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Neue SPD-Strategie: Wie Fraktionschef Matthias Miersch verlorene Wähler zurückgewinnen will

Interview

Wer soll die SPD künftig wählen, Herr Miersch?

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    Fraktionschef Matthias Miersch sagt: Die AfD ist demokratisch gewählt, aber sie ist nicht demokratisch.
    Fraktionschef Matthias Miersch sagt: Die AfD ist demokratisch gewählt, aber sie ist nicht demokratisch. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Herr Miersch, Parteitage haben ihre eigene Dynamik. Wie sehr bildet die 65-Prozent-Klatsche für Lars Klingbeil die Stimmung an der SPD-Basis ab? Sitzt der Frust über die Ampeljahre so tief?
    MATTHIAS MIERSCH: Natürlich war das Wahlergebnis für Lars Klingbeil ein Weckruf - das sieht er selbst genauso. Lars Klingbeil hat in den letzten Jahren Verantwortung übernommen in Zeiten, in denen es keine einfachen Antworten gab und die verlorene Bundestagswahl treibt die Partei natürlich um. Das spiegelt auch das Ergebnis wider. Dass die Partei an einigen Stellen mehr Einbindung und Richtung einfordert, ist legitim. Und genau deshalb haben wir eine Aufarbeitungskommission eingesetzt, deren Ergebnisse jetzt in unsere Erneuerung einfließen.

    Bärbel Bas ist die neue starke Frau der Partei. Warum braucht die SPD unbedingt eine Doppelspitze?
    MIERSCH: Die Doppelspitze steht für Teamarbeit, für unterschiedliche Perspektiven und für ein modernes Führungsverständnis. Mit Bärbel Bas steht an der Spitze der SPD eine ursozialdemokratische Politikerin mit klarem Kompass für soziale Gerechtigkeit. Zusammen mit Lars Klingbeil und Tim Klüssendorf als Generalsekretär führt die SPD ein starkes Team. Das ist die Grundlage für einen Wahlsieg 2029. Darum geht’s.

    Die neue Mütterrente wurde auf 2028 vertagt, Privatkunden bleiben bei der Senkung der Stromsteuer außen vor, der Mindestlohn steigt nicht so stark, wie die SPD es avisiert hatte. Versündigt sich die Koalition gerade an ihren Wählern?
    MIERSCH: Natürlich wünschen wir uns als SPD mehr - beim Mindestlohn oder der Stromsteuer. Aber Regieren heißt auch Kompromisse eingehen und die Realitäten anzuerkennen. Und es ist nun einmal so, dass wir trotz 500 Milliarden Euro Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutz schauen müssen, wofür das Geld reicht.

    Günstigeren Strom sollen nach den Plänen des Finanzministers nur Industriebetriebe bekommen. Sehen Sie noch eine Chance, das im parlamentarischen Verfahren zu ändern?
    MIERSCH: Wir haben die Stromsteuer für die Industrie gesenkt, um Arbeitsplätze zu sichern. Jetzt ist es an uns im Parlament, weitere Entlastungen für die Mitte der Gesellschaft durchzusetzen. Eine gerechte Energiepolitik darf nicht bei der Werkhalle enden. Darum senken wir in einem ersten Schritt auch Gasumlage und Netzentgelte. Alleine das entlastet auch Verbraucher um Milliarden.

    Eine enge Zusammenarbeit der Fraktionsvorsitzenden ist eine der Schlüsselstellen für den Erfolg einer Koalition - denken Sie nur an Volker Kauder und Peter Struck. Wie gut ist Ihr Verhältnis zu Jens Spahn?
    MIERSCH: Wir reden offen miteinander, auch wenn wir politisch nicht immer einer Meinung sind. Jens Spahn hat klare Vorstellungen - ich auch. Wichtig ist, dass wir im Interesse des Landes arbeiten und Unterschiede nicht ins Persönliche ziehen. Die Gespräche sind konstruktiv, und das zählt.

    Und das wird auch nicht durch die aktuelle Aufregung um die Beschaffung von Corona-Masken getrübt?
    MIERSCH: Die Vorwürfe müssen lückenlos aufgeklärt werden - das ist keine Frage des Parteibuchs. Für unsere Zusammenarbeit als Fraktionsvorsitzende zählt vor allem die Gegenwart und Zukunft.

    Ihre Partei will sich für ein AfD-Verbot einsetzen. Wie realistisch ist das? Die Union ist eher skeptisch.
    MIERSCH: Unser Parteitag hat diese Frage sehr ehrlich diskutiert. Aber wir waren uns einig: Die beschlossene Prüfung eines möglichen AfD-Parteiverbots ist richtig und notwendig. Die Einstufung der AfD als gesichert rechtsextrem durch den Verfassungsschutz ist ein schwerwiegender Vorgang, der nicht folgenlos bleiben kann. Wir tragen Verantwortung, aus unserer Geschichte zu lernen. Natürlich bleibt ein Verbotsverfahren das letzte Mittel. Aber wenn sich eine Partei Schritt für Schritt von der freiheitlich-demokratischen Grundordnung entfernt, dann muss auch der Rechtsstaat aktiv werden. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet nach Recht und Gesetz und nicht nach Umfragewerten.

