bei Jugendlichen im frühen Alter, auch Essstörungen und Depressionen nehmen zu.
Welche Rolle genau soziale Medien bei dieser „globalen Krise“ der psychischen Gesundheit junger Menschen spielen, sei aber noch nicht genug erforscht, betonen Isabel Brandhorst vom Uniklinikum Tübingen und Anne-Linda Camerini von der Universität Lugano. Allerdings sagt Brandhorst, dass vorliegende Daten ergeben, dass ein Viertel der Jugendlichen kurz vor der Sucht stünden. Und sie erklärt: Man wisse nicht, ab welchem Alter Medienkompetenz potenzielle Gefahren komprimieren könne.
Viele Eltern wollen ihren Kindern eine smartphonefreie Kindheit ermöglichen
Viele Eltern scheinen Gefahren zu sehen: „Immer mehr Eltern kommen zu uns, weil sie nicht länger auf eine gesetzliche Regelung warten wollen, sie wollen handeln und zwar jetzt“, sagt Verena Holler von „Smarter Start ab 14“, einem Verein, der Teil der globalen Elternbewegung „Smartphone Free Childhood“ ist: „Weltweit stehen Eltern auf, weil sie ihren Kindern eine smartphonefreie Kindheit ermöglichen und nicht tatenlos zusehen wollen, wie riesige Industrien mit suchtfördernden Designelementen unsere Kinder bewusst in eine Abhängigkeit treiben.“ Man stehe der Digitalisierung keinesfalls ablehnend gegenüber, setze aber auf eine begleitende Nutzung und schließe sich mit Gleichgesinnten zusammen.
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