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Robert Habeck trifft Twitch-Star HandOfBlood: eine neue Art des Wahlkampfs?

Bundestagswahl

Habeck bei HandOfBlood: Wahlkampf am Fliesentisch

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    Robert Habeck, grüner Kanzlerkandidat, plauderte mit dem Streaming-Star Maximilian Knabe (links) live auf dem Portal Twitch über Malzbier und Miteinander.
    Robert Habeck, grüner Kanzlerkandidat, plauderte mit dem Streaming-Star Maximilian Knabe (links) live auf dem Portal Twitch über Malzbier und Miteinander. Foto: Twitch/HandOfBlood/dpa

    Robert Habeck, der grüne Kanzlerkandidat, kennt sich inzwischen mit Küchentischen aus. An einem Küchentisch sitzend, erklärte er im November seine Kanzlerkandidatur und startete in den Wahlkampf. Indem er sich selbst an die Küchentische der Nation einlud. Hunderte Einladungen folgten. „Alter Schwede!“, sagte Habeck dazu und nahm in einer Studierenden-WG ebenso Platz wie bei Bild-Chefin Marion Horn. Sein Team befüllte sämtliche seiner Internet-Kanäle mit Küchentisch-Content, seriöse Medien berichteten. Und Habecks Strategie war aufgegangen: Denn Aufmerksamkeit ist ein Wert an sich, und kein kleiner in Wahlkampfzeiten.

    Am Dienstagabend nun nahm Habeck live am Tisch (gefliest, schätzungsweise 70er Jahre) von Maximilian Knabe Platz, der als HandOfBlood ein Twitch-Star ist. Twitch? Ist ein Live-Streaming-Videoportal. Allein die mehr als zweieinhalbstündige Aufzeichnung ihres Gesprächs kam am Donnerstagmittag auf Youtube bereits auf knapp 325.000 Aufrufe. Seriöse Medien, unsere Redaktion eingeschlossen, berichten. Weil interessant und relevant ist das ja schon: Erlebt Deutschland eine neue, zumindest andere Art der Wahlkampf-Führung? Und: War es nicht Donald Trumps Erfolgsrezept, im Wahlkampfendspurt ums Weiße Haus auf populäre Podcasts mit Millionenpublikum wie den von Joe Rogan zu setzen, einem umstrittenen Kampfsportexperten und Comedian?

    Dann kramt Habeck eines seiner Bücher samt Autogrammkarte aus der Jackentasche

    Nachdem Habeck und Knabe geklärt hatten, dass Malzbier „lecker“ und der Grüne ein „Twitch-Analphabet“ sei, kramte Habeck eines seiner Bücher samt Autogrammkarte aus seiner Jackentasche. Dann erzählte er einen Ostfriesen-Witz („Früher gab es Otto Waalkes, schon mal gehört?“). Habecks Team habe den Auftritt Ende des vergangenen Jahres bei ihm angefragt, erklärte Knabe, er habe mit sich gerungen. Aber: Es sei so wichtig wie nie, sich mit Politik auseinanderzusetzen. Das Miteinander habe abgenommen. Jüngere Menschen sollten sich vermehrt mit Politik beschäftigen. Habeck lauschte und nickte und versuchte tunlichst den Eindruck zu vermeiden, er wolle sich bei jüngeren Menschen anbiedern.

    In den eingeblendeten Live-Kommentaren stritten sich derweil AfD-Gegner mit AfD-Unterstützern. Um Politik ging es auch: Heizungsgesetz, Tierhaltung, E-Sport-Förderung. Bis zu 51.000 Nutzerinnen und Nutzer sahen zeitgleich live zu. Er sei kein Journalist und werde ihn nicht journalistisch in die Mangel nehmen können, sagte Knabe noch. Habeck wird es gefreut haben.

    YouTuber LeFloid interviewte 2015 Kanzlerin Angela Merkel. Die Kritik damals fiel heftig aus – für ihn.
    YouTuber LeFloid interviewte 2015 Kanzlerin Angela Merkel. Die Kritik damals fiel heftig aus – für ihn. Foto: Bundeskanzleramt/Steffen Kugler, dpa

    „Es ist wichtig, dass sich Politikerinnen und Politiker den digitalen Medien, ihrer Kommunikationslogik und neuen Medien-Personalities öffnen“, erklärt der Politikwissenschaftler Professor Andreas Jungherr von der Universität Bamberg unserer Redaktion. Diese neuen Medienmarken hätten in Deutschland zwar geringere Reichweiten als in den USA, aber sie würden hierzulande immer wichtiger für die Verbreitung von Nachrichten und politischer Information. Blamabel werde es für Politikerinnen und Politiker nur, wenn sie neue Kommunikationsformen, -arten und -wege nicht verstünden. Deshalb, so der Wahlkampf-Experte, müssten sie aktiv mit digitalen Medien und Formaten experimentieren.

    Vor bald zehn Jahren interviewte YouTuber LeFloid Angela Merkel im Kanzleramt

    Das tun Spitzenpolitikerinnen und -politiker. In diesem Wahlkampf etwa AfD-Chefin Alice Weidel, die auf X mit Milliardär Elon Musk sprach (ebenfalls ohne Moderator oder irgendeinem journalistischen Anspruch Musk‘s an das Gespräch). Oder SPD-Kanzler Olaf Scholz, der vor wenigen Tagen in der YouTube-Show „World Wide Wohnzimmer“ zu Gast war – und unter anderem über seine Zeit als Schülersprecher und Aliens plauderte. Man weiß jetzt, dass er nie auf der Sonnenbank war und er „auf jeden Fall Kanzler“ bleibe.

    Bereits vor bald zehn Jahren ließ sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im Kanzleramt von YouTuber LeFloid (Florian Mundt) interviewen. Es hatte etwas von einer Audienz. LeFloid, so die Kritik damals, sei gescheitert, weil er Merkel zu brave Fragen gestellt habe. Zwei Jahre später ließ sich Merkel von gleich vier YouTubern befragen. Ein Experte analysierte danach, das Format werde ihr einen Image-Gewinn bringen.

    Eher schlecht fürs Image, zumindest unter jüngeren Menschen, war 2021 eine „Multiplayer-Night“ mit dem damaligen Vorsitzenden der Jungen Union, Tilman Kuban, und dem CDU-Politiker Philip Amthor auf der Streaming-Plattform TwitchTV. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb in einem Kommentar von einem „Himmelfahrtskommando“, ein YouTube-Clip mit dem Titel „So schlimm war die Gaming Night der Jungen Union“ kam auf nahezu eine Million Abrufe.

    Professor Andreas Jungherr sagt: „Es ist wichtig, dass sich Politikerinnen und Politiker den digitalen Medien öffnen.“
    Professor Andreas Jungherr sagt: „Es ist wichtig, dass sich Politikerinnen und Politiker den digitalen Medien öffnen.“ Foto: Benjamin Herges/Uni Bamberg

    Politikwissenschaftler Andreas Jungherr sagt: „Digitale Medien verändern den Wahlkampf nicht fundamental.“ Aber jede Kampagne müsse die Chancen digitaler Medien in ihre Gesamtstrategie integrieren. Dass X unter seinem Besitzer, dem Trump-Einflüsterer Musk, immer weiter nach rechtsaußen rückt? Dass das chinesische Kurzvideoportal TikTok unter Spionageverdacht steht? „Diese Risiken darf politische Kommunikation nicht vom Experimentieren mit und Lernen über digitale Medien abhalten, sonst werden deren Chancen allein den Gegnern liberaler, pluralistischer Demokratien überlassen“, sagt Jungherr.

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