So verrückt ist der Prozess gegen Ex-Audi-Chef Stadler
Das Betrugsverfahren im Dieselskandal findet unter ungewöhnlichen Umständen statt. Dazu gehört nicht nur, dass es kaum jemand mit eigenen Augen sehen kann.
Wer am frühen Dienstagmorgen in der Stettnerstraße 10 in München stand, konnte Folgendes sehen: Drei junge Leute standen da schon im Nieselregen vor einem länglichen Bau hinter einem rot-weißen Absperrgitter.
Dort, auf der rückwärtigen Seite der Münchner JVA Stadelheim ist der Eingang zum großen Strafprozess gegen den früheren Audi-Chef Rupert Stadler, den früheren Audi-Motorenchef Wolfgang Hatz und zwei weitere Audi-Ingenieure. Man muss zu dieser Szene zweierlei wissen: Der spektakuläre Prozess beginnt am Mittwochmorgen um 9.30 Uhr. Und, nein, die jungen Leute haben sich nicht im Tag geirrt. Sie wurden vielmehr von einem Medienunternehmen angeheuert, sehr frühzeitig Schlange zu stehen, damit dessen Berichterstatter einen sicheren Platz im Gerichtssaal ergattern.
Verhandlung zum Dieselskandal weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit
Es ist eine der Kuriositäten im ersten deutschen Strafprozess um den Dieselskandal. Das Verfahren an sich hat schon gigantische Ausmaße: vier Angeklagte mit jeweils zwei bis drei Verteidigern, eine 90 Seiten umfassende Anklageschrift, 40.000 Blatt Ermittlungsakten. Der Prozess soll mehr als zwei Jahre dauern, 181 Verhandlungstage hat die 5. Strafkammer angesetzt.
Doch die strafrechtliche Aufarbeitung des Dieselskandals wird weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Das Landgericht München II hat zwar seinen größten Gerichtssaal ausgewählt, doch der hat wegen der Corona-Pandemie und den damit einhergehenden Hygienevorschriften derzeit nur 45 Sitzplätze.
Da mehr als die Hälfte dieser Plätze bereits mit Prozessbeteiligten besetzt ist (Gericht, Staatsanwaltschaft, Angeklagte, Verteidiger), bleiben für Medien und Öffentlichkeit nur 20 Plätze. Das Gericht hat verfügt, dass jeweils zehn Plätze für Medienvertreter und zehn Plätze für "normale" Zuschauer reserviert sind. Von den 280 Journalisten, die sich für den Prozess akkreditiert haben, dürfen also nur zehn in den Gerichtssaal, um aus eigener Anschauung über das Verfahren zu berichten. Und für diese zehn Plätze gilt das sogenannte "Windhund"-Verfahren, heißt: Wer zuerst kommt, kommt rein. Das erklärt die angemieteten Schlangesteher mehr als 24 Stunden vor Prozessbeginn.
Regeln des Gerichts erschweren die Berichterstattung
Wegen dieses Notstands hat das Landgericht München II zwar die Tonübertragung des Prozesses in Arbeitsräume für Journalisten zugelassen, aber auch in diesen beiden Räumen gibt es insgesamt nur 14 Plätze. Abgesehen davon, dass es für einen Berichterstatter nicht dasselbe ist, ob er den Prozess und seine Protagonisten hört und sieht oder ob er sie nur hört.
Eine weitere Schwierigkeit ist, dass quasi keiner den Gerichtssaal verlassen kann ohne Gefahr zu laufen, dass sein Platz umgehend von jemand anderem eingenommen wird. Für Medienvertreter bedeutet das: wenig Flüssigkeit zu sich nehmen, damit Toilettengänge nur in den offiziellen Prozesspausen stattfinden müssen. Sonst ist der Platz weg.
All diese Hindernisse sind ja noch mit den Gefahren der Corona-Pandemie plausibel zu erklären, aber es kommt noch eine weitere Einschränkung hinzu: Das Gericht hat - ohne Angabe von Gründen - angeordnet, dass im Gerichtssaal Laptops nur im Offline-Betrieb verwendet werden dürfen. In den allermeisten Strafprozessen ist es heute, in Zeiten aktueller Online-Berichterstattung, üblich, dass Journalisten möglichst zeitnah über wichtige Entwicklungen berichten können. Warum das ausgerechnet in einem der Aufsehen erregendsten Wirtschaftsstrafprozesse der vergangenen Jahre nicht so ist, bleibt vorerst ein Geheimnis des Gerichts.
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