Herr Professor Schularick, nehmen wir an, Sie sind mittelständischer Unternehmer, auch in den USA unterwegs, produzieren aber nicht vor Ort. Das Geschäft läuft. Sie wollen expandieren. Wo siedeln Sie an?
Moritz Schularick: Das hängt davon ab, wie stark mein Unternehmen vom amerikanischen Markt abhängig ist. Wenn ich dort stark expandieren will, habe ich aktuell große Anreize, zumindest einen Teil der Produktion in den USA aufzubauen. Das wäre zwar mit hohen Fixkosten verbunden, aber es ist der naheliegendste Weg, um Zölle und andere Unsicherheiten zu umgehen.
An diesem Montag beginnt Donald Trumps zweite Amtszeit. Was bedeutet das für den Standort Deutschland?
Schularick: Trump wird mit hoher Wahrscheinlichkeit an der Zollschraube drehen. Die Frage ist, wie weit er gehen wird. Möglich ist, dass er hohe Zölle ankündigt, um einen besseren Verhandlungsspielraum zu haben. Sollte Europa geschlossen reagieren, könnte das Endergebnis erträglich bleiben.
Bringen die Zölle den USA langfristig überhaupt Vorteile?
Schularick: Nein, vor allem schaden sie den amerikanischen Konsumenten, da viele Produkte teurer werden. Das reduziert den Lebensstandard. Zwar könnten Produktionsverlagerungen nach Amerika kurzfristig Arbeitsplätze schaffen, aber der gesamtwirtschaftliche Effekt ist negativ.
Europa ist nicht in der besten Verfassung. Wie hoch schätzen sie die Gefahr ein, dass die EU-Länder sich von Trump auseinanderdividieren lassen?
Schularick: Ich bin da vorsichtig optimistisