Eine Erkenntnis dieser zu Ende gegangenen Vierschanzentournee ist die, dass Werner Schuster ein grandioses Comeback gegeben hat. Der ehemalige Bundestrainer der deutschen Skispringer, der im Kleinwalsertal aufwuchs und jetzt nahe des Fernpasses in Mieming wohnt, brillierte nicht etwa wieder als Fahnenschwenker am Trainerpodest, sondern als detailversessener und rhetorisch gewandter Experte bei den Fernsehübertragungen von Eurosport. Er legte eine Punktlandung nach der anderen hin, erzählte viele lustige Anekdoten und hatte bei seinen Prognosen eine nahezu hundertprozentige Trefferquote.
"Karl Geiger ist ein Musterbeispiel für eine permanente Weiterentwicklung", hatte Schuster unserer Redaktion gegenüber geäußert – nach dem Sieg des Oberstdorfers in seiner Heimatgemeinde. Und auch da sollte er recht behalten. Geiger hat sich bei dieser Tournee weiterentwickelt. Er hat bei der neuntägigen Traditionsveranstaltung als einziger Deutscher alle acht Wertungssprünge absolviert, einen Tagessieg errungen, und er steigerte sich in der Gesamtwertung von Rang drei im Vorjahr (damals hinter Dawid Kubacki und Marius Lindvik) auf Platz zwei.
Karl Geiger gibt sich zurückhaltend bei seinen Zielen
Hätte er nicht wieder in Innsbruck gepatzt, Geiger wäre dem diesjährigen Überflieger Kamil Stoch vermutlich noch enger auf den Pelz gerückt. So bleibt ihm die Erkenntnis, dass zur nächsten Tournee noch Luft nach oben ist. Um genau diesen einen Platz, für den der Goldene Adler als Trophäe ausgelobt wird. Auch Geiger sprach von einem versöhnlichen Abschluss, von einem "Auf und Ab mit Happy End". Nach der verpatzten Qualifikation in Bischofshofen sei er „durch gewesen mit der Tournee. Da war die Luft raus.“ Zu sehr hätte das erneute Scheitern am Bergisel sein Kopfkino aktiviert und an seinem Selbstvertrauen gekratzt. "Deshalb bin ich froh, dass ich aus dem letzten Wettkampf noch mal alles rausgeholt habe." Die Frage, ob nach den Plätzen drei und zwei nächstes Jahr konsequenterweise Rang eins folgen müsse, beantwortete der Allgäuer Geiger zurückhaltend: "Sollte man meinen. Wir werden nächstes Jahr auf jeden Fall wieder alles geben."
Gelegenheit zu feiern hatte Geiger nicht. Vermutlich hat er seinem (Vor-Corona-) Zimmerkollegen Markus Eisenbichler bei der Frustbewältigung noch Gesellschaft geleistet. Der Siegsdorfer hatte nach seinem „Dreckssprung“ und dem enttäuschenden 35. Platz nur ein Rezept, wie er den Spaß am Skispringen wieder finden könne. Rustikal-oberbayerisch sagte der Siegsdorfer: „I wer’ mir a paar Bier eini-latschen und dann werd’s schon wieder werrn.“ Sprach’s und schwieg. Die Antwort will der amtierende Großschanzen-Weltmeister gleich am Wochenende beim Weltcup in Titisee-Neustadt geben. Wohlwissend, dass er zur Zeit alle Automatismen in der Luft vermisst. "Es fühlt sich schlimm an."
Karl Geiger kann sein Baby nicht besuchen
Geiger dagegen ist wieder im Stimmungshoch und stark fokussiert: "Das sind knackige Tage, da muss man schauen, dass man gut regeneriert – die Körner wieder aufsammeln", sagte der 27-jährige Oberstdorfer unmittelbar nach dem Wettkampf in Bischofshofen. „Es gibt immer Kraft, wenn man weiß, es funktioniert noch und man hat es nicht verlernt.“ Dass nur ein Tag Verschnaufpause bleibt, bevor es im Schwarzwald weitergeht, nimmt Geiger professionell gelassen: „So ist es halt.“ Der Kurzbesuch zu Hause in Oberstdorf bei seiner Frau und der neugeborenen Tochter Luisa muss noch ein paar Tage warten. „Ich freue mich riesig, wenn ich sie wieder sehen kann“, sagte Geiger, breitete seine Arme ganz weit aus und zeigte unmissverständlich: „Sooo sehr freue ich mich.“ An den nächsten großen Saisonhöhepunkt, die Heim-WM in Oberstdorf ab 23. Februar, verschwendet Geiger noch keinen Gedanken: „Das ist derzeit noch viel zu weit weg.“
Keine Rekordquote
Zumindest in Deutschland hat sich die Hoffnung von Renndirektor Sandro Pertile nach neuen Rekordquoten bei den Tournee-Übertragungen nicht erfüllt. Es gab zwar eine minimale Steigerung der Gesamtzuschauerzahlen von 39,23 auf 39,51 Millionen Zuschauer. Das Finale in Bischofshofen haben allerdings mit 5,84 Millionen fast eine Million Menschen weniger gesehen als im Vorjahr (6,74). Die erfolgreichste Sendung war dieses Mal das Neujahrsspringen in Garmisch (7,35).
Lesen Sie auch:
- Kamil Stoch gewinnt Vierschanzentournee - Karl Geiger auf Platz 2
- "System überladen": Geiger braucht nach Patzer Abstand
- Wie wär’s mit fünf Schanzen?