Gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik: Wann, wenn nicht jetzt?
Der Brand in Moria schockiert, ganz gleich, wie es dazu kam. Es zeigt sich, wie sehr Europa eine Linie in der Asylpolitik fehlt. Das muss sich endlich ändern.
Flüchtlingspolitik ist immer auch eine Politik der Bilder. Zum fünften Jahrestag des Satzes "Wir schaffen das" waren viele dieser ikonischen Bilder wieder zu sehen: das Selfie von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit einem lachenden Neuankömmling, die Aufnahme von einem toten Flüchtlingsjungen an einem Strand in der Türkei. Nun sehen wir die Bilder aus Moria und spüren: Auch diese könnten sich kollektiv einbrennen.
Sie sind in jedem Fall eine Erinnerung daran, was eben nicht geschafft worden ist im Umgang mit Flüchtlingen. Eine der wirtschaftlich stärksten und menschlichen Werten am meisten verpflichteten Regionen unseres Planeten – die Europäische Union – hat noch immer keine wirtschaftlich machbare und menschlichen Werten verpflichtete Lösung gefunden: für Menschen, die nach Europa wollen, aber nicht alle nach Europa können.
Auch Deutschlands Willkommenskultur ist nach 2015 abgekühlt
Schon wie die Bilder von Moria zustande kamen, zeigt das ganze Dilemma. Es mehren sich die Anzeichen, dass Bewohner des Camps selber das Feuer gelegt haben und damit natürlich auch das Leben ihrer Mitbewohner gefährdeten. Man könnte sich darüber erregen, von Erpressung und Rücksichtslosigkeit sprechen, aber das wirkt fast zynisch angesichts der schrecklichen Verhältnisse in Moria – und deren langer Vorgeschichte.
Denn geht es um Flüchtlinge, ist sich in Europa seit Jahren jedes Land das nächste. Das gilt keineswegs nur für jene, die nun kategorisch fast jede Aufnahme ablehnen, wie die Ungarn, die Polen, Slowaken oder Tschechen. Auch Deutschland gehört dazu, aller "Willkommenskultur" zum Trotz. In den Jahren vor der Flüchtlingskrise hat man in Berlin stillschweigend hingenommen, dass Flüchtlinge vor allem ein Problem jener Länder waren, die das Pech haben, an Europas Außengrenzen zu liegen. Als sehr viele Geflohene nach Deutschland kamen, erkaltete unsere Willkommenskultur rasch. Man war bald bereit, einen fragwürdigen Deal mit Erdogans Türkei zu schließen, um die Flüchtlinge wieder ferner zu halten – wohl wissend, dass die von diesem Deal direkt betroffenen Griechen mit den Folgen überfordert sein würden.
Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft geht schon bald zu Ende
Für die gerade laufende deutsche EU-Ratspräsidentschaft wurde oft genug der Versuch einer europäischen Lösung avisiert. Ende September will die Europäische Kommission einen Entwurf vorstellen. Doch dann ist die deutsche Präsidentschaft schon fast wieder vorbei. Bundesinnenminister Horst Seehofer hat zwar versprochen, notfalls jeden Mitgliedstaat zu bereisen, um diese Lösung doch noch zu erreichen.
Aber der Kommissionsvorschlag wird wohl wenig ambitioniert ausfallen. Es dürfte ein besserer Schutz von Europas Außengrenzen darin stehen, was im Prinzip jeder unterstützt. Wie diese aber durch wen abgesichert werden sollen, bleibt strittig – genau wie die Frage, wer wie viele Flüchtlinge aufnehmen müsste, und ob manche Länder sich (Stichwort Zynismus) davon freikaufen könnten.
Jetzt ist der Moment, um in Sachen Flüchtlingspolitik endlich etwas zu tun
Nun heißt es, als Erfolg der deutschen Ratspräsidentschaft reiche es schon, wenn Corona-Hilfspakete und Haushaltsplanungen realisiert würden. Mehr sei gerade nicht zu erwarten, für eine europäische Flüchtlingslösung bleibe einfach keine Zeit. Nur: Zeit dafür war lange vor Corona. Und wahr ist auch: Die Pandemie-Auswirkungen werden (hoffentlich) temporär bleiben. Gelingt Europa keine Verständigung in der Migrationsfrage, wird diese niemals wirklich zu schaffen sein.
Manchmal gehört zur richtigen Politik auch der richtige Moment –die Griechen verehrten Kairos, den Gott der günstigen Gelegenheit. So traurig die Bilder von Moria sind: Vielleicht schaffen sie so einen Moment, so eine Gelegenheit.
Alle Artikel unserer Themenwoche "5 Jahre Flüchtlingskrise - Wir schaffen das" finden Sie hier.
Lesen Sie dazu mehr:
- Elendscamps wie Moria müssen endlich aufgelöst werden
- Merkel und Macron: Übernahme von 400 Minderjährigen aus Moria
- Brand in Moria: Wie Augsburg Flüchtlinge von Lesbos aufnehmen will
Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.
Die Diskussion ist geschlossen.
Vielleicht auch mal ein Bericht über die aktuelle Situation in Göteborg - so einfach mal zur Ausgewogenheit und zum Verständnis warum andere Europäer mit anderer Informationslage andere Entscheidungen beim Thema ungesteuerte Migration treffen?
Ich beantworte die in der Überschrift gestellte Frage mit NIE. Es sei denn, man setzt den kleinsten gemeinsamen Nenner so gering an, daß er kaum wahrnehmbar ist.
(edit/mod/NUB 7.3)
. Und nun zur illusionslosen Realität, zum Kommentar des Chefredakteurs dieser Zeitung:
"Gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik: Wann, wenn nicht jetzt?"
Ich will Herrn Schmitz keineswegs unterstellen, daß er diesen Spruch - "Wann, wenn nicht jetzt?" - wohl bei irgendeinem evangelischen Kirchentag früherer Zeiten aufgeschnappt haben muß: "Wann, wenn nicht jetzt?" - "Wer, wenn nicht wir?"
Doch mittlerweile scheint das ganze Land fromm geworden zu sein: Gestern auf der Autobahn, hinter einem Laster: "Versicherung?" - "Karvag! Was denn sonst?"
"Wann, wenn nicht jetzt?" Mag sein, daß Herr Schmitz nicht lange nachgedacht hat bei seinem Spruch. Doch die dahinterstehende Gesinnung ist, milde ausgedrückt, bedenklich.
Das Ziel muss sein, die Situation Vorort zu verbessern, damit die Menschen nicht ihre Heimat verlassen müssen. Vor allem sollte aber den Menschen geholfen werden, die nicht das Geld haben Schleußer zu bezahlen um auszureisen zu können.
"Das Ziel muss sein, die Situation Vorort zu verbessern, damit die Menschen nicht ihre Heimat verlassen müssen."
Es wäre durchaus richtig, wenn nicht die meisten Industrieländer, natürlich auch China ihren eigenen Vorteil suchen würden. So aber blieb und bleibt für die Vorort Situation wenig übrig. Ob jetzt Merkel oder Söder nach Afrika fährt, es ist immer ein Tross von Manager dabei, die ihren Reibach machen wollen.
Ist schon interessant, wie alle von der europäischen Flüchtlingspolitik reden. All diese Flüchtlinge sind keine Europäer und nur deswegen in der EU, weil es räumlich am nächsten und humanitär und finanziell weitaus besser als die meisten anderen, nichteuropäischen Länder ist. Man hört und liest kein Wort von den anderen, nichteuropäischen Ländern und hauptsächlich von den Verursachern dieser Flüchtlingstragöde, den USA und Russland. Wo ist die UNO, die hier hilfreich alle ihre Mitgliedsstaaten zur Hilfe (nicht nur finanziell) und zur Aufnahme von Flüchtlingen aufruft?
Und zur momentanen Lage: warum kann man jetzt nicht einige der stillgelegten großen Kreuzfahrtschiffe nach Griechenland schicken, um sofort eine einigermaßen würdevolle und hygienisch einwandfreie Unterkunft anzubieten und dann gegebenenfalls die Flüchtlinge weltweit verteilen? Kein Flüchtling hat das Recht auf eine Aufnahme in einem ihm genehmen Land, sondern nur in einem sicheren Staat, der die Unversehrtheit seines Lebens, so weit wie möglich, garantieren kann.
Sollte es je eine europäische Flüchtlingspolitik gegeben haben, dann ist sie 2015 endgültig zum Erliegen gekommen. 2015 wäre das Jahr gewesen, in dem sich die EU-StaatenlenkerInnen in einer wahrhaft dringlichen humanitären Frage die Nächte in Brüssel um die Ohren hätten schlagen müssen. In einem ersten Schritt hätte das heißen müssen: Sämtliche verfügbare Hilfen für die Migranten und Geflüchteten nach Ungarn und Budapest. Weitere Schritte erst nach Einigung aller beteiligten Länder über die Aufnahmezahlen. Und Merkel hätte den einzig richtigen Satz sagen können: "Deutschland schafft das nicht alleine!" Mit Blick auf parlamentarische Entscheidungsprozesse und auf den sozialen Frieden in der BRD. Stattdessen eine plan- und regellose einseitige Zuwanderung und die Pulverisierung von Vertrauen in staatliches und europäisches Handeln in weiten Teilen der Bevölkerung. Keine Korrektur, nirgends. Die SPD in devoter Nibelungentreue zu Merkel, auffallend einzig in der reihenweisen Demontage ihrer eigenen Vorsitzenden. Dieser Demokratiebruch frisst sich seitdem weiter in die demokratische Basis unseres Landes.
Die meisten europäischen Länder haben sich mit Handkuss aus einer gemeinsamen Verantwortung für die Flüchtlingskrise verabschiedet. "Wir schaffen das!" Ein eitler und selbstverliebter Satz und eine großartige Gelegenheit für Andere, sich zurückzulehnen und zuzuschauen. Die europäische Flüchtlingspolitik ist tot, Moria wird daran nicht ändern.
"Weitere Schritte erst nach Einigung aller beteiligten Länder über die Aufnahmezahlen."
So wie es bis jetzt ausgesehen hat, würde die Flüchtlinge von 2015 immer noch an der Grenze stehen.
Leider hat Merkels humanitäres Handeln im Jahr 2015 dazu geführt, dass sich die meisten EU-Länder danach aus einer gemeinsamen Verantwortung für die Flüchtlinge verabschiedet haben. Das ist die Tragik dabei. Und daran wird sich
wohl trotz allen Elends so schnell auch nichts mehr ändern.