Groß war die Aufregung, als Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) im Herbst 2023 forderte, dass Deutschland „kriegstauglich“ werden müsse. Jetzt – anderthalb Jahre später – sind solche Wortmeldungen von Politikern oder Experten an der Tagesordnung. Der renommierte Militärhistoriker Sönke Neitzel wiederholt mit Blick auf Russland seit Wochen einen Satz, der wechselseitig als aufrüttelnd gefeiert oder als Panikmache verurteilt wird: „Vielleicht ist dieser Sommer der letzte Sommer, den wir noch im Frieden erleben.“ In aller Munde ist das aktuelle Buch von Carlo Masala „Wenn Russland gewinnt. Ein Szenario“. In einer Fiktion schildert der Politikwissenschaftler, wie Moskau im Jahr 2028 mit einer faktischen Kapitulation der Ukraine im Rücken die Nato durch eine kluge Bündnispolitik, durch die Forcierung von Migration in Richtung Europa und schließlich durch militärische Nadelstiche ins Wanken bringt.
„Die Intention von Sönke Neitzel, Carlo Masala und letztlich auch für mich ist, klarzumachen, dass wir letztlich nicht mehr viel Zeit haben, uns verteidigungsfähig zu machen“, sagt Christian Mölling, Direktor für das Programm „Europas Zukunft“ der Bertelsmann Stiftung, im Gespräch mit unserer Redaktion. Der Experte für Sicherheitspolitik bezweifelt jedoch, ob es klug ist, sich – wie Neitzel – „sehr genau auf einen Zeitraum“ für eine Attacke Russlands festzulegen: „Wenn jetzt im Sommer oder Herbst nichts passiert, heißt es, das sei doch nur Alarmismus und Kriegstreiberei gewesen. Dabei hat Sönke Neitzel ein plausibles Szenario beschrieben.“
Der Wahlsieg von Donald Trump hat die Situation für Europa verschärft
Dass die Bedrohung durch Moskau seit dem russischen Angriff auf die Ukraine und der erneuten Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten gestiegen ist, ist unter fast allen Militärexperten Konsens. Offensichtlich ist, dass der russische Präsident Wladimir Putin voll auf die Stärkung der russischen Militärmacht setzt. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine aktuelle Analyse, die Militärs und der Bundesnachrichtendienst erarbeitet haben: Danach treibt Russland die Aufrüstung – materiell und auch personell – mit einer Intensität voran, die sie bereits in wenigen Jahren dazu befähigen könnte, Nato-Territorium anzugreifen. Trotz der ökonomischen Probleme will Russland 2025 rund 120 Milliarden Euro in seine Streitkräfte investieren, das entspricht sechs Prozent des Bruttosozialproduktes.
Dafür, wann und auf welche Weise Moskau die Nato militärisch herausfordern wird, gibt es verschiedene Szenarien. Die baltischen Staaten sind nur über eine enge Passage zwischen der russischen Enklave Kaliningrad und dem moskauhörigen Belarus mit den europäischen Nato-Verbündeten verbunden. Dadurch werden Spekulationen genährt, dass russische Truppen diesen gut 60 Kilometer breiten Landstreifen erobern und das Baltikum so vom Nato-Gebiet abtrennen könnten.

Mit Argusaugen blickt Litauen auf das russische Herbstmanöver Sapat („Westen“). Die Befürchtung ist, dass russische Streitkräfte bei dieser Übung einen bereits geplanten Angriff auf das Baltikum trainieren werden. Umso wichtiger ist es der litauischen Regierung, dass die Bundesregierung zu ihrem Wort steht, dass die im Aufbau befindliche Brigade der Bundeswehr dort mit 5000 Soldaten im Jahr 2027 tatsächlich gefechtsbereit ist.
Ob die USA im Fall eines Angriffs auf das Baltikum die Nato-Beistandspflicht erfüllen und militärisch eingreifen, ist alles andere als sicher. Dass die europäischen Nato-Mitglieder ohne die Unterstützung Washingtons auf einen russischen Angriff militärisch mit letzter Konsequenz reagieren würden, ist ebenfalls nicht ausgemacht. Masala, der als Professor an der Universität der Bundeswehr in München lehrt, hält es für wahrscheinlicher, dass Russland den Westen mit einer Kombination aus verschiedenen Aktionen herausfordert. „Es geht um Ablenkung. Russland übt Druck auf Europa aus, indem es Migration aus Afrika forciert. Moskaus Verbündeter China provoziert den Westen durch die Besetzung eines Riffs im Südchinesischen Meer, das von den Philippinen beansprucht wird. Dann besetzen russische Truppen die estnische Kleinstadt Narva, in der viele Russen leben, und eine kleine Insel in der Ostsee“, so fasste er in einem Interview mit unserer Redaktion ein aus seiner Sicht denkbares Vorgehen zusammen.
Auch eine weitere Destabilisierung und Kontrolle Moldaus ist denkbar
Ein weiteres Szenario besagt, dass Russland zunächst versucht, Staaten wie Moldau oder Georgien weiter zu destabilisieren und unter seine Kontrolle zu bringen. Vielfach erwartet wird auch, dass Moskau seine hybride Kriegsführung mit Cyber-Angriffen, Sabotage, Desinformation und Spionage weiter intensiviert.
