Die Frisuren des Profi-Fußballs: von der Föhnwelle zum Krieger
Optisch hat sich der Fußball am stärksten auf den Köpfen der Spieler verändert. Ob er auf diesem Feld schöner geworden ist, liegt im Auge des Betrachters
Früher sahen Fußballer aus, wie unsereins aussieht. O-Beine, X-Beine, bunt gemischt. Ungezupfte Augenbrauen unter Fasson-, Topf- oder Sechs-Euro-fuffzig-Frisuren. Große Nasen und fliehendes Haupthaar. Kantige Gesellen zumeist, die das Feminine scheuten wie der Teufel das Weihwasser – der Querschnitt der männlichen Gesellschaft. 22 Männer in knielangen Hosen und ausgebeulten Hemden. Die Trikots wurden so lange gewaschen, bis auch der letzte Rest der trostlosen Farben aus ihnen gewichen war.
Der Fußball kommt aus den Nebenstraßen und Hinterhöfen, nicht von den gepflegten Courts und Greens, auf denen die Reichen und Schönen gegen ihre Bälle schlagen. Fußballer waren früher weder reich noch schön und schon gar nicht beides zusammen. Natürlich gab es auch schon damals den einen oder anderen, der sich vor dem Anpfiff durchs Haar fuhr und nach dem Duschen verschämt einen Föhn aus der Sporttasche zog. Künstler zumeist oder Mittelfeldregisseure.
Günter Netzer war mit Ferrari und Frisur eine Stilikone
Ihre Vorbilder hierzulande: Franz Beckenbauer, mehr noch Günter Netzer, aber auch Norbert Nigbur, Ronnie Borchers oder der verstorbene Charly Mrosko. Weltläufige Typen mit langen Haaren, die Ferrari fuhren, Pelzmäntel trugen und von Frauen umschwärmt waren. Bis in die Kreisligen hinunter hat man in den 70er Jahren Bauern- und Buchhalter-Söhne vor dem einzigen Spiegel der Umkleidekabine sich netzermäßig das Haar föhnen sehen. Aber es hat nichts geholfen. Katsche Schwarzenbeck, Hacki Wimmer, Uwe Seeler und Berti Vogts blieben für das Aussehen deutscher Kicker stilbildend. Schotten, Engländern – man erinnert sich an Nobby Stiles und Bobby Charlton – ging es nicht besser. Vom Ostblock, in den bis dahin kein Föhn gelangt war, ganz zu schweigen.
Nur die Holländer kamen schon immer etwas bunter und moderner daher. Der genetische Vorsprung von Portugiesen, Italienern, Spaniern, Latinos jeder Herkunft war aber auch von ihnen nicht aufzuholen. Das ist bis heute so geblieben. Wer daran zweifelt, beobachte eine beliebige Ansammlung von Hausfrauen, Zahnspangenträgerinnen und Vorstandssekretärinnen, wie sie beim Anblick der Cristiano Ronaldos dieser Welt verträumt lächeln. Schönlinge mit dunklem Teint und schwarzen Locken, unter denen Samtaugen ruhen, die unschuldig-sanft (nach einem Foulspiel mit drohendem Platzverweis) oder feurig-glühend (nach einem Ballverlust) blicken. Diese Schönlinge sind die natürlichen Feinde mitteleuropäischer Bleichgesichter. Frauenfußballer, wie sie unsereins nie hervorbringen wird. Aber wir hatten zwischenzeitlich aufgeholt.
Mit Michael Ballack hatte Deutschland zwischenzeitlich optisch aufgeholt
Mit Michael Ballack, einem Ossi-Latino, der als Südamerikaner durchging, solange er den Mund hielt. Auch Ballacks Nachfolger haben optisch zugelegt. Sie gehen häufiger zum Friseur, tragen keine Trikots mehr, die von Schneidern genäht wurden, die im Hauptberuf Metzger waren. Nach dem Spiel tauschen sie ihre Sportklamotten gegen Ausgehanzüge der Haute Couture. Ausgerechnet ein Engländer aber hatte den Kult um die Schönheit auf die Spitze getrieben: David Beckham, dem Männerlifestyle-Blatt The Face zufolge "die bedeutendste Frau in der Geschichte des Sports".
David Beckham war "die bedeutendste Frau in der Geschichte des Sports"
Beckham verbrachte in einer Saison mehr Zeit beim Friseur als unsereiner in seinem ganzen Leben. Der Engländer inszeniert sich bis zum Äußersten. Und wenn es das Äußerste erfordert, lackiert er sich die Fingernägel schwarz. Diese Ikonisierung hat ihn zu einem der größten Stars seiner Branche gemacht, obwohl er bei weitem nicht der beste Fußballer war. "Er kann nicht mit dem linken Fuß schießen, er kann nicht dribbeln, ist schlecht beim Kopfball und zweikampfschwach", lästerte George Best, Nordirlands Fußballschönling der siebziger Jahre, "aber sonst ist er o.k."
Den Frauen ist das egal. Ein Umstand, der die Gefahr der Versuchung birgt, die ihm immer wieder Ärger mit seiner Gattin Victoria, dem ehemaligen Spice-Girl, eintrug. Aber ein Beckham allein kann nicht die Lücke zwischen Mittel- und Südeuropäern schließen und schon gar nicht den natürlichen Abstand zum Latino verkürzen. Denn dummerweise hat auch die Konkurrenz weiter an sich gearbeitet. Sie hat sich hauchdünne Backenbärte rasiert, bunte Bändchen um die Stirn geknotet, die Frisur in Wet-Gel getaucht und schlanke Jünglinge mit katzenhaften Bewegungen aufgeboten, deren lange Haare schon beim leichtesten Trab wild im Wind flattern.
Mittlerweile sind selbst brave Schwiegersöhne wie Toni Kroos völlig tätowiert
Aber auch dieser Trend überlebte nicht bis in die Gegenwart. Die Tattooisierung der Gesellschaft machte ihm den Garaus. Die Zeit, die die Spieler vorher heim Friseur verbrachten, investierten sie nun in Tattoo-Läden. Selbst brave Bürgersöhne wie Real Madrids Toni Kroos mochten nicht mehr ohne stark tatooisiert durchs Leben gehen, wenn das Tattoo zu Kroos auch passt wie die Anhängerkupplung an einem Ferrari. Das Tattoo macht ihn zum Kämpfer und von dort ist es nicht mehr weit zum Krieger. Eine dieser hart geschnittenen Frisuren, wie sie zu unsäglichen deutschen Zeiten en vogue waren oder gleich ein Irokese auf dem ansonsten kahlen Haupt – und fertig ist der kriegerische Kicker, wie ihn der ehemalige FC-Bayern-Spieler Arturo Vidal nicht nur äußerlich par exemple verkörpert hat.
Und unsereins? Fügt sich ins Naturgegebene und tröstet sich damit, dass der äußere Putz im Fußball nichts zählt.
Dieser Artikel ist Teil der EM-Beilage unserer Redaktion, die am Dienstag, 8. Juni, unserer Zeitung beiliegt.
Lesen Sie dazu auch:
Die Diskussion ist geschlossen.