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Lissabon: Die Stadt des Fados und der Sehnsucht

Portugal

Endstation Sehnsucht: Ein Geheimtipp - wo Lissabon noch richtig ursprünglich ist.

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    Sehnsuchtsort Lissabon: Die Stadt des Lichts, wie sie auch genannt wird, zieht jedes Jahr mehr als sechs Millionen Touristen an.
    Sehnsuchtsort Lissabon: Die Stadt des Lichts, wie sie auch genannt wird, zieht jedes Jahr mehr als sechs Millionen Touristen an. Foto: dudlajzov - stock.adobe.com

    Zwölf Treppenstufen bis zur Seele Lissabons. Am Largo Severa fällt Laternenlicht aufs kohlegraue Kopfsteinpflaster, von den kalkweißen Häusern bröckelt die Zeit. Zwölf Stufen also bis zur Tür, die hineinführt in den kleinen Gastraum des Lokals „Maria da Mouraria“. Drinnen ist wenig Platz, Tisch an Tisch, Mensch an Mensch, Enge, Nähe, Schummerlicht. Ana Margarida Prado, eine zierliche Frau in einem beerenroten Kleid, steht an der Wand neben dem Fenster mit den gerafften Vorhängen, durch die man hinaus in die Nacht blickt. Gespräche und Geschirrgeklapper verstummen. Und der Gesang beginnt.

    Kein Musikstil hat Lissabon so sehr geprägt wie der Fado. Seit 2011 steht er sogar auf der Liste des immateriellen Weltkulturerbes der Unesco. Fado, das bedeutet „Schicksal“, es geht um Leid und Liebe, um Verlorenes und Vergangenes, um Wehmut und Weltschmerz, die an der wunden Seele nagen, um all das eben, was das Herz an manchen Tagen schwer macht. Die Portugiesen haben einen eigenen Begriff, der diese Gefühle in sich vereint: Saudade. Eine unersättliche Melancholie, eine unbestimmte, ungestillte Sehnsucht, der man sich nur allzu willig hingibt, hier in dieser Stadt am Westrand Europas, die sich dahinwellt auf den Hügeln zwischen Tejo und Atlantik.

    Lissabon wurde beim großen Erdbeben von 1755 fast vollständig zerstört

    Lissabons Wurzeln reichen bis in die Antike, die Stadt wurde von den Phöniziern gegründet, danach oft erobert, fiel an die Mauren, wurde von den Wikingern verwüstet, im 12. Jahrhundert wurde sie dann wieder portugiesisch, später von den Spaniern besetzt - es ist eine bewegte Geschichte. Kein Ereignis aber hat die Stadt so geprägt wie das verheerende Erdbeben am Morgen des 1. Novembers 1755. Mit einer Stärke von 8,5 bis 9 zerstörte das Beben samt eines gewaltigen Tsunamis fast ganz Lissabon, 85 Prozent der Gebäude hielten den Erschütterungen nicht stand, etwa 100.000 Menschen verloren ihr Leben. Das Erdbeben gilt als eine der verheerendsten Naturkatastrophen der europäischen Geschichte. Vielleicht ist die portugiesische Hauptstadt auch deshalb so sehr vom Wissen um die Vergänglichkeit des Lebens geprägt, vom Erinnern an Vergangenes, dem Denken ans Damals.

    Fado-Sängerin Ana Margarida Prado
    Fado-Sängerin Ana Margarida Prado Foto: Stephanie Sartor

    Im Lokal „Maria da Mouraria“ verhallt der letzte Ton. Ana Margarida Prado lächelt, nimmt an einem der Tische Platz, auf denen Wein und Brot und Oliven stehen. „Beim Fado geht es ums Leben, wir sind Geschichtenerzähler“, sagt sie und streicht sich die dunklen Haare aus dem Gesicht. „Aber Fado kann man nicht lernen, man muss sich in ihn verlieben.“ Seit sie ein Kind ist, singt sie, studiert dann als junge Frau Musik, reist durch die Welt, kehrt immer wieder zurück nach Lissabon. „Der Fado ist die Seele unserer Stadt“, sagt sie, trinkt einen Schluck Wasser, steht auf. Die Pause ist vorbei. Ihre Stimme trägt in düsteren Moll-Akkorden wieder Geschichten durch den Raum. Augen schließen, hören, fühlen, diese Musik der Melancholie.

    Geboren wurde der Fado im Lissabonner Stadtviertel Mouraria

    Geboren wurde der Fado im 19. Jahrhundert hier, in den Spelunken der Mouraria, dem alten Maurenviertel unterhalb des Castelo de São Jorge. Als Klagelied, Sehnsuchtsgesang der Armen, die dort über Jahrhunderte lebten. Auf der, wenn man so will, Schattenseite dieser Stadt des Lichts, die Jahr für Jahr mehr als sechs Millionen Touristen anzieht, die durch den schicken Chiado flanieren, im Bairro Alto bis zum Morgengrauen tanzen, für ein Pasteis de Belém - das berühmte Puddinggebäck - Schlange stehen, Stockfisch essen, Vinho Verde trinken, in der berühmten - und sehr touristischen - Straßenbahnlinie 28 dahinholpern. An warmen Sommertagen ist es voll in der Stadt, vor allem dann, wenn ein Kreuzfahrtschiff im Hafen liegt. In der Mouraria indes - vom großen Erdbeben im Jahr 1755 weitgehend verschont - spürt man wenig von diesen Menschenmassen, die Uhren ticken dort langsamer und immer im Rhythmus des Fado. Und hier, in diesem Viertel, das lange als Problembezirk galt, wuchs Amália Rodrigues auf.

