Polizeigewerkschaft kritisiert Justiz und Behörden nach "Querdenken"-Demo
Exklusiv Die "Querdenken"-Demonstration in Leipzig ist aus dem Ruder gelaufen. Der sächsische GdP-Landeschef Husgen sagt: "Wir fühlen uns als Polizisten im Stich gelassen."
Nach den Ausschreitungen rund um die Demonstration gegen Corona-Maßnahmen in Leipzig wehrt sich die Polizei gegen Vorwürfe, sie habe nicht entschieden genug durchgegriffen. „Anstatt über angebliches Polizeiversagen zu reden, sollte man die wahren Ursachen für die Eskalation benennen: Man hätte diese ganze Situation überhaupt nicht zulassen dürfen“, sagte der sächsische Landeschef der Polizeigewerkschaft GdP, Hagen Husgen, unserer Redaktion. Die Bilder aus Leipzig, wo am Sonntag Tausende Menschen – von der Polizei weitgehend unbehelligt – Abstands- und Hygieneregeln ignorierten und ohne Mund-Nasen-Schutz ausgelassen Polonaise tanzten, lösten bundesweit massive Irritationen aus.
Gewerkschafter nach Demo: „Wir fühlen uns als Polizisten im Stich gelassen"
Die Bundesregierung hat die Missachtung von Auflagen und die Gewalt bei der Demonstration ebenfalls scharf verurteilt. Nach der Auflösung der Versammlung hätten „Extremisten, Chaoten, gewaltbereite Menschen“ sich ihren Weg durch Leipzig gebahnt, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. „Gewalttätige Auseinandersetzungen und der Missbrauch des Demonstrationsrechts sind nicht zulässig.“
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder forderte eine klare Aufarbeitung der Ereignisse. „Alle müssen sich an die Regeln des Gesundheitsschutzes halten. Es gibt hier keine Sonderrechte für Querdenker – ganz im Gegenteil“, sagte der CSU-Chef. Bundesinnenminister Horst Seehofer hatte noch am Sonntagabend der Polizei seine „volle Rückendeckung“ zugesichert. Auch der Augsburger CSU-Bundestagsabgeordnete Volker Ullrich wies die Kritik an den Einsatzkräften vor Ort zurück: „Sie haben in dieser unübersichtlichen Situation angemessen reagiert. Sorgen muss uns bereiten, dass Teile der Querdenker-Bewegung sich zunehmend radikalisieren.“
Polizeigewerkschafter Husgen sieht die Schuld an der Eskalation vor allem beim sächsischen Oberverwaltungsgericht: „Dass es diese Demo so genehmigt hat, ist für mich völlig unverständlich.“ Hintergrund: Die Stadt hatte die Proteste ursprünglich aus dem Zentrum heraushalten wollen, doch die Richter erteilten kurzfristig doch eine Genehmigung für die Innenstadt.
Warum die Beamten nach der Auflösung der Demonstration mit mehreren Zehntausend Teilnehmern kaum noch eingriffen und die Situation in der Innenstadt derart außer Kontrolle geraten konnte, bleibt unklar. Für Husgen steht fest, dass die Polizisten es gar nicht richtig machen konnten. „Meine Kolleginnen und Kollegen sind richtig erzürnt darüber. Wenn wir deeskalieren, heißt es, die Polizei habe zu lax reagiert. Wenn wir härter durchgreifen, ist sofort von Polizeigewalt die Rede.“ Der Vize der FDP-Bundestagsfraktion, Stephan Thomae, fordert Konsequenzen: „Der Kontrollverlust ist ein Armutszeugnis. Es muss jetzt umfassend aufgearbeitet werden, warum die sächsische Polizei die Demonstration nicht konsequent auflösen konnte.“ Die Eskalation in Leipzig bezeichnete er als „Schlag ins Gesicht für all diejenigen, die sich an die Corona-Maßnahmen halten oder wie Gastronomie, Hotellerie und Eventbranche unter den Maßnahmen besonders zu leiden haben“.
Auch Husgen fürchtet eine verheerende Signalwirkung. „Die Menschen, die sich zum größten Teil vernünftig verhalten, verstehen die Welt nicht mehr. Sie fragen sich natürlich: Ich darf nicht zum Fußball, nicht zum Eishockey, nicht in die Gaststätte, nicht mit der Familie feiern und hier wird zugelassen, dass sich mitten in der Innenstadt von Leipzig Zigtausende Leute treffen, die keinen Mund-Nasen-Schutz tragen. Wo bleibt da die Konsequenz?“
Lesen Sie dazu auch:
- Seehofer über Leipzig-Demo: Polizei nicht vorschnell kritisieren
- Eskalation mit Ansage: Stimmung kippt bei "Querdenken"-Demo in Leipzig
- Gegner der Corona-Maßnahmen wollen in München demonstrieren
Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um die Karte von Google Maps anzuzeigen
Hier kann mit Ihrer Einwilligung ein externer Inhalt angezeigt werden, der den redaktionellen Text ergänzt. Indem Sie den Inhalt über „Akzeptieren und anzeigen“ aktivieren, kann die Google Ireland Limited Informationen auf Ihrem Gerät speichern oder abrufen und Ihre personenbezogenen Daten erheben und verarbeiten, auch in Staaten außerhalb der EU mit einem niedrigeren Datenschutz Niveau, worin Sie ausdrücklich einwilligen. Die Einwilligung gilt für Ihren aktuellen Seitenbesuch, kann aber bereits währenddessen von Ihnen über den Schieberegler wieder entzogen werden. Datenschutzerklärung
Die Diskussion ist geschlossen.
Ob der Polizeieinsatz falsch geplant und falsch geführt worden ist, kann ich natürlich nicht beurteilen. Doch den Frust und den Zorn der Polizisten über die OVG-Entscheidung verstehe ich. Das Versammlungsrecht ist ein Grundrecht. Doch die Behörden müssen die Möglichkeit haben, bei zu erwartenden großen Risiken bei Demonstrationen mit Auflagen diese Risiken zu begrenzen.
Raimund Kamm