Wer Emma Aicher bei der Ski-WM in Saalbach-Hinterglemm beobachtet, sieht eine junge Frau, die vor allem eines will: Skifahren. Alles andere, was so eine Weltmeisterschaft zu bieten hat, erträgt sie eher, als dass sie es genießt. Das gilt vor allem für den Interview-Marathon nach den Rennen. Rund um den Zielbereich sind erst die großen Fernsehstationen aufgereiht, dann die Radiosender, mittlerweile auch Social-Media-Reporterinnen, dann noch mehr Fernsehsender und zum Abschluss die schreibende Zunft. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich in diesem Parcours die Fragen wiederholen. Es gibt dennoch die extrovertierten Sportlerinnen, die nur ein Stichwort brauchen, um längere Monologe zu starten.
Bei ihr muss auch mal ein Ja oder Nein als Antwort reichen
Und es gibt Emma Aicher. Bei ihr muss auch mal ein Ja oder Nein als Antwort reichen. Auf offene Fragen gibt es gern nur einen Satz zurück. Als sie nach der Abfahrt in der Mixed-Zone stand und ihr Rennen beschreiben sollte, sagte sie: „Hat schon gepasst, war jetzt nicht superschnell.“ Kann man so sehen. Andererseits war Aicher gerade mit hoher Startnummer auf einer immer schlechter werdenden Piste, noch auf den sechsten Platz vorgefahren.
Im Riesenslalom am Donnerstag funktionierte das mit Platz 23 (noch) nicht. Die 21-Jährige startet in allen Disziplinen, was in Zeiten der zunehmenden Spezialisierung mehr als ungewöhnlich ist. Krafttraining wiederum mache sie dennoch nur unter Protest, heißt es. DSV-Sportvorstand Wolfgang Maier sagte in Saalbach-Hinterglemm: „Die Emma ist ein eigenes Kapitel“ und schmunzelte. Nach dem Riesenslalom präsentierte sich Aicher gewohnt prägnant. „Na, bin nicht so zufrieden. Bin nicht ganz ins Fahren gekommen und fand es schwierig heute. Habe noch nicht rausgefunden, warum - aber es ist schwierig, hier schnell zu sein.“
Aufgewachsen ist Emma Aicher in Schweden
Aufgewachsen ist Aicher in Schweden, wo sie vor allem die Sprache ihrer schwedischen Mutter sprach. 2021 zog es die Aichers dann nach Deutschland, woher ihr Vater stammt. Inzwischen lebt Aicher in Berchtesgaden. Beim DSV wussten sie schnell einzuschätzen, welch Rohdiamant sie an Aicher haben und setzten alle Hebel in Bewegung, sie für Deutschland starten zu lassen. Bei der WM habe sie nun vor allem in den Speed-Disziplinen einen großen Schritt nach vorn gemacht, findet Maier: „Wenn ich sie hier fahren sehe, bin ich das erste Mal überzeugt, dass sie den Abfahrtssport einigermaßen kapiert hat.“ Das meine er gar nicht abwertend, denn es dauere einfach, bis man diesen Sport könne. „Ich hatte kein einziges Mal das Gefühl, dass sie irgendwo rausfliegt oder ihre Siebensachen nicht beieinander hat.“ Vor der WM war das häufig nicht so. Entweder Aicher schied in den schnellen Disziplinen aus oder fuhr jenseits der Punkte ins Ziel.
In Saalbach-Hinterglemm dagegen habe sie von Training zu Training mehr Sicherheit bekommen und sich immer weiter gesteigert. „Sie ist eine intuitive Skifahrerin. Wenn man mit den wirklich guten Abfahrerinnen spricht, dann wissen die genau, was sie tun. Und jetzt versteht auch die Emma langsam, was ihr die Trainer versuchen beizubringen.“ Gleichzeitig sei Aicher eine Athletin, „die sehr aus dem Gefühl heraus lebt, die nicht zu Tode korrigiert werden muss.“ Stattdessen müsse man ihr Zutrauen geben und einfach fahren lassen.
Bei der WM bestreitet Emma Aicher jedes einzelne Rennen
Vieles deutet darauf hin, dass Aicher in näherer Zukunft die Erfolgsbilanz der deutschen Frauen-Mannschaft aufpolieren könnte. Vizeweltmeisterin Kira Weidle-Winkelmann fährt schon seit geraumer Zeit der Konkurrenz und den eigenen Ansprüchen hinterher. Bleibt momentan nur Lena Dürr, die im Slalom immer eine Kandidatin für einen Podestplatz ist und im WM-Riesenslalom auf dem guten neunten Platz landete. Gold ging an die famos fahrende Italienerin Federica Brignone vor Alice Robinson aus Neuseeland und der US-Amerikanerin Paula Moltzan.
Für Aicher wiederum dürfte irgendwann der Zeitpunkt kommen, ihr Programm zu reduzieren. Bei der WM bestreitet sie jedes einzelne Rennen und mancher sagt, dass es schwierig sei, das Energielevel über die gesamten zwei Wochen hochzuhalten. Aicher allerdings sieht das anders. Sie könne ganz gut mit der Belastung umgehen, monierte sie. Und: „Ist ja unter der Saison auch nicht anders. Ich glaube, ich bin ganz gut daran gewöhnt.“
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