Kürzungen in Milliardenhöhe bei Harvard, gestrichene Forschungsprojekte und ein Klima wachsender Unsicherheit: Die Wissenschaftspolitik der Trump-Administration sorgt in den USA für massive Unruhe. In den vergangenen Wochen protestierten Tausende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gegen das Vorgehen der Regierung. Doch nicht nur auf der Straße wächst der Widerstand – viele Akademiker denken inzwischen darüber nach, dem Land den Rücken zu kehren. Europa rückt für sie zunehmend in den Fokus. Auch Deutschland wittert eine Chance.
Gezielt versucht Trump derzeit die Wissenschaftsfreiheit in den USA auszuhebeln. Fördergelder werden an ideologische Vorgaben gekoppelt. Diversity-Programme werden gestrichen, Forschungsprojekte gestoppt, Themen zensiert. Laut einer Umfrage des Fachjournals Nature erwägen derzeit rund 75 Prozent der 1200 befragten amerikanischen Forscherinnen und Forscher, das Land zu verlassen. Viele von ihnen zieht es nach Kanada oder Europa.
Deutschland will die Talente
In Deutschland wird über eine historische Gelegenheit gesprochen: Hochqualifizierte Wissenschaftler könnten gewonnen werden, um den Standort zu stärken und die Wettbewerbsfähigkeit des Landes auszubauen. Ein Instrument dafür wäre das geplante 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen. SPD-Chef Lars Klingbeil forderte bereits, einen Teil davon gezielt in Universitäten und in Programme zur Anwerbung internationaler Talente zu investieren.
Besonders ambitioniert ist der Vorschlag eines Meitner-Einstein-Programms, angeregt von führenden deutschen Wissenschaftlern, wie Nicola Fuchs-Schündeln oder Monika Schnitze. Etwa 100 Spitzenforscher aus den USA sollen nach Deutschland geholt werden – vorzugsweise in strategische Zukunftsfelder wie Künstliche Intelligenz, Robotik, Klima- und Gesundheitsforschung. Die Finanzierung soll das Bildungsministerium übernehmen, verwaltet durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Die notwendige Ausstattung der neuen Professuren müsste aus bestehenden Mitteln aufgebracht werden. Deutschland soll nicht nur attraktiver werden, sondern gezielt abwerben.
Die Konkurrenz schläft nicht
Ähnliche Programme gibt es bereits in anderen europäischen Ländern: Frankreich hat mit „Safe Place for Science“ gezielt Forschungsstellen geschaffen, Spanien bietet über das Programm ATRAE 2025 finanzielle Anreize und unbefristete Stellen. Auch Belgien setzt mit speziell geschaffenen Postdoc-Positionen auf gezielte Anwerbung. Deutschland agiert bislang vorsichtiger – viele Vorhaben sind bisher nur Ideen.
Nicht alle in Deutschland begrüßen eine solche Offensive. Kritiker warnen vor einer rein nationalen Perspektive. Sie betonen, dass die Wissenschaft heute nicht mehr von nationalem Wettbewerb, sondern vom internationalen Austausch lebt. Eine Schwächung der USA als Wissenschaftsstandort wirke sich auch negativ auf Deutschland aus.
Ohne die USA geht es nicht
Otmar Wiestler, Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, verweist auf die besondere Rolle der Vereinigten Staaten: „Die USA sind unser stärkster Partner in Forschung und Entwicklung. Es ist wichtig, dass wir jetzt alles dafür tun, um Solidarität zu üben.“ Rund 40 Prozent der Publikationen der Helmholtz-Gemeinschaft entstehen gemeinsam mit US-Kollegen. Viele zentrale internationale Datenbanken, etwa in der Klima- oder Gesundheitsforschung, werden in den USA verwaltet.
Große Werbeprogramme hält Wiestler für nicht zielführend: „Wissenschaftler sind mobil. Wenn sie den Eindruck haben, an den großen Standorten in den USA nicht mehr erwünscht zu sein, suchen sie sich andere Plätze. Dafür braucht es keine großen Anwerbekampagnen.“ Allerdings müsse man vorbereitet sein, internationale Talente zu integrieren.
In dieselbe Richtung argumentieren führende Ökonomen wie Isabelle Véricourt. Sie fordern ein grundsätzliches Umdenken: Nicht die Abwerbung einzelner Köpfe bringe den entscheidenden Fortschritt, sondern die nachhaltige Stärkung und Reformierung der gesamten Wissenschaftslandschaft. Mehr Offenheit, bessere interdisziplinäre Zusammenarbeit und attraktivere Arbeitsbedingungen seien der Schlüssel. Auch der Koalitionsvertrag sieht Maßnahmen vor: Das „1000-Köpfe-Programm“ soll insbesondere den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), die Humboldt-Stiftung und die Max-Weber-Stiftung stärken. Visa-Vergaben sollen beschleunigt, Bürokratie abgebaut, Förderanträge vereinfacht werden – unter anderem durch ein geplantes „Innovationsfreiheitsgesetz“. So könnte Deutschland nicht nur kurzfristig profitieren, sondern langfristig attraktiver werden – ohne außenpolitisch eine Eskalation mit den USA zu riskieren.
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