Ungeklärte Machtfragen, schlechte Umfragewerte, schwindende Aufmerksamkeit: Um zu erkennen, wie sehr eine verlorene Wahl eine Partei aus der Bahn werfen kann, muss Lars Klingbeil nur einen Blick auf die Grünen werfen. Der SPD hat der Wähler zwar gnädig das Schicksal der Opposition erspart – der ersehnte Aufbruch aber ist bisher ausgeblieben. Auch der Parteitag in Berlin wird daran wenig ändern. Zu sehr ist die SPD noch mit sich selbst beschäftigt, zu unklar ihr künftiger Kurs. Wie in früheren Koalitionen auch gefällt sie sich im Kabinett von Friedrich Merz in der Rolle des politischen Zwitters – Regierungspartei und Opposition zugleich.
Das umstrittene Manifest, mit dem Teile des linken Parteiflügels einen konzilianteren Kurs gegenüber Russland einfordern, ist dafür nur der offensichtlichste Beleg. Von Sahra Wagenknecht erwartet man nichts anders - eine Partei jedoch, die Verantwortung für das Land trägt, kann sich nicht einfach aus der europäischen Solidarität verabschieden. Merz und die Union haben nach einer Wahlperiode in der Opposition schon zurück ins Regieren gefunden. Die SPD dagegen ringt noch mit sich, wie ausgebrannt wirkt sie - und, fast noch schlimmer: seltsam langweilig. Der neue Generalsekretär Tim Klüssendorf möchte sie zwar wieder stärker als Reformpartei sichtbar machen. Sobald es allerdings konkret wird, verfallen viele Spitzengenossen wieder in die alten Reflexe.
Beim Bürgergeld bremst Sozialministerin Bärbel Bas
Die Debatte um das Bürgergeld ist das beste Beispiel dafür. Dass es radikal umgestaltet werden muss, würden auch die meisten SPD-Mitglieder unterschreiben. Trotzdem warnt Sozialministerin Bärbel Bas vor überzogenen Erwartungen an den Erfolg von Sanktionen und macht auch sonst nicht den Eindruck, als plane sie einen größeren Befreiungsschlag. Genau diese Sozialministerin aber will nun zur Parteivorsitzenden neben Lars Klingbeil gewählt werden – eine neue Saskia Esken, nicht so schrill in ihrem Auftreten, im Gegenteil, aber ebenfalls dem linken Parteiflügel verpflichtet. Entsprechend groß ist die Gefahr, dass die SPD einfach so weitermacht wie bisher – ein verlässlicher Koalitionspartner, das ja, aber eben auch ein weitgehend ambitionsloser.
Dabei braucht Deutschland eine starke, ambitionierte Sozialdemokratie. Der Sozialstaat in seiner gegenwärtigen Form wird sich in einer alternden Gesellschaft nicht mehr lange erhalten lassen. Die Renten sind im europäischen Vergleich beschämend niedrig, das Bürgergeld zementiert Arbeitslosigkeit, anstatt sie zu bekämpfen, und die Partei der Arbeiter ist heute nicht mehr wie selbstverständlich die SPD, sondern die AfD. 3,8 Millionen Wähler haben die Sozialdemokraten seit der Bundestagswahl 2021 verloren. Wenn das kein Alarmsignal ist, was dann?
Bewährte Kräfte und neue Gesichter in der SPD
Um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen, muss die SPD vor allem eines: gut regieren. Ihre Ministerriege ist eine interessante Mischung aus bewährten Kräften wie Klingbeil, Bas und Boris Pistorius und neuen Gesichtern wie Bauministerin Verena Hubertz oder Justizministerin Stefanie Hubig. Aber für wen macht diese SPD eigentlich Politik? Das Gefühl, dass sich mit ihr etwas zum Positiven verändert, kann diese Riege draußen, im Land, bisher nicht vermitteln. Wo ist die Partei, die den Sozialstaat beherzt reformiert, um ihn zu retten? Wo ist die Partei, die Migration nicht als etwas Schicksalhaftes begreift, sondern sie steuert und begrenzt? Die alte Arbeiterpartei SPD war immer eine Partei mit Bodenhaftung. Die neue SPD muss das erst wieder werden.
Sie wirkt nicht nur so - sie ist so. Es fehlt ein Phoenix aus der Asche. Bas und Klingbeil schrammen meilenweit vorbei und sitzen (noch) tief in der Asche.
Wieder mal ein sehr treffender Kommentar von Herrn Wais. In einem muss ich allerdings widersprechen: Nicht der Wähler hat der SPD die Opposition erspart, sondern die "Brandmauer"...
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