„Wir werden noch mehr Desinformation erleben, noch mehr Versuche, unsere Gesellschaft zu spalten und Sand ins Getriebe zu streuen. Was wir in den letzten drei Jahren erlebt haben, ist nur ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen wird“, sagt Mölling. Gleichzeitig würde Putin aber eben auch die anderen geschilderten Szenarien als Optionen vor Augen haben. Allerdings glaubt Mölling nicht daran, dass Russland Nato-Territorium attackiert, solange der Krieg in der Ukraine nicht beendet ist. „Russland hat nicht den Anspruch, Europa einzunehmen. Das ist eher so eine infantile Vorstellung in Deutschland. Putin will einfach die Möglichkeit haben, zu bestimmen, was in Europa passiert“, analysiert Mölling.
ExperteMölling erwartet von Merz eine „Blut-, Schweiß- und Tränenrede“
Auch dies wäre eine Vorstellung, die Anstrengungen für eine effektive, abschreckende Verteidigungspolitik der Europäer dringend notwendig erscheinen lässt. Mölling hat eine klare Erwartung an den designierten neuen Kanzler Friedrich Merz (CDU) und eine neue Regierung. Er glaube schon, dass viele Menschen verstanden haben, dass etwas geschehen müsse. Aber die historische Entscheidung zur Finanzierung einer schlagkräftigen Bundeswehr alleine reiche nicht. Mölling: „Wir brauchen dazu ein gesellschaftliches Narrativ. Die erste Amtshandlung von Merz sollte eine Blut-, Schweiß- und Tränenrede sein. Auch wenn es martialisch klingt: Wir brauchen eine Rede an die Nation, um der Bevölkerung klarzumachen, dass wir durch diese Krise nur gemeinsam durchkommen werden.“
Heißt es nicht immer wieder, dass Russland völlig am Boden zerstört ist, alle militärischen Ressourcen ausgeschöpft sind und täglich neue Niederlagen zu vermelden sind? Und jetzt sind sie auf einmal kurz vor dem Angriff auf die NATO? Na was denn nun? Spart euch eure Kriegs-Hetze! Deutschland muss nicht "kriegstauglich" werden. Deutschland muss erstmal in die Lage versetzt werde, das eigene Land zu verteidigen. Und da sind wir noch Galaxien und Jahrzehnte von entfernt. Eine über Jahrzehnte strukturell und personell kaputt gespartes Militär baut man nicht in 1-2 Jahren mal eben so wieder auf. Deshalb mein persönlicher Tipp: Am besten den Ball international sehr flach Halten. Aber wenn man unbedingt den großen Macker spielen will, dann zumindest erstmal abwarten, bis man ein ernstzunehmendes Militär im Rücken hat.
Sehr gut zusammengefasst!............
Russland ist mit nahezu komplett auf Kriegswirtschaft umgestellter Industrie derzeit in der Lage pro Woche ein paar km2 in der Ukraine zu besetzen, während sie nichtmal die eigenen Grenzen sichern können. Das heißt allerdings nicht dass sich das Land und vor allem Putin in diktatorischer Manier überlegen könnte die Grenzen der NATO auszutesten, z.B. eine unbewhnte Insel im Nordmeer oder der Ostsee zu besetzen. Darauf muss man sich vorbereiten und im Zweifel so massiv reagieren, dass sich das der Kreml 2 mal überlegt. Die Ukraine hätte den Effekt einer heißen Herdplatte haben können, wenn die NATO es gewollt hätte.
In der NATO-Rangliste der stärksten Armeen steht Deutschland an #6 von, ich glaube, 32 Nationen. Und wenn 1000x die leere Worthülse vom Kaputtsparen auftaucht -> Deutschland könnte seine Ostgrenze verteidigen. Die Annahmer, daß der Russe vor der Haustür steht ist genau so richtig wie daß die USA die NATO verlassen. Rubio hat das gestern ganz klar gestellt (wäre gar nicht notwendig gewesen). Die USA können und werden es sich nicht leisten offene Flanken dauerhaft zu haben.
Hm, Putin muss schon den größten Abschaum wie Wagner und Inhaftierte an die Front schicken, die Leute in Russland sind auch nicht doof und glauben alles. Irgendwann laufen auch Soldaten über wenn genügend russische Mütter einen Sack Kartoffeln für ihren Sohn bekommen haben. Wladolf Putler glaubt in seiner Dummheit wirklich seine Bürger wie Schachfiguren herumrutschen zu können. Außerdem lebt er nicht ewig. Viele Reiche währten nicht lang, noch mehr zerbrachen an am Größenwahn ihrer selbstgekrönten Kaiser und Führer. Kaputtrüsten brauchen wir uns hier nicht, das ist genau was Putin und sein grinsender chinesischer Freund wollen.
Immer öfter werden Horror Szenarien vom baldigen Angriff der Ru- Armee auf NATO Staaten an die Wand gemalt. Trotz Hochrüstung bleibt der RU Armee in der UA aber große milit. Erfolg versagt, obwohl sie mühsam kontinuierlich Gelände gewinnt. DEU sollte den kriegshetzerischen Vorstellungen nicht nachjagen, sondern vorrangig gezielt die BW wieder materiell und personell wieder in eine schlagkräftige Truppen aufbauen. Das wird aber nur mittel- und langfristig erreichbar sein; nur Laien und selbsternannte Experten sehen da Lösungen in 1-2, 3 Jahren. Und DEU muss sich auf die Stärkung der eigenen Verteidigung konzentrieren und nicht weiterhin die raren Materialbestände in den UA Krieg schicken, denn der ist für Kiew nicht zu mehr gewinnen.
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