    Die aufwendigen Roben von Amalia Rodrigues sind in der Ausstellung zu sehen, dazu ihr extravaganter Schmuck, ihre Taschen, ihre hohen Schuhe - Rodrigues war nur 1,60 Meter groß.
    Die aufwendigen Roben von Amalia Rodrigues sind in der Ausstellung zu sehen, dazu ihr extravaganter Schmuck, ihre Taschen, ihre hohen Schuhe - Rodrigues war nur 1,60 Meter groß. Foto: Stephanie Sartor

    Die Königin das Fado, so nennt man sie noch heute. Als Rodrigues am 6. Oktober 1999 starb, ordnete Portugals damaliger Premierminister António Guterres eine dreitägige Staatstrauer an. Wer wissen will, wer sie war und wie wahre Begeisterung für sie aussieht, muss zur Praça David Leandro da Silva fahren. Dort, auf dem Platz am Tejo, ein bisschen außerhalb des Zentrums, gleich neben dem Containerhafen, gibt es einen Ort, der Rodrigues gewidmet ist. Und der sie in allen Tönen erklingen lässt, in allen Farben zeichnet, sie zeigt und zelebriert. In der Ausstellung „Ah Amália - Living Experience“ gibt es Originalaufnahmen zu hören, etwa von einem Auftritt im berühmten Lissaboner Café Luso aus dem Jahr 1955.

    Amália Rodrigues war ein internationaler Fado-Superstar

    Pedro Lopes führt an diesem Tag durch die Ausstellung, er hat Kulturgeschichte studiert, sich lange mit dem Einfluss des Fados auf Portugal beschäftigt. Und natürlich mit Rodrigues. „Sie war eine Diva, sie trug Kleider, die Frauen zu dieser Zeit eigentlich nicht trugen“, sagt er. Die aufwendigen Roben sind in den Räumen ausgestellt, dazu ihr extravaganter Schmuck, ihre Taschen, ihre Plateauschuhe - Rodrigues war schließlich nur 1,60 Meter groß. Sie habe als kleines Mädchen angefangen zu singen, sagte Rodrigues einmal in einem Interview. „Ich habe den ganzen Tag gesungen, ich habe alles gesungen. Ich hatte immer eine Idee, wie Dinge gesungen werden sollten.“ Was sie aber nie wusste: An welchem Tag sie geboren wurde. „Meine Großmutter sagte mir, es war in der Kirschsaison. Also irgendwann zwischen Mai und Juli.“

    Nicht nur in Portugal war Rodrigues ein Star. Sie sang in Rio, Rom, Berlin, sogar im US-amerikanischen Fernsehen - mit Folgen. Die Vordenker des autoritären Salazar-Regimes sahen in der erfolgreichen portugiesischen Künstlerin eine ideale Identifikationsfigur. Zeitlebens wehrte sich Rodrigues zwar gegen den Vorwurf, Handlangerin des Regimes gewesen zu sein, verschwand nach dem Sturz der Diktatur Mitte der 70er Jahre aber aus dem Rampenlicht. Geblieben sind ihre Lieder. Unsterblich, für immer eins mit Lissabon.

    Es ist leicht, sich in die Alfama zu verlieben - und sich dort zu verlieren

    In der Stadt gibt es viele Fado-Lokale, die meisten in den Vierteln Mouraria und Alfama. Letzteres ist für viele Besucher das malerischste der Stadt. Und man verliebt sich in der Tat schnell in die engen Gassen und Kopfsteinpflastersträßlein - und noch schneller verliert man sich darin, findet sich aber irgendwann wieder, meist an einem der berühmten Aussichtspunkte, am Miradouro de Santa Luzia oder Portas do Sol, über dem Tejo, den orangefarbenen Dächern und weißen Häusern. Auch die Alfama, übrigens der älteste Teil der Stadt, überstand das Erdbeben ohne große Schäden, dank ihres felsigen Untergrundes. Und so klingen aus den alten Häusern noch immer die traurigen Fado-Klänge, wenn sich die Nacht auf die Stadt legt.

    Fado-Sänger Pedro Moutinho
    Fado-Sänger Pedro Moutinho Foto: Stephanie Sartor

    Zurück im „Maria da Mouraria“, dem kleinen Lokal ein bisschen abseits der Touristenpfade. Die Kellner tragen Teller mit Oktopus und Kartoffeln an die Tische, bevor gesungen wird, wird gegessen. Pedro Moutinho, dunkle Haare, Bart, grauer Pullover, wartet derweil auf seinen Auftritt. Mit acht, vor mehr als 40 Jahren also, hat er angefangen, zu singen. „Fado heißt für mich Leben“, sagt er. „Mich berührt es, wenn die Menschen zuhören und spüren, worum es geht - auch, wenn sie kein Wort Portugiesisch verstehen.“ Zweimal pro Woche tritt er hier auf, mehrere CDs hat er schon aufgenommen, gab Konzerte überall in Europa. „Meist singe ich über das, was zwischen den Menschen passiert, über Beziehungen und Liebe und Verluste“, sagt Moutinho. „Aber manchmal handeln die Texte auch von unserer Stadt, von den Vierteln, den kleinen Leuten.“ Dann steht er auf, geht mit den beiden Musikern, die ihn auf der Gitarre begleiten in die Mitte des Gastraums. Gespräche und Geschirrgeklapper verstummen. Und der Gesang beginnt.

    Die Reise unserer Autorin wurde von Turismo de Lisboa ermöglicht.

    Nachts im Viertel Mouraria, das lange als Problembezirk galt.
    Nachts im Viertel Mouraria, das lange als Problembezirk galt. Foto: Stephanie Sartor
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