    Wenn Sie die AfD verbieten - stellen Sie damit nicht auch zehn Millionen Wähler ins politische Abseits?
    MIERSCH: Nein. Ein mögliches Parteiverbot richtet sich nicht gegen Wählerinnen und Wähler, sondern gegen eine Organisation, die unsere Verfassung systematisch untergräbt. Die AfD wird zwar demokratisch gewählt, aber das macht sie nicht automatisch demokratisch. Die Wähler bleiben Teil unserer Gesellschaft. Ein Blick nach Griechenland zeigt, dass ein solches Verfahren Wirkung entfalten kann: Dort wurde die rechtsextreme Partei „Goldene Morgenröte“ verboten. Die Partei verschwand aus dem Parlament, ihre Nachfolgeorganisation wurde früh gestoppt. Der Diskurs hat sich dadurch nicht weiter radikalisiert, sondern ist zurück in die Mitte gerückt. Natürlich löst ein Verbot nicht alle Probleme. Aber es war ein kraftvoller Schritt, der deutlich machte: Der demokratische Rechtsstaat hat eine Grenze, und wer sie überschreitet, muss mit Konsequenzen rechnen.

    Es gab in der letzten Legislaturperiode bereits einen Antrag zur Einleitung eines Verbotsverfahrens, initiiert von 113 Abgeordneten verschiedener Parteien, darunter auch Sozialdemokraten. Können Sie daran anknüpfen oder fangen Sie bei null an?
    MIERSCH: Wir fangen nicht bei null an. Es liegen viele Erkenntnisse und juristische Einschätzungen vor - vom Verfassungsschutz bis zu zivilgesellschaftlichen Organisationen. Der Unterschied ist: Die Lage spitzt sich weiter zu. Die AfD greift heute offen die Grundwerte unserer Demokratie an, sie schürt Hass, bedroht Menschen und unterwandert Institutionen. Wir wollen jetzt eine fundierte Vorprüfung gemeinsam mit Ländern, Juristen und den anderen demokratischen Fraktionen. Entscheidend ist, dass ein solcher Schritt rechtlich sauber vorbereitet und demokratisch breit getragen wird.

    Die SPD hat einen Ruf als Arbeiterpartei zu verlieren. Schaut man sich die Wählerwanderungen an, so scheint die AfD diesen Platz eingenommen zu haben. Wie gewinnen Sie die Arbeiter wieder zurück?
    MIERSCH: Indem wir die sozialen Fragen wieder ins Zentrum stellen: Gute Arbeit, bezahlbares Wohnen, sichere Renten - das ist der Markenkern der SPD. Und genau hier müssen wir liefern. Die AfD hat keine Antworten auf die Lebensrealität der Menschen, sie hat nur Empörung. Wir wollen Vertrauen zurückgewinnen, mit konkreter Politik, die das Aufstiegsversprechen einlöst. Und wir zeigen Haltung: Wer den sozialen Zusammenhalt wirklich stärken will, spaltet nicht, sondern gestaltet. Wir wollen, dass die Menschen spüren: Die SPD ist da, wenn es drauf ankommt.

    Sie haben gesagt, im Lauf der Wahlperiode werde es noch schmerzhafte Kompromisse mit der Union geben müssen. Wo sehen Sie die größten Konflikte heraufziehen - und wo muss sich die SPD von der Union absetzen?
    MIERSCH: Ich betone lieber das Verbindende. Wir haben verstanden, dass es darum geht, unser Land gut zu regieren, Arbeitsplätze zu sichern und endlich wieder zu investieren. Trotzdem gibt es natürlich große Unterschiede - vor allem in der Klima- und Energiepolitik. Die Union setzt hier auf Markt allein und spart beim Staat. Wir sagen: Klimaschutz braucht soziale Abfederung und einen handlungsfähigen Staat. Da wird es sicher auch mal knirschen und genau da wird die SPD klar erkennbar bleiben.

    Zur Person: Matthias Miersch sitzt seit 2005 für die SPD im Bundestag, seit diesem Frühjahr ist er dort ihr Fraktionsvorsitzender. Der 56-jährige Jurist aus Hannover gilt als Parteilinker.

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    2 Kommentare
    Maria Reichenauer

    Schon die erste Frage ist eine suggestive. Hab von den beiden Interviewern auch nichts anderes erwartet. Denn es ist nicht der Ampelfrust, der tief sitzt, sondern der jetzige Koalitionsvertrag, der Sozialdemokraten verzweifeln lassen kann. Natürlich müssen Kompromisse eingegangen werden, aber Merz zieht seinem Koalitionspartner auch mal gerne den Teppich unter den Füßen weg, wenn es irgendwie geht. Und noch so ein Lapsus des Duos Wais – Lang: die SPD verbietet die AfD nicht. Das muss schon das Verfassungsgericht machen.

    Willi Dietrich

    Wer außer BILD und WELT beteiligt sich auch noch am Unter- gangsszenario der SPD, der einst so stolzen Arbeiterpartei, die immerhin das Wahlrecht für Frauen durchgesetzt hat ?

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