
Die Empörung der Katholiken droht die Kirche auszubluten
Der Skandal um sexuellen Missbrauch und die Austritte auf Rekordhöhe wirken existenzbedrohend für die katholische Kirche. Höchste Zeit, dass sich etwas ändert.
Alles Missbrauch oder was? Mit keinem anderen Thema werden die deutschen katholischen Bischöfe derzeit so massiv konfrontiert. Eine lang beschwiegene Vergangenheit fällt ihnen jetzt auf die Füße und verdrängt aus der öffentlichen Wahrnehmung alles andere, was die Kirche der Gesellschaft momentan zu sagen hätte. Sogar die Wahl einer Generalsekretärin für die Bischofskonferenz fällt – obwohl es ein weiteres beachtliches Zeichen von Frauenförderung in kirchlichen Führungsämtern ist – fast komplett durch.
Der Missbrauchsskandal droht der katholischen Kirche die letzte Glaubwürdigkeit zu rauben, obwohl sich gerade die deutschen Bischöfe in den letzten zehn Jahren wirklich ernsthaft um Aufklärung und Aufarbeitung bemüht haben. Jedoch befeuert die bockige Widerspenstigkeit des Kölner Kardinals Woelki – die auch der Vorsitzende der Bischofskonferenz zerknirscht hinnehmen muss, denn jeder Oberhirte handelt souverän – die öffentliche Empörung ständig weiter.
Die katholische Kirche muss lernen auf die Menschen zu hören
Die enorme Steigerung der Kirchenaustritte, die daraus resultiert, könnte die Institution schon bald existenzbedrohend ausbluten. Es fallen dadurch ja nicht nur Kirchensteuereinnahmen aus, schmerzlich fehlen werden in den Pfarrgemeinden auch die Tatkräftigen und Engagierten. Tief in ihrem Vertrauen erschüttert und erbittert darüber, dass Anspruch und Wirklichkeit in skandalöser Weise auseinanderklaffen, hält selbst sie nichts mehr. Zugleich dezimiert die unausgewogene Altersstruktur die Kirchenmitglieder: Sie sterben weg.

Wird der Katholizismus mangels Masse also eines Tages in Deutschland untergehen? Ein Augsburger Historiker gibt der Kirche gerade noch 20 Jahre. In ihrer heutigen Gestalt. Denn zweifellos steht die Kirche vor einem epochalen Umbruch, wie es ihn zuletzt vor 200 Jahren gab, als Bischöfe aufhörten, auch Fürsten zu sein. Heute müssen sie lernen, auf die Gläubigen, ja allgemeiner auf die Menschen zu hören, anstatt von oben herab unumstößliche Lehren zu predigen und moralische Verurteilungen auszusprechen. „Wir merken, dass die alten Bilder von Seelsorge und auch von Leitung in der Kirche nicht mehr tragen, aber wir haben noch keine neuen Bilder“, sagt der Vorsitzende Bischof Georg Bätzing völlig zutreffend.
Das Zeitfenster für notwendige Veränderungen in der Katholischen Kirche schließt sich
Die große Verunsicherung in der Kirche führt zu heftigen Spannungen. Alte Differenzen, wie eng sich Katholiken an Rom anzuschließen haben, wie glaubensfest und wie unnachgiebig gegenüber Fehltritten sie sein sollen, spiegeln sich auch in der Deutschen Bischofskonferenz. Einige Mitbrüder, vor allem die konservativen, gefallen sich darin, gehässig über andere herzuziehen. Der Synodale Weg ist ein Kampfplatz geworden, um alle, die Veränderungen anstreben, als Verräter zu brandmarken. Damit mag man sich den Beifall der radikalen Minderheit sichern. Die meisten Kirchenmitglieder stößt dieser Krieg im Inneren ab. Sogar der päpstliche Nuntius sah sich genötigt, die Bischöfe eindringlich zu ermahnen, nicht in ein zerstörerisches Freund-Feind-Schema zu verfallen.
Längst ist klar, dass es in der Kirche Veränderungen geben muss – im geschwisterlichen Miteinander, in der geistlichen Führung, in der Orientierung an den Fragen und Bedürfnissen heutiger Menschen. Das Zeitfenster dafür schließt sich schneller als vermutet. Die erwartbare Halbierung der Einnahmen erzwingt herbe Einschnitte. Auch der Personalstand wird sich spürbar verringern. Überflüssig wird die Kirche nicht, wenn sie mit der Religion echt dem Leben dient und tragfähige Orientierung vermittelt, ohne Menschen zu beherrschen. Denn unstillbar ist das menschliche Verlangen, dass das Leben trotz aller Blessuren gut ausgehe.
Lesen Sie dazu auch:
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"Heute müssen sie lernen, auf die Gläubigen, ja allgemeiner auf die Menschen zu hören, anstatt von oben herab unumstößliche Lehren zu predigen und moralische Verurteilungen auszusprechen."
Das mag wohl in der Theorie stimmen, jedoch ist das der katholischen Kirche schlicht nicht möglich. Das hat weniger was mit wollen, sondern mit können bzw. dürfen zu tun, denn die Kirche begründet sich auf Dogmen und das sind unumstößliche Lehrsätze, die nicht reformierbar sind. Würde man sie reformieren oder in Teilen gar abschaffen, wäre es nicht mehr die katholische Kirche. Irgnorieren und ausblenden ist ebenfalls nicht machbar, denn wer würde schon gegen die eigenen Wahrheiten verstoßen. Daher ist dieser Widerspruch, was die Gläubigen erwarten und was die Kirche ihnen anbieten kann bzw. was sie ihnen nicht anbieten darf, faktisch nicht zu lösen.
Aber selbst wenn man hypothetisch mal davon ausginge, dieses Paradoxon wäre zu lösen, würde sich die katholische Kirche tatsächlich für den richtigen Weg entscheiden? Ich glaube nicht und möchte hier auf die evangelische Kirche verweisen, die wesentlich weniger dogmatisch aufgestellt ist. Trotz den fehlenden Dogmen steht diese Kirche nur wenig besser da, denn sie hat sich dazu entschieden, stark einem vermeindlichen Zeitgeist hinterzulaufen. Teilweise könnte man bei vielen derer Vertreter meinen, man würde einem Politiker der Gründen, im besten Fall der SPD zuhören. Nur dafür braucht man nicht die evangelische Kirche, sondern kann gleich bei den genannten Parteien eintreten und anstatt der Kirchensteuer Mitgliedsbeiträge bezahlen.
Was machen also diejenigen, die weder der dogmatischen katholischen, noch der zeitgeistgetriebenen evangelischen Kirche was abgewinnen können? Sie suchen sich einfach eine "Ersatzreligion", ein Lebenskonzept, dass zu ihren Vorstellungen passt. Und wer einmal gemerkt hat, es geht auch ohne Kirche, der kommt nicht mehr zurück und auch seine Kinder sind nicht mehr zu gewinnen.
Ich denke, die Zeit der Kirchen, so wie wir sie kennen, ist in Deutschland vorbei. Ob man das jetzt gut oder schlecht findet, sei jedem selbst überlassen.
Einen gewichtigen Punkt wurde im Kommentar jedoch nicht bedacht, nähmlich das die katholische Kirche eine Weltkirche ist. Der Kommentar ist aber aus rein deutscher Sicht geschrieben. Die Veränderungen, die deutsche Laien, aber auch etliche Priester wollen, werden in anderen Ländern komplett abgelehnt. Man kann daher nicht zweigleisig fahren. Ich denke, die katholische Kiche wird sich zukünfig auf andere Länder bzw. Kontinente konzentrieren.
"Teilweise könnte man bei vielen derer Vertreter meinen, man würde einem Politiker der Gründen, im besten Fall der SPD zuhören."
Sie meinen sicher die Grünen.
Die Anpassung an den Zeitgeist, an die herrschende Meinung, in der Regel meist die Meinung der Herrschenden, die Kungelei mit den Mächtigen ist einer der Hauptgründe, dass die christlichen Kirchen so lange überlebt haben. In meiner Jugend glich die Predigt bei vielen katholischen Sonntagsgottesdiensten einer Wahlveranstaltung der CSU.
Viele Würdenträger des kath. Klerus bezeichneten z. B. in den 70er Jahren Grün zu wählen als unvereinbar mit dem christlichen Glauben.
In unserer Zeit, nachdem sich beide christlichen Kirchen - die eine mehr, die andere weniger - auf die Kerne der Botschaft Jesu, die Liebe zum Nächsten, Brüderlichkeit, Achtung des Lebens und der Schöpfung etc. besinnen, kriegen sie die Wut und den Hass ihrer enttäuschten ewig gestrigen Freunde von einst zu spüren.
Was die Kirchen gerade erleben ist, um es in der Sprache der Bibel zu sagen, die Trennung der Spreu vom Weizen . . .
Also die katholische Kirche hat so ungefähr 1,2 - 1,4 Milliarden (!) Mitglieder. So schnell blutet da nichts aus.
Es ist traurig, dass ein paar alte Männer dafür sorgen, dass etwas, was so lange Bestandteil im Leben vieler Menschen war, kaputt gemacht wird. Sehenden Auges sorgen sie dafür, dass die Menschen sich abwenden. Diesen alten Männern wird's egal sein, denn solange sie leben, wird's schon noch funktionieren.
Da fällt mir eine Textzeile von Willy Michl ein: Looking for glory? Glory never has been here.