Bartholomäus Grill: "Die herrschende Elite bereichert sich selbst"
Bartholomäus Grill berichtet seit Jahrzehnten als Journalist aus Afrika. Wo er die Probleme des Kontinents sieht und welche Fehler der Westen macht.
Herr Grill, Deutschland tut sich oft schwer im Umgang mit Afrika, ist gefangen in Zerrbildern: Den einen gilt Afrika als Sinnbild für Armut und Tod, die anderen sehen Afrika als Zukunftskontinent. Wer hat recht?
Grill: Ich bin seit 40 Jahren in Afrika unterwegs und würde mich genau zwischen diesen beiden Positionen verorten und als Afro-Realisten bezeichnen. Weder glaube ich diesen absolut optimistischen, romantisierenden Stimmen, die Afrika zum Jahrhundertkontinent erklärt haben, zum Kontinent der unbegrenzten Möglichkeiten. Noch glaube ich, dass man Afrika nur als „K“-Kontinent betrachten sollte, als einen Kontinent der Krisen, Kriege, Krankheiten und Korruption.
Sie gingen als junger Mann als „Dritte-Welt-Bewegter“ nach Tansania. Müssen Sie heute manchmal schmunzeln über Ihre damaligen Ansichten und Erwartungen?
Grill: Ja, auf jeden Fall, denn auch ich bin mit einer gewissen Naivität nach Afrika gegangen - mit der Einstellung: Wir retten jetzt Afrika und wir wissen, wie es geht. Natürlich war das eine große Selbsttäuschung, und je mehr man dann lernt über diesen Kontinent, je länger man unterwegs ist, desto besser kann man diese Fehlurteile und Projektionen korrigieren.
Abiy Ahmed: vom Friedensnobelpreisträger zum Kriegsfürsten
In Deutschland wird Afrika oft als so eine Art Land betrachtet, als einheitliche Masse. Wie groß sind aus Ihrer Sicht die Unterschiede zwischen diesen Ländern?
Grill: Man kann Afrika nicht über einen Kamm scheren. Das wäre genauso, als würde man über Europa reden, indem man Albanien und Norwegen gleichsetzt oder Bulgarien und Schweden. Diese Differenzierung fehlt eben oft im Blick auf Afrika, der Kontinent gilt als monolithische Krisenmasse. Doch es gibt Länder, die große Fortschritte machen, Länder, die sich durchwursteln, und Länder, die zusammenbrechen unter Bürgerkriegen. Vieles ändert sich. Schauen Sie nach Äthiopien, das war vor wenigen Jahren noch ein Hoffnungsland, hatte das höchste Wirtschaftswachstum der Welt, jährlich nahezu zehn Prozent. Premierminister Abiy Ahmed erhielt den Friedensnobelpreis. Nun ist er zum Kriegsfürsten geworden und hat einen Bürgerkrieg entfesselt. Aus der umkämpften Provinz Tigray wird wieder eine Hungersnot gemeldet, hunderttausende Menschen sind auf der Flucht. Das wirft ein Land, das auf einem guten Wege war, wieder weit zurück.
Woran liegt das, dass diese Länder ihre Erfolge so schnell verspielen?
Grill: Es liegt am Versagen der politischen Machthaber. In allen Ländern, die große Probleme haben, gibt es eine herrschende Elite, die sich selbst bereichert, die hochkorrupt ist und die auch in vielen Politikfeldern einfach unfähig ist. Das muss man klar sagen.
Sie selbst leben in Südafrika. Dort ist eine Mittelschicht herangewachsen, trotzdem strauchelt das Land wieder. Wie kann das sein?
Grill: Wir müssen diese neue Mittelschicht differenziert betrachten. Denn die meisten, die in die Mittelschicht aufgestiegen sind, haben das geschafft, weil der Staatsapparat aufgebläht wurde. Das ist ein klassischer Fehler in der postkolonialen Geschichte vieler Länder: Um schnell Arbeitsplätze zu schaffen, baut man einen riesigen, bürokratischen Staatsapparat auf, in dem viele Leute arbeiten, die eigentlich ihren Aufgaben gar nicht gewachsen sind. Das belastet den Staatshaushalt enorm. In Südafrika etwa wurde die Zahl der Minister verdoppelt, Ministerialdirektoren gibt es unterdessen zehn Mal so viele und im Öffentlichen Dienst wurden hunderttausende von neuen Stellen geschaffen.
China überschwemmt Afrikas Märkte
Dabei versucht doch die europäische Entwicklungshilfe auf gute Regierungsführung zu achten. Ein anderer Player, China, stellt keine Bedingungen für seine finanzielle Unterstützung. Wie bewerten Sie den Einsatz von Peking in Afrika?
