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DGB-Chef Stiedl: Deutsche sind nicht behäbig

Interview

DGB-Chef Stiedl fordert bayerisches Tariftreuegesetz

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    Der bayerische DGB-Bezirkschef Bernhard Stiedl fordert ein bayerisches Tariftreuegesetz.
    Der bayerische DGB-Bezirkschef Bernhard Stiedl fordert ein bayerisches Tariftreuegesetz. Foto: Werner Bachmeier/DGB Bayern/dpa/Archivbild

    Herr Stiedl, die neue Bundesregierung legt los. Was erwarten Sie sich von der neuen Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche?
    BERNHARD STIEDL: Ich kenne sie noch nicht persönlich und war sehr überrascht, dass Friedrich Merz sie ausgewählt hat. Sie war Managerin, hat also einen Draht zur Wirtschaft, aber dazu gehört eben auch der Kontakt zu den Gewerkschaften. Robert Habeck hat den gepflegt.

    Noch ein Wort zu seinem Geleit?
    STIEDL: Wenn man fair ist, muss man sagen, dass er kein so schlechter Wirtschaftsminister war. Wir hatten die Pandemie, den Kriegsausbruch, die Energiekrise – die Wirtschaft ist nicht zusammengebrochen, wir konnten heizen und hatten Strom. Er hat das Krisenmanagement gut gemacht. Und wir hätten schon vor ein, zwei Jahren die Anschubfinanzierungen für neue Technologien und Transformation gebraucht. Aber die hat Ex-Finanzminister Lindner blockiert. Das hat Deutschland sehr wehgetan. Wenn die wirtschaftlichen Zahlen von Italien und Frankreich besser waren als von Deutschland, liegt das daran, dass diese Staaten sehr viel investiert haben.

    Das macht die kommende Bundesregierung nun endlich. Reichen die 500 Milliarden Euro als Booster? Wie kommt Deutschlands Wirtschaft wieder in Schwung?
    STIEDL: Eigentlich bräuchte man viel mehr, wenn man weiß, was in den letzten Jahren alles nicht investiert worden ist. Die Brücken bröseln, die Stellwerke der Bahn stammen zum Teil noch aus der Kaiserzeit, die Sanitäranlagen der Schulen sind heruntergekommen. Da muss jetzt viel nachgeholt werden. Allein in Bayern müssten jährlich 22 Milliarden investiert werden, damit es beim Verkehr, beim Wohnungsbau und der Energiewende endlich aufwärts geht. Aber ein Anfang ist gemacht.

    Dass es Investitionen braucht, ist unstrittig. Aber welche Strukturreformen sind aus Ihrer Sicht am nötigsten?
    STIEDL: Wir brauchen, da gebe ich den Arbeitgebern recht, Bürokratieabbau.

    Wo konkret?
    STIEDL: Bestimmte Berichtspflichten sind überflüssig. Aber es gibt auch sinnvolle Bürokratie. Etwa dann, wenn in Betrieben Arbeitszeiten erfasst und dokumentiert werden müssen.

    Damit sind wir bei einem sehr umstrittenen Thema: Schwarz-Rot will, dass die Beschäftigten künftig mehr Flexibilität haben. Der gesetzlich geregelte Acht-Stunden-Tag soll durch eine maximale Wochenarbeitszeit ersetzt werden. Sie sind dagegen. Wenn das sauber kontrolliert wird, was bitte stört Sie daran?
    STIEDL: Das Arbeitszeitgesetz ist jetzt schon sehr flexibel und in Kombination mit einem Tarifvertrag kann man quasi rund um die Uhr arbeiten, wenn die Ausgleichszeit entsprechend geregelt ist. Unsere Sorge ist, dass 13-Stunden-Tage zur Regel werden, wenn Beschäftigte unter Druck gesetzt werden, länger zu bleiben. Und die Medizin sagt nun mal: Wenn du regelmäßig länger als acht Stunden arbeitest, geht das auf die Gesundheit. Hinzu kommt, dass die Betreuungsangebote in unserem Land das nicht abfedern können. Finden Sie mal eine Kita, die ihr Kind für 13 Stunden aufnimmt.

    Was Sie dagegen begrüßen, weil Sie es für Bayern schon lange fordern, ist das Bundestariftreuegesetz. Das soll ab Vergaben von 50.000 Euro kommen. Erfüllt es so den Zweck?
    STIEDL: Wir würden uns natürlich wünschen, dass ab dem ersten Euro, den der Staat ausgibt, die Firmen ihren Mitarbeitern vernünftige Löhne und faire Arbeitsbedingungen garantieren. Wir wollen nicht, dass Steuergelder an Betriebe fließen, die Dumpinglöhne zahlen. 50.000 Euro ist ein Kompromiss, aber er wird seinen Effekt haben. Auch volkswirtschaftlich, denn wenn die Beschäftigten mehr in der Tasche haben, können sie auch mehr ausgeben.

    Wie schaut es denn überhaupt mit der Tariftreue der bayerischen Unternehmen aus?
    STIEDL: Wir haben in Bayern aktuell eine Tarifbindung von 48 Prozent, das liegt knapp unter dem Bundesschnitt. Vor 20 Jahren waren es noch rund 70 Prozent. Ich bin gespannt, wie sich die Staatsregierung nun verhält. Markus Söder hat den Koalitionsvertrag unterschrieben. Wenn er im Bund für ein Tariftreuegesetz ist, kann er in Bayern nicht weiter dagegen sein.

    Wie bewerten Sie die Lage am bayerischen Arbeitsmarkt?
    STIEDL: Den muss man differenziert sehen: Es gibt Fachkräfteengpässe in der Industrie, aber auch im Gesundheitswesen oder in der Gastronomie. Allerdings werden dort mit Abstand die geringsten Löhne gezahlt. In der Automobilindustrie werden einerseits Jobs abgebaut, in den Bereichen E-Mobilität dagegen wird auch eingestellt. In den Ballungsgebieten, in Augsburg, München und Schweinfurt, steigt die Arbeitslosigkeit. Wir müssen viele Menschen umschulen und qualifizieren. Und wir müssen mehr Frauen dazu bringen, in Vollzeit zu arbeiten, indem die Betreuungsangebote endlich besser werden. Allein in Bayern fehlen aktuell 70.000 Kita-Plätze. Es gibt auch hier keine einfache Antwort.

    Droht Bayern die Deindustrialisierung?
    STIEDL: Das sehe ich nicht. Zwar ist der Industriearbeitsmarkt von einem vergleichsweise hohen Anteil an Routinetätigkeiten geprägt – entsprechend weisen diese Berufsbilder ein höheres Substitutionspotenzial auf. Dafür entstehen durch die Transformation an anderer Stelle auch neue Arbeitsplätze. Ich finde, wir sollten nicht ständig über den Standort schimpfen.  Deutschland ist immer noch die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt.

    Sie haben Einblick in viele Unternehmen. Wie viele Investitionsentscheidungen wurden in den vergangenen Jahren zulasten Deutschlands getroffen?
    STIEDL: Wir stellen schon fest, dass bayerische Unternehmen mehr im Ausland investieren, etwa in den USA oder in China. Das liegt aber an den hohen Energiepreisen hier. Wenn nun endlich der Industriestrompreis kommt, werden die Rahmenbedingungen besser. Und dann wird sich das auch wieder ändern.

    Trotz Tarifrunden mit guten Lohnabschlüssen gibt es wegen der gestiegenen Lebenshaltungskosten real noch immer einen ordentlichen Kaufkraftverlust. Wenn dieser Koalitionsvertrag umgesetzt ist, wird Deutschland dann gerechter sein?
    STIEDL: Nach jetzigem Stand: Leider nein. Bei der im Koalitionsvertrag verankerten Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen ist der künftige Bundeskanzler ja bereits wieder zurückgerudert. Umgekehrt wird wieder keine Vermögensteuer eingeführt. Dafür gibt es immer mehr Milliardäre in diesem Land. Es wäre daher angemessen, umzuverteilen.

    Aber müssen nicht tatsächlich alle ein bisschen mehr anpacken, wenn Deutschland die Kurve kriegen soll?
    STIEDL: Für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sehe ich das nicht. Sie haben allein im Jahr 2024 mehr als 1,2 Milliarden Überstunden angehäuft, mehr als die Hälfte davon übrigens unbezahlt. Für die Behäbigkeitsthese spricht das nicht. Ich würde mir wünschen, dass wir stattdessen mehr über die Unternehmerinnen und Unternehmer diskutieren: Welchen Beitrag leisten sie für diese Gesellschaft? Wo sind sie bereit, diesem Land mit seiner vergleichsweise noch immer guten Infrastruktur etwas zurückzugeben? Das wäre eine ehrlichere Debatte.

    Zur Person

    Zur Person: Bernhard Stiedl ist Vorsitzender des DGB Bayern. Bevor er an die Spitze des Deutschen Gewerkschaftsbundes im Freistaat wechselte, war der 54-jährige Betriebswirt und Feinmechaniker Erster Bevollmächtigter der IG Metall Ingolstadt.

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