Frau Obama, die mächtigsten Präsidenten unserer Welt ringen gerade um ihre Einflusssphären, sie wollen noch mehr Macht. Die USA, Indien, China, Russland kämpfen mit harten Mitteln. Geraten die Armen und Ärmsten in dieser Gemengelage aus dem Blick?
AUMA OBAMA: Ich arbeite seit vielen Jahren im Bereich der sogenannten Entwicklungshilfe. Und eines möchte ich vorwegschicken: Ich wehre mich dagegen zu glauben, dass es Armut nur im Globalen Süden gibt. Wer genau hinschaut, findet Armut überall, in den USA, in Europa wie auch in Afrika. Heute Mittag war ich in einem Möbelhaus, dort hat ein Mann gearbeitet, der eigentlich schon längst in Rente sein sollte, es sich aber offenbar nicht leisten kann. Es gab eine Zeit in Deutschland, in der so etwas nicht akzeptiert worden wäre. Unter der aktuellen Entwicklung in der Welt werden also nicht nur die Menschen in Afrika leiden.
Sie reisen sehr viel für Ihre Stiftung, was erleben Sie da?
OBAMA: Viele Menschen sind verunsichert, weil sich die Weltordnung verschiebt. Und es verschiebt sich zunehmend das Verhältnis zwischen Arm und Reich. Viele Menschen werden ärmer, während ein paar Reiche immer reicher werden. Die Mittelschicht muss kämpfen, um noch ein anständiges Leben zu führen. Und trotzdem müssen wir differenzieren, wenn wir über Armut reden. Jemand, der in Afrika in einer Hütte ohne Strom lebt, muss noch längst nicht arm sein. Wenn eine Familie Land besitzt, kann sie mit diesem Land ihr Leben bestreiten.
Haben wir uns zu sehr an Armut gewöhnt, nehmen wir das als etwas Selbstverständliches hin?
OBAMA: Solange uns Missstände noch auffallen und wir sie noch hinterfragen, gibt es Hoffnung. Wir dürfen nicht aufhören, zu fragen, wie es den Menschen geht. Leider geht das zunehmend verloren. Bei manchen Menschen setzt sich die Haltung durch, dass man ohnehin nichts ändern könne – sie fühlen sich machtlos. Und das spielt den Mächtigen in die Hände, die dieses Gefühl der Machtlosigkeit bei den Menschen zu ihrem Vorteil nutzen. Mehr noch: Sie versuchen, die Menschen gegeneinander auszuspielen. Zum Beispiel wird mit der Angst vor der Zunahme an Flüchtlingen Fremdenangst geschürt. Und wer sich in Deutschland über Probleme beklagt, hört, dass es den Leuten in Afrika noch viel schlechter geht und man zufrieden sein soll, auch wenn diese Aussage nicht stimmt. Die Umstände müssen sich überall für alle verbessern.
Seit Jahren reiht sich Krise an Krise: riesige Flüchtlingsbewegungen, Inflation, Corona, der Krieg in der Ukraine. Führt das dazu, dass wir uns auf uns selbst konzentrieren und andere aus dem Blick verlieren?
OBAMA: Gerade während der Corona-Zeit sind sich viele Menschen sogar nähergekommen, alle haben an einem Strang gezogen. Diese Zeit hat uns die Möglichkeit gegeben, uns gegenseitig wahrzunehmen. Nicht als Afrikaner, als Europäer, sondern als Menschen. Leider hat das nicht angehalten. Die Menschen wurden durch die Krisen verunsichert.
Im Jahr 1964 hat Deutschland seine ersten Entwicklungshelfer ins Ausland geschickt. Sie haben selbst eine Stiftung, die sich für Kinder und Jugendliche einsetzt. Wie blicken Sie auf das Thema Entwicklungshilfe?
OBAMA: Kenia hat im vergangenen Jahr 60 Jahre Entwicklungszusammenarbeit mit Deutschland gefeiert. Trotzdem fehlt es in mehreren Bereichen an einer echten Entwicklung. Und es sind, nach all den Jahren, immer noch „Entwicklungshelfer“ im Land. Wir müssen uns also fragen, warum das so ist. Irgendetwas scheint nicht richtig zu laufen. Und das sage ich, obwohl ich selbst eine Stiftung betreibe und abhängig bin von Spenden. Was ich dennoch kritisiere, ist, dass die Zusammenarbeit - in den meisten Fällen - auf Abhängigkeiten basiert. Warum bauen wir auf dem afrikanischen Kontinent noch Brunnen, wo es doch Wassersysteme bräuchte, an die jedes Haus angeschlossen wird? Wir haben die Technologie, wir haben das Know-how. Doch man baut bei uns lieber handgetriebene Brünnen, anstatt moderne Wassersysteme. Solange nur Brunnen gebaut werden, solange wird die Entwicklung der Länder auf dem afrikanischen Kontinent nicht ernst genommen.
Was wäre aus Ihrer Sicht der bessere Weg?