Grill: China ist auf dem Weg zur Superpower des 21. Jahrhunderts, eine ökonomische Weltmacht ist es schon jetzt. Und als solche handelt China natürlich im eigenen Interesse. China ist hungrig nach Rohstoffen, die eigene Wirtschaft wächst schnell, zugleich braucht das Land neue Absatzmärkte. China überschwemmt also die afrikanischen Märkte mit seinen Billigwaren. Gleichzeitig aber haben die Chinesen viele Infrastrukturmaßnahmen vorangetrieben, sie haben Flughäfen, Häfen, Eisenbahnlinien, Krankenhäuser und vieles mehr gebaut. Fest steht: Die Chinesen haben in den letzten 20 Jahren ökonomisch mehr bewirkt als die westliche Entwicklungshilfe in 60 Jahren.
Ist das auch nachhaltig?
Grill: Das Problem ist, dass sich mittlerweile eine neue Schuldenfalle abzeichnet. Länder wie Sambia etwa verschulden sich massiv bei den Chinesen. Die fordern im Gegenzug Vermögenswerte, also die Mautstationen an der Autobahn, die sie gebaut haben, ein Bergwerk, einen Flughafen. Das führt zu einem schleichenden Ausverkauf des Landes und hat in Sambia dazu geführt, dass der Präsident unlängst abgewählt wurde. Die Menschen sehen, dass die politische Elite die Reichtümer ihres Landes verscherbelt. Dabei zeigt sich leider ein altes Problem: Afrika liefert Bodenschätze, die Wertschöpfung findet anderswo statt.
Südafrikas Präsident spricht von Impfstoff-Apartheid
Während der Corona-Pandemie waren es wieder die Chinesen, die ihren Impfstoff nach Afrika geliefert haben, die Europäer und Amerikaner haben sich auf sich selbst konzentriert. Wurde das in Afrika registriert?
Grill: Das wurde sehr genau registriert. Der südafrikanische Präsident sprach angesichts des Mangels an Vakzinen sogar von einer globalen Impf-Apartheid. Auch US-Präsident Biden sagt „America First“, erst dann folgt der Rest der Welt. Genauso macht es die EU. Die Verteilung der Impfstoffe an die armen Länder überlässt man der Weltgesundheitsorganisation, mit dem Ergebnis, dass gerade einmal drei Prozent der afrikanischen Bevölkerung geimpft sind.
Wie stark hat die Corona-Epidemie den Fortschritt in den afrikanischen Ländern ausgebremst, Wohlstand zerstört?
Grill: Vor allem die ärmeren Schichten spüren die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie. Da ist zum Beispiel das ganze Heer, man kann das ja fast so nennen, der modernen Dienstleistungssklaven. Also all die Kindermädchen, Hausangestellten, einfachen Arbeiter, die ihre Jobs verloren haben. Das hat enorme Rückwirkungen auf die wirtschaftliche Lage in den Townships. Gleichzeitig leidet die gesamte Wirtschaft. In den Einkaufsstraßen Kapstadts hat gefühlt jedes zweite Geschäft geschlossen. Auch der Tourismus, eine wichtige Einkommensquelle für Südafrika, ist weggebrochen. Die reichen Länder haben milliardenschwere Ausgleichsinstrumente. Über diese Mittel verfügen die meisten Regierungen Afrikas nicht.
Wie kann der Westen Afrika helfen?
Gibt es Länder oder Personen, die Ihnen Hoffnungen für die Zukunft machen?
Grill: Ich schwanke zwischen Zuversicht und Enttäuschung, Optimismus und Pessimismus, denn ich habe schon an einige Hoffnungsträger geglaubt und wurde bitter enttäuscht. Nehmen Sie den schon erwähnten Abiy Ahmed in Äthiopien. Als er die Macht übernahm, hatte jeder Taxifahrer ein Bildchen von ihm in seinem Fahrzeug, und die Leute waren glücklich, endlich einen demokratischen Staatschef zu haben. Unterdessen hat Abiy einen Bürgerkrieg entfesselt und lässt Andersdenkende einsperren.
Was macht das mit Ihnen als Korrespondent? Ist das nicht manchmal frustrierend?
