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Kommentar: Die SPD vertagt ihre Erneuerung

Kommentar

Die SPD vertagt ihre Erneuerung

Rudi Wais
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    Die Gesichter einer historischen Niederlage: Lars Klingbeil, Matthias Miersch und Saskia Esken (von links).
    Die Gesichter einer historischen Niederlage: Lars Klingbeil, Matthias Miersch und Saskia Esken (von links). Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Ja, die SPD kann noch Wahlen gewinnen– ihre Talfahrt aber ist mit den 33 Prozent im ebenso überschaubaren wie bundespolitisch unbedeutenden Hamburg nicht gestoppt. Auch in der Hansestadt hat sie innerhalb von nur zehn Jahren ein Viertel ihrer Wähler verloren. Eine größere Diskussion über Kurs und Personal erspart ihr im Moment alleine die geopolitische Großwetterlage. Die Welt ist in Unordnung geraten, Deutschland braucht nichts dringender als eine neue Regierung – da bleibt wenig Raum und Zeit für sozialdemokratische Befindlichkeitsanalysen. Mehr denn je gilt jetzt der schon etwas abgedroschene Spruch: Erst das Land, dann die Partei.

    Die Analysen der Wahlforscher nach der Bundestagswahl allerdings sind eindeutig. Sie zeigen eine erschreckende Kluft zwischen dem politischen Anspruch der SPD und der gewählten Wirklichkeit: Nur noch jeder vierte Deutsche hält die SPD für die Partei der sozialen Gerechtigkeit – und, noch schlimmer: Fast 40 Prozent der Arbeiter wählen nicht mehr die alte Arbeiterpartei SPD, sondern die AfD.

    Mit dem Chaos in der Ampel und den Defiziten des Spitzenkandidaten Scholz alleine lässt sich das nicht erklären, eher schon mit einem strategischen Kollektivversagen der gesamten Parteiführung. Ähnlich grün sein zu wollen wie die Grünen, ähnlich links wie die Linke, aber nur ja nicht so mittig und altbacken wie die Union: So bindet man keine Wähler, sondern treibt sie nur in die Arme der Originale.

    Natürlich wäre Boris Pistorius der bessere Kanzlerkandidat gewesen, natürlich wäre er jetzt als Parteichef die ehrlichere Lösung, weil Lars Klingbeil und Saskia Esken neben Scholz und Generalsekretär Matthias Miersch die Gesichter einer historischen Niederlage sind und eigentlich allesamt ihren Hut nehmen müssten. Einen Lindner-Moment aber sucht man bei der SPD vergebens — den Moment, in dem ein Parteichef und sein Generalsekretär sich zu ihrer Verantwortung bekennen und die Konsequenzen ziehen. Im Gegenteil: Klingbeil hat sich, ungehindert und machiavellistisch durchaus geschickt, noch am Abend der Niederlage neben dem Parteivorsitz auch noch den Vorsitz der Bundestagsfraktion gesichert. Er ist jetzt der neue starke Mann der Sozialdemokratie.

    Wäre Anke Rehlinger nicht die bessere Esken?

    Die personelle Erneuerung aber, die er zeitgleich mit angekündigt hat, ist bisher nicht mehr als politische Lyrik und zu Klingbeils Glück auch der aktuellen Situation geschuldet: Die SPD musste mit einer Parteispitze in die Koalitionsgespräche gehen, die auch Prokura hat und nicht schon auf Abruf arbeitet. Das rettet auch Saskia Esken, zumindest vorerst.

    Wie aber soll sie denn aussehen, die neue SPD, von der ihr Vorsitzender spricht? Anke Rehlinger, im Saarland mit absoluter Mehrheit regierend und schon nach Berlin schielend, wäre ohne Zweifel die bessere Esken. Ist ein Comeback von Kevin Kühnert, dem größten Talent seiner Generation, tatsächlich ausgeschlossen? Bis heute weiß auch in der SPD niemand so genau, ob er sich nur zurückgezogen hat, weil er ausgebrannt war, oder ob nicht auch der Frust über die amtierende Parteispitze eine Rolle spielte. Und wo sind eigentlich die Schröders und Lafontaines, die Engholms, Gabriels und Steinbrücks – tüchtige Landespolitiker, die zu ihrer Zeit allesamt kanzlertauglich waren?

    40 Prozent der Deutschen können sich vorstellen, bei der nächsten Wahl wieder SPD zu wählen. Dazu aber muss die Partei erstens wissen, was sie denn sein will, ein politischer Gemischtwarenladen oder eine Volkspartei leicht links von der Mitte. Und sie braucht, zweitens, ein Spitzenpersonal, das diese neue SPD dann auch verkörpert. Zu erkennen aber ist das bisher nicht einmal in Ansätzen.

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