Sde Boker ist ein Dorf mit Geschichte. In dem kleinen Kibbuz mit den schlichten Häusern in der Wüste Negev lebte der israelische Staatsgründer David Ben Gurion. Im Mai 1966, genau ein Jahr nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen dem Land der Opfer und dem Land der Täter, besuchte Konrad Adenauer ihn dort. Es war erst ihr zweites Treffen überhaupt, hier der knorrige Konservative, dort der aus Polen ausgewanderte Sozialist, beide schon im politischen Ruhestand. Am Ende aber verabschiedete Ben Gurion seinen Besuch mit einem Satz, der damals viele Israelis empörte: „Ich habe einen Freund getroffen.“
Freundschaft ist ein großes Wort, im Privaten wie im Politischen. Für Deutschland und Israel gilt das noch mehr, über ihren Beziehungen liegt noch immer der Schatten der Shoa mit sechs Millionen ermordeten Juden. Vor allem in Israel wurde die vorsichtige Annäherung zwischen beiden Staaten, die schon in den 50er Jahren begonnen hatte, deshalb lange Zeit kritisch gesehen. An den heftigen Protesten dagegen beteiligte sich auch der junge Reuven Rivlin, der Vorgänger des heutigen Präsidenten Jitzchak Herzog.
Wie fest steht Deutschland an der Seite Israels?
Heute zählen beide zum Freundeskreis von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Doch so unerschütterlich wie das offizielle Deutschland und das offizielle Israel ihr gutes Miteinander feiern, Städtepartnerschaften initiieren und einen intensiveren Jugendaustausch, so dünn ist der Firnis, der dieses sehr spezielle Verhältnis schützt. Seit den Massakern vom 7. Oktober haben viele Israelis den Eindruck, dass Deutschland mehr mit den Menschen in Gaza fühlt als mit den Geiseln der Hamas und den Familien, die Opfer des größten Judenmordes seit der Shoa geworden sind. Ziehen in Deutschland die pro-palästinensischen Demonstrationen mit ihrem aggressiv zelebrierten Judenhass nicht ungleich mehr Teilnehmer an als die Mahnwachen und Kundgebungen, die an Israels Schicksal erinnern? Und warum hat Deutschland zwischenzeitlich eigentlich seine Waffenlieferungen an Israel zurückgefahren?
In Deutschland wird Israel zunehmend in die Rolle des Täters gedrängt
Israel hat Deutschland viel zu verdanken, vor allem eine enorme Hilfe beim Aufbau des Landes, das sich schnell von einem Agrarstaat, der der Wüste Quadratmeter um Quadratmeter abtrotzen musste, zu einem High-Tech-Standort entwickelt hat. Gleichzeitig blickt Deutschland noch immer mit einem diffusen Argwohn und einer teilweise schon beängstigenden Unkenntnis auf die einzige Demokratie im Nahen Osten, ein ebenso faszinierendes wie widersprüchliches Land. Sein Regierungschef ist, ob man ihn mag oder nicht, demokratisch gewählt. Er ist kein Kriegsverbrecher, sondern ein Mann, der sein Land verteidigt, wenn auch nicht zimperlich in seinen Mitteln. Aus gutem Grund: Am 7. Oktober ist Israel, das den Juden der Welt nach der Shoa für immer ein sicheres Zuhause bieten wollte, zum zweiten Mal zum Land der Opfer geworden. In Deutschland dagegen wird es zu nehmend in die Rolle des Täters gedrängt.
In Sde Boker zeigt eine der Frauen, die Besucher durch das Haus von Ben Gurion führen, gerne ein Foto von Angela Merkel in ihrem Kibbuz. Die Kanzlerin hat Israels Sicherheit 2008 zur deutschen Staatsräson erklärt. Zu dieser Sicherheit aber gehört auch die Sicherheit, irgendwann nicht mehr aus Gaza, dem Libanon, dem Iran oder dem Jemen angegriffen zu werden. Was Deutschland dafür bereit ist, zu tun, ist auch nach 60 Jahren diplomatischer Beziehungen noch eine offene Frage.
Vielen Dank Herr Wais, dass Sie zur Sprache bringen, was viele andere oft verschweigen. Ein höchst erfreulicher Text, dessen Aussagen dick zu unterstreichen sind und von dem es mehr geben sollte. Bedenklich ist nur, dass solche Artikel in der deutschen Presse zu etwas Besonderem geworden sind. Umso mehr gilt es, sie zu würdigen.
Wann endlich realisiert Herr Wais, dass das "Land der Opfer" unter ihrem Kriegsverbrecher Netanjahu und seiner rechtsextremen Regierung zu einem Land der Täter geworden ist, das im Begriff ist, einen Völkermord an den in Gaza lebenden Menschen zu begehen? Dazu sollte Deutschland nicht die Hand reichen, sondern seine Hilfe einstellen und insbesondere keine Waffen mehr liefern.
„Er ist kein Kriegsverbrecher“, auf diese Feststellung zu Israels Regierungschef habe ich mit meinem Kommentar reagiert. Denn die Zeit, in der man sich in Deutschland mit einer anzweifelbaren Unbedenklichkeitsbescheinigung einer weiteren Untersuchung entziehen konnte („Persilscheine“ wurden sie bei der Entnazifizierung in der Nachkriegszeit genannt), ist abgeschlossen. Und in der deutsch-israelischen Beziehung sieht auch Georg Schwarte vom ARD-Hauptstadtstudio ein Dilemma. – vgl. sein Artikel von heute Früh mit der Überschrift „Zerreißprobe für die Staatsräson?“ Wie Amnesty International erwarte auch ich von der deutschen Bundesregierung ein klares Bekenntnis zum IStGH, und zwar u. a. indem gesuchte Personen verhaftet werden, wenn sie sich in Deutschland aufhalten.
Israels Premierminister ist ein Kriegsverbrecher. Zurecht ist er zur Festnahme ausgeschrieben. Deutschland muss endlich Konsequenzen ziehen, und die Waffenlieferungen an Israel einstellen, solange das Land zehntausende von Palästinensern in Gaza tötet und die Bürger von dort durch Aushungern vertreiben will! Gerade im Wissen um erst die Vertreibung von Juden aus Deutschland, dann deren Vernichtung in Ghettos und KZs hat Deutschland eine moralische Verpflichtung klar für die Menschenrechte der drangsalierten Palästinenser einzutreten. Mit lauen Worten deutscher Politiker werden die Verbrechen der israelischen Regierung nicht gestoppt. Deutsche Politiker sollten sich nicht hinter den Verbrecher der Hamas verstecken und damit ihre Unterstützung der israelischen Verbrechen zu begründen versuchen. Wer nicht konsequent den Mördern die Waffen verweigert, wird Komplize. Raimund Kamm
Schon interessant, wie manche indirekt die Terrortaten der HAMAS legitimieren wollen. Israel, ein Land, welches sich im Abwehrkampf gegen Terror, insb. durch die HAMAS, bewegt, immer und immer wieder auf Zurückhaltung bei deren Bekämpfung hingewiesen wurde, nun, man kann heute sehen, wohin diese Zurückhaltung geführt hat. Wie in so vielem scheint bei vielen das Mitleid bei den Tätern zu finden zu sein.
Diese Anschuldigung, dass ich Terroristen verteidige, ist ausgemachter Quatsch. Was zur Eskalation geführt hat auf beiden Seiten, würde die Kommentarspalte überfordern. Aber wenn Sie es für angemessen halten, dass tausende Menschen getötet, verletzt und ausgehungert werden – Frauen, Kinder, Alte und Kranke in gleicher Weise wie die Hamas-Kämpfer, dass Hilfslieferungen blockiert werden, dass im Westtjordanland Bauern an der Bestellung ihres Landes gehindert werden, weil sie den Siedlern im Weg sind – wenn Sie dies alles für gut und richtig halten, dann ist Zivilisation ebenso wie Humanität ein Fremdwort für Sie. Legen Sie Ihre Scheuklappen ab und schauen Sie sich um, was im Westjordanland passiert – die vielen Opfer im Gaza sprechen ohnehin eine deutliche Sprache. Oder glauben Sie wirklich, die getöteten Kinder waren alle Hamas-Kämpfer? Ebenso die Hungernden und die Verletzten, die nicht versorgt werden können? Wer humanitäre Hilfe verweigert, ist nicht besser als die Aggressoren.
Ich habe am Donnerstagabend wieder mal den Film „Das Urteil von Nürnberg“ gesehen (arte). Auch von daher meine ich, der Gräueltaten des Nazi-Regimes wegen sollten wir uns bei der Kritik an Israels Vorgehen im Gaza-Streifen Mäßigung auferlegen. Aber dass der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) am 21. November 2024 Haftbefehle gegen den israelischen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, den ehemaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant und den Hamas-Führer Mohammed Diab Ibrahim Al-Masri Deif (Mohammed Deif) erlassen hat, darf trotzdem nicht totgeschwiegen werden. „Den Beschuldigten wird vorgeworfen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben.“ (amnesty)
Herr Eimiller, Sie meinen also, weil unsere Großväter und Väter Schreckliches getan haben, sollten wir keine Kritik üben, wenn ein Volk Völkermord begeht? Zusätzlich zu den Nürnberger Prozessen und aus wirklich aktuellem Anlass empfehle ich Ihnen die Berichterstattung aus dem Westjordanland, wo die Bauern unter Lebensgefahr ihre Oliven ernten, weil sie von jüdischen Siedlern traktiert und attakiert werden. Diese Bauern haben NICHTS getan außer dass sie den Siedlern im Weg sind. Und die vielen Toten im Gaza – viele Frauen und Kinder, die unter den israelischen Bomben sterben oder verhungern, verdursten oder weil sie nicht medizinisch versorgt werden können – da werde ich mir mit Sicherheit nicht Mäßigung auferlegen. Nicht vergessen ist das eine, aber bei unnötiger Grausamkeit 80 Jahre später wegsehen, das sind für mich zwei Paar Stiefel. Ich hoffe wirklich, dass sich Netanjahu irgendwann für das verantworten muss, was er angerichtet hat – und was noch kommen wird.
"Mäßigung", Herr Eimiller? Betrachten Sie das Ganze doch mal unter dem rechtsstaalichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Wenn aus einem land der Opfer ein Land der Täter wird, dann wird es eben schwieriger mit der Freundschaft. Dass Deutschland seine Waffenlieferungen zurückfährt – volle Zustimmung. Tausende von getöteten Palästinensern, tausende Menschen im Gaza, die alles verloren haben und in prekärsten Verhältnissen existieren, von Israel blockierte Hilfslieferungen, Beschuss von humanitären Einsätzen sind eben ein schwerwiegendes Argument. Extreme Härte gegen die Zivilbevölkerung muss wirklich nicht mit Schulterklopfen und Waffenlieferungen belohnt werden. Schlimm ist, dass Israel, ein Volk, das jahrhundertelang soviel Verfolgung erdulden musste, nun zum Verfolger wird. Dafür gibt es keine Entschuldigung. Und Netanjahu? Er mag demokratisch gewählt sein, ein Demokrat ist er deswegen nicht. Wenn ihn der Internationale Gerichtshof als Kriegsverbrecher betrachtet, dann ist das ein schwerwiegende Sachverhalt, den ein israelverblendeter Journalist nicht einfach wegschreiben kann.
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