Grill: Ich lebe seit Anfang der 90er Jahre in Südafrika, das Land ist meine zweite Heimat geworden. Umso enttäuschter bin ich über den Niedergang dieses wunderbaren Landes. Vielleicht auch deshalb, weil meine Erwartungen viel zu hoch waren. Ein anderes Beispiel: Wenn ich vor 30 Jahren durch Nigeria fuhr, konnte ich mit jedem reden, fühlte mich nie bedroht, es gab keinen islamistischen Terrorismus, der Islam war vergleichsweise liberal. Das hat sich gründlich geändert, heute müssen Kollegen und Kolleginnen fürchten, entführt zu werden, wenn sie dort recherchieren. Andere Länder haben in den vergangenen Jahren wirklich große Fortschritte gemacht, demokratiepolitisch wie wirtschaftlich. Eines davon ist Ghana, ein anderes ist Tansania. Dem gegenüber stehen Länder wie Südsudan, ein hoffnungsloser Fall, obwohl die Regierung Milliarden an Aufbauhilfe erhalten hat.
Was kann der Westen machen? Noch mehr Geld geben? Militärisch eingreifen?
Grill: Nein, das ist ja das Problem. In Mali hat der Westen versucht den islamistischen Terrorismus zurückzudrängen. Nun stellt man allmählich fest, dass die militärische Intervention genauso scheitern könnte wie in Afghanistan. Man weiß einfach zu wenig über diese Länder und denkt: Wir gehen da mal kurz hin, räumen auf und alles wird gut.
Man denkt, die Leute müssten sich freuen, dass wir ihnen helfen...
Grill: In Mali hieß es am Anfang tatsächlich „Vive la France“, die Leute haben gefeiert. Inzwischen werden die Franzosen als Besatzungsmacht gesehen, weil sich am Leben der Menschen nichts ändert und die Gewaltausbrüche im Land eher noch schlimmer geworden sind. Zum islamistischen Terrorismus kamen ethnische Konflikte und Verteilungskämpfe. Die Partner, mit denen der Westen zusammenarbeiten muss, bestehen aus einer Clique von Offizieren, die sich an die Macht geputscht haben und nun russische Söldner einladen, um aufzuräumen. Man kann Demokratie und Entwicklung nicht importieren wie ein Impfprogramm. Die entscheidende Erkenntnis ist, dass es für afrikanische Probleme auch afrikanische Lösungen braucht. Solange die Länder und ihre Eliten selbst nicht willens und in der Lage sind, die Dinge zu ändern, solange wird die Misere bleiben.
Bartholomäus Grill, 67, ist Autor und vielfach ausgezeichneter Journalist. Er schrieb für den Spiegel und Die Zeit. Er lebt seit Jahrzehnten in Südafrika und hat dem afrikanischen Kontinent mehrere Bücher gewidmet. Sein aktuelles Buch heißt: "Afrika! Rückblicke in die Zukunft des Kontinents".
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Ja, das arme Afrika. Und immer wieder der Hinweis auf Korruption.
Mit wie vielen Regierungen, teils Despoten, arbeitet die EU eigentlich hervorragend zusammen?
Wie viele Verträge ziehen die Afrikanischen Länder über den Tisch?
Da ist ein Hinweis auf China wohl eher kontraproduktiv. Lassen sich die europäischen Länder ihre Hilfe etwa nicht bezahlen?
Wenn es um das eigene Verschulden geht herrscht leider weitgehend Funkstille.
>> ...weil der Staatsapparat aufgebläht wurde. Das ist ein klassischer Fehler in der postkolonialen Geschichte vieler Länder: Um schnell Arbeitsplätze zu schaffen, baut man einen riesigen, bürokratischen Staatsapparat auf, in dem viele Leute arbeiten, die eigentlich ihren Aufgaben gar nicht gewachsen sind. <<
Das ist nicht postkolonial, sondern schlicht sozialistisch. An dieser Krankheit können die Staaten der ehemaligen Kolonialpersonen (geil das zu gendern) auch leiden.
Ohne Äpfel mit Birnen zu vergleichen -
nur beim Lesen der Überschrift kommt mir so in den Sinn, dass das kein afrikanisches Alleinstellungsmerkmal ist.
Hervorragender Artikel. Hinzu kommt in vielen Ländern Afrikas das Problem der hohen Geburtenraten, die das Wohlergehen der Länder und deren Zukunft gefährdet. Auch herrscht oft bei Teilen der Bevölkerung die Taglöhner- Mentalität- wenn erst Mal wieder genug Mittel für das Leben der Familie für die nächste Zeit erarbeitet ist, verabschieden sich die Leute aus den Jobs. In Südafrika erlebt man, dass bisher blühende Unternehmen, deren Produkte mit westl Standards von Design und Qualität , am Weltmarkt ebenbürtig sind, langsam abgleiten durch Misswirtschaft und Einsetzen von unqualifizierten Leuten in Führungspositionen.
Und die dann auch noch vom Firmeneigentum Mittel für den eigenen Clan abzweigen d.h. zu deutsch veruntreuen.