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Der weltbeste Tennisspieler Jannik Sinner aus Südtirol soll ein „widerwilliger Italiener“ sein

Südtirol

Die Geschichte von Tennisstar Jannik Sinner als angeblich „widerwilliger Italiener“

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    Auch das gibt's: Der Südtiroler Jannik Sinner auf dem Tennisplatz – und eine italienische Flagge ist dabei.
    Auch das gibt's: Der Südtiroler Jannik Sinner auf dem Tennisplatz – und eine italienische Flagge ist dabei. Foto: William West, AFP

    Wenn es um Fragen des Volkstums geht, der Identität, der Gruppenzugehörigkeit, ist die so beliebte wie wohlhabende Urlaubsregion Südtirol ein heißes Pflaster. Dies hat damit zu tun, dass der alpine Landstrich 1918 nach dem Ersten Weltkrieg von Italien annektiert wurde – obwohl die allermeisten Einwohner deutschsprachig waren. Zu Italien wollten sie nie. Kurz nach der Annexion versuchten zudem Benito Mussolini und seine Faschisten, die Südtiroler gewaltsam zu italienisieren. In größeren Kommunen wie Bozen wurden Menschen aus dem Süden des Stiefelstaates angesiedelt. Städte, Dörfer, Berge und Flüsse erhielten italienische Namen. Faschistische Denkmäler wurden gebaut. Ein Sprachkampf setzte ein. Dies alles hat in der deutschsprachigen Volksgruppe gewaltige Wunden hinterlassen. Sie schmerzen bis heute und werden stets aufs Neue gereizt. Jetzt schon wieder.

    Dabei haben sich die angestammten Südtiroler durch das hart erkämpfte Autonomiestatut von 1972 eine gewisse innere Unabhängigkeit für ihr Ländchen geschaffen. Was wiederum nationalstolze Italiener als rotes Tuch betrachten. Sie wittern einen als bedrohlich empfundenen Separatismus. Ihre Sichtweise lautet: Alle deutschsprachigen Südtiroler sollten sich endlich damit abfinden, dass sie Italiener sind und am besten ihrer Sprache und Kultur entsagen. Ende der Debatte aus Sicht der National-Italiener.

    Das Wort „italiano“ wurde in Anführungszeichen gesetzt – so, als müsste Sinner das Italienischsein abgesprochen werden

    Genau diese beiden kontroversen Standpunkte sorgen für ein völkisches Minenfeld, wie es im westlichen Europa selten geworden ist. Praktisch geht regelmäßig ein Sprengsatz hoch. Dieser Tage ist unter anderem Jannik Sinner in den Mittelpunkt des Geschehens gerückt. Kein Geringerer als der derzeit beste Tennisspieler der Welt, der aktuell beim wichtigsten Turnier der Welt in Wimbledon aufschlägt.

    Sinner (23) stammt aus Sexten im hinteren Pustertal. Italienische Faschisten haben den Ort nach dem Ersten Weltkrieg in Sesto umbenannt. Nun wurde der Sportler in der eigentlich linksliberalen Zeitung La Repubblica als „italiano riluttante“ bezeichnet. Übersetzt bedeutet dies „widerwilliger Italiener“.

    Auffallend dabei: Das Wort „italiano“ wurde in Anführungszeichen gesetzt – so, als müsste Sinner das Italienischsein abgesprochen werden. Der Hintergrund dazu: Der gegenwärtig auf Platz eins der Tennisweltrangliste stehende Südtiroler lebt in Monaco. Er versteuert dort auch sein Millioneneinkommen – und ist nicht der einzige reiche italienische Staatsangehörige, der dies tut. Süffisant reichten Fans von Sinner nach, dass etwa auch der aus Piemont stammende prominente Formel-1-Manager Flavio Briatore Monaco als Heimstatt gewählt habe. Unkritisiert übrigens.

    Jannik Sinner ist als Tennisstar im Gespräch – aber nicht nur.
    Jannik Sinner ist als Tennisstar im Gespräch – aber nicht nur. Foto: Marco Alpozzi, La Presse via Zuma Press

    Doch die La Repubblica beließ es in der Debatte nicht beim Verweis aufs schnöde Geld. Sie brachte zudem Sinners Vater ins üble völkische Spiel und toppte damit den Angriff auf den Junior. Der Senior heißt Hanspeter und betätigt sich im Heimatdorf der Sinners als Wirt. Die Zeitung wirft ihm vor, gerade mal „ein mühseliges Italienisch“ zu sprechen. Nur ein paar Wörter würde dieser beherrschen. Was wiederum wenig erstaunlich ist. Von den rund 1900 Einwohnern von Sexten gehören 92 Prozent der deutschen Sprachgruppe an.

    Auch im vergangenen Jahr gab es Ärger: Rom hatte eine Briefmarke dem Faschisten Giovanni Gentile gewidmet

    Was sich daraus ergibt, ist klar. Deutsch dient dort in allen Lebenslagen als Umgangssprache. Im Zweifelsfall zieht man zur Selbstversicherung der eigenen Art auf den örtlichen Friedhof zum Grab von Sepp Innerkofler, einem 1915 gefallenen Helden des Abwehrkampfes gegen die angreifenden Italiener im Ersten Weltkrieg. Die Deutsch sprechenden Südtiroler fühlten sich aus dem fernen Rom bösartig bedrängt. Und dies schon wieder. Erst im vergangenen Jahr hatten sich die Deutschsprachigen ähnlich kujoniert gefühlt. Seinerzeit war es eine Briefmarken-Affäre gewesen. Rom hatte eine Postwertmarke dem Faschisten Giovanni Gentile gewidmet. Dieser hatte Anfang der 1920er Jahre für Mussolini eine Schulreform durchgeführt. Sie sah unter anderem vor, dass nur noch auf Italienisch unterrichtet werden sollte – auch in Südtirol. Eine Ehrenbriefmarke für einen Faschisten? Außerhalb Italiens kaum vorstellbar. Aber in Südtirol ragen schließlich auch noch die alten, von Mussolini befohlenen Denkmäler in die Höhe – allen voran das besonders umstrittene Siegesdenkmal in Bozen. Bis heute hat noch jede italienische Regierung einen Abriss abgelehnt.

    Aber zurück zum Faschisten Gentile. Die Affäre zog Kreise bis hinein in die Südtiroler Landesregierung. Selbst der Landeshauptmann fühlte sich bemüßigt, lautstark Kritik zu üben. Seine Position entspricht jener eines deutschen Ministerpräsidenten. Der Mann heißt Arno Kompatscher und gehört der Südtiroler Volkspartei an, früher einmal die übermächtige Sammelgruppierung der Deutschsprachigen. Kompatscher schickte wegen der Briefmarke folgende Worte Richtung Rom: „Wir sind absolut dagegen und auch wütend. Es ist ein seltsames Land, in dem Briefmarken für Personen herausgegeben werden, die eng mit der Tätigkeit einer faschistischen Regierung verbunden waren, von der wir wissen, welchen Schaden sie angerichtet hat.“ Harter Tobak, zumal Kompatscher in Bozen auf eine Kooperation mit der rechten Fratelli d‘Italia, den Brüdern Italiens, angewiesen ist – jener Partei, die in Rom Ministerpräsidentin Georgia Meloni stellt und die für die Briefmarke verantwortlich zeichnet.

    Andererseits konnte Kompatscher kaum schweigen, er musste starke Worte wählen. Seine Volkspartei hat inzwischen heftige Konkurrenz von weiter rechts stehenden Gruppierungen der deutschsprachigen Volksgruppe bekommen – bis hin zur Südtiroler Freiheit, die offen eine Loslösung des Landes von Italien propagiert.

    Bei der Amtseinführung wurde der neuen Bürgermeisterin eine Schärpe in den italienischen Farben umgelegt

    Auch im Fall von Tennisstar Sinner meldete sich Kompatscher rasch zu Wort: „Ich bedauere es immer sehr, wenn das Italienischsein der deutschsprachigen Südtiroler beurteilt wird.“ Er lobte die einst für sein Land erkämpfte Autonomie. Sie sei eine Erfolgsgeschichte, die allen Bürgern in Südtirol das Recht garantiere, ihre eigene Kultur zu wahren und weiterzugeben. „Es beunruhigt mich zu sehen, dass wir auch heute noch nicht die Lektion beherzigen, dass das Konzept eines einzigen Volkes in erster Linie zur Katas­trophe der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts beigetragen hat.“

    Arno Kompatscher ist Landeshauptmann von Südtirol.
    Arno Kompatscher ist Landeshauptmann von Südtirol. Foto: Christoph Sator, dpa

    Womit sich die hoch schäumenden Emotionen wieder hätten legen können – wie im vergangenen Jahr nach der Briefmarken-Affäre. Doch dieses Mal ging die Geschichte weiter. Das hat mit der Bürgermeisterwahl in Meran zu tun, der Perle im oberen Etschtal. Siegerin wurde Katharina Zeller, wie Kompatscher Mitglied der Südtiroler Volkspartei. Sie kommt aus einer Politikerdynastie. Ihr Vater Karl war lange für die Volkspartei Senator in Rom. Ihre Mutter Julia ist dies gegenwärtig noch.

    Bei der Amtseinführung wurde Zeller eine Schärpe in den italienischen Farben umgelegt. Wie es Augenzeugen beschrieben, sei Zeller dieser Vorgang sichtlich unangenehm gewesen. Sie habe die grün-weiß-rote Trikolore rasch wieder abgenommen und über eine Stuhllehne gelegt. Die Folge: ein Proteststurm von italienischer Seite. Sogar Ministerpräsidentin Meloni meldete sich aus Rom mit einem Post in den sozialen Medien. Sinngemäß schrieb sie, eine Schärpe mit den italienischen Farben sei „keine bloße Verzierung“, sondern „das lebende Symbol der nationalen Einheit, unserer Geschichte und der Gründungswerte der Repu­blik“. Die Trikolore zu ehren, heiße, das Vaterland zu ehren. „Mit Respekt, Hingabe und Stolz. Immer.“ Katharina Zeller wiederum betonte, sie habe nicht die Schärpe abgelehnt, sondern sich gegen eine paternalistische Übergriffigkeit ihres Amtsvorgängers zur Wehr gesetzt. Also eine Art Sexismus-Abwehr.

    Ein Wort der Versöhnung gab es dann doch noch von Südtiroler Seite

    Bei der weiteren Aufarbeitung dieser Affäre stellte sich schließlich heraus, dass das Tragen der grün-weiß-roten Trikolore bei der alleinigen Übergabe von bürgermeisterlichen Insignien nicht vorgegeben ist. Die Staatsfarben kommen demnach nur bei Staatsakten von nationaler Bedeutung verpflichtend ins Spiel. Zeller schob dann auch versöhnend nach, bei solchen Veranstaltungen werde sie die Schärpe tragen. Womit die Wogen bis auf Weiteres geglättet sind.

    Aber schon naht die Zeit der Herz-Jesu-Feuer in Südtirol. Auf vielen Höhen werden dann Scheiterhaufen entfacht. Traditionell geschieht dies am dritten Sonntag nach Pfingsten, heuer also am 28. Juni. Der Zündstoff dabei: Seit dem Tiroler Freiheitskrieg gegen Napoleon Bonaparte 1809 gelten die Feuer auch als Bekenntnis der Tiroler Selbstbehauptung. Träger der Tradition sind die Schützenvereinigungen – und zwar durchaus im Geiste von Andreas Hofer, dem einstigen Anführer gegen Napoleon und dessen bayerische Verbündete, die damals Tirol besetzt hatten. Die Verbindung der Feuer mit dem historischen Widerstandsgeist zeigte sich etwa 1961. Südtiroler Rebellen wählten unter anderem die Herz-Jesu-Nacht, um in ihrem Landstrich als Protest gegen Italien zig Strommasten zu sprengen.

    Lang ist's her, könnte man sagen. Die Schützen im österreichischen Nord- und Osttirol sehen die Geschichte inzwischen auch recht gelassen. Der Großteil von ihnen hat sich ein Stück weit entpolitisiert. Anders deren Kolleginnen und Kollegen südlich des Brenners. Sie machen aus ihrer Abneigung gegen Italien keinen Hehl.

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    1 Kommentar
    Wolfgang Boeldt

    Also ich kenne einige Ecken in Südtirol - und bestimmt nicht 5-Sterne-Hotels. Meine Beobachtungen - so seit ungefähr 45 Jahren - die Konflikte sind selbt im urbanen Bereich höchstens noch rudimentär vorhanden. Man kommt sehr gut miteinander aus. Wenn man früher von den Walschen (oder auch Welschen) sprach war das so gut wie immer mit einem Augenzwinkern verbunden

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