OBAMA: Wir müssen zu einer echten Partnerschaft auf Augenhöhe gelangen. Auch in den afrikanischen Ländern gibt es Experten, doch in der Entwicklungszusammenarbeit wird erwartet, dass die Europäer oder Amerikaner das Sagen haben und die Menschen vor Ort sich unterordnen und dankbar sein sollen. Das hat zur Folge, dass etwas aufgebaut wird, was eventuell gar nicht gebraucht wird. Man muss miteinander zusammenarbeiten, wenn es um Entwicklungszusammenarbeit geht. Das heißt vor allem, mit den Regionen und den Menschen vor Ort in Dialog zu kommen.
Erleben Sie in Afrika ein neues Selbstbewusstsein, dass die Menschen nicht mehr einfach hinnehmen, dass die Europäer und Amerikaner als selbsternannte Retter kommen?
OBAMA: Das erlebe ich mehr und mehr. Einen wichtigen Beitrag dazu leistet die Digitalisierung. Die Menschen sind informierter als früher. Sie wollen etwas verändern. Sie sind sich mehr und mehr bewusst, dass der afrikanische Kontinent für den Rest der Welt wichtig ist. Hier rede ich nicht von der Entwicklungszusammenarbeit. Es geht hier um die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen dem Kontinent und dem Rest der Welt. Wenn Sie an natürliche Ressourcen denken, wenn Sie an menschliche Ressourcen denken – all das gibt es in Afrika. Wir haben die jüngste Bevölkerung weltweit. Das Potenzial dieser jungen Leute ist enorm. Hinzukommt, dass sie sehr motiviert sind. Dieses Potenzial fördern wir in meiner Stiftung „Sauti Kuu“ („Starke Stimmen“ auf Kiswahili). Wir zeigen ihnen, dass sie es nicht nötig haben, ihren Kontinent zu verlassen, von Almosen in einem fremden Land zu leben, um ihr Leben zu verbessern. Verbessert euer Leben zu Hause! Unsere Expertise sollen wir nicht länger an Europa verlieren! Schauen Sie nach England: Viele der Ärzte dort kommen aus Indien, aus Nigeria oder Ghana. Viele IT-Experten kommen aus Kenia. Das Problem - diese Menschen werden in ihren Ländern nicht genug wertgeschätzt. Ihnen wird keine Perspektive geboten. Die finden sie im Ausland. Das muss sich ändern.
Welche Rolle spielen dabei Mädchen und Frauen?
OBAMA: In Europa gibt es die Vorstellung, dass alle Frauen in Afrika unterdrückt werden. Das ist falsch. Afrika besteht aus 54 Ländern, wir sollten also endlich differenzieren und sehen, dass es sehr verschiedene Kulturen gibt. Ich bin Kenianerin und habe ein Mädcheninternat besucht, mir stand alles offen, es gab keine Konkurrenz zu Jungen. Als ich in den 80er Jahren nach Deutschland kam, wollte man mich „retten“. Meine Mutter hat immer gearbeitet, das war damals bei deutschen Frauen längst nicht so üblich. Das war mehr Freiheit als bei den deutschen Frauen. Das heißt nicht, dass es in afrikanischen Ländern keine Einschränkungen für Frauen gibt. Die gibt es sicherlich. Aber man sollte das nicht verallgemeinern.
Gibt es etwas, das Ihnen Hoffnung macht in diesen Zeiten?
OBAMA: Ja, vor allem die Generation Z, insbesondere die jungen Menschen bei mir zu Hause in Kenia und zunehmend in anderen afrikanischen Ländern. Sie erlauben vieles nicht mehr, was meine Generation noch durchgehen ließ. Sie identifizieren sich stärker über ihre Nation und nicht mehr so sehr über ihre Ethnien. Sie werfen alte Vorstellungen davon, was sie ausmacht, über den Haufen. Sie sind die starken Stimmen, die wir brauchen. Das ist besonders wichtig für mich, da meine Stiftung auch so heißt. Die Kinder und Jugendlichen, mit denen wir arbeiten, lernen, ihre starken Stimmen zu benutzen. Zum Beispiel haben wir im Sommer dieses Jahr eine Jugendkonferenz bei uns in Kenia, die von Jugendlichen aus unserer Stiftung in Kenia und Jugendlichen aus Deutschland organisiert wird. Sie werden darüber diskutieren, was in der Welt geschieht und welchen Beitrag sie leisten können. Hier kommen Kinder und Jugendliche aus dem Norden mit Kindern im Süden zusammen. Die Botschaft lautet: Nur wenn wir miteinander in den Dialog treten, können wir unsere Welt verbessern. Das Ziel: Die jungen Menschen sollen an einem Strang ziehen und keine Angst voreinander haben.
Zur Person
Dr. Auma Obama ist in Kenia geboren und aufgewachsen. Sie studierte in Deutschland, erwarb einen Master an der Universität Heidelberg, schloss ihr Promotionsstudium an der Universität Bayreuth mit einer Doktorarbeit ab. Im Jahr 2010 gründete sie die Sauti Kuu Foundation, deren Geschäftsführerin sie ist. Die Stiftung hat das Ziel, finanziell und sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen im ländlichen Kenia eine Stimme zu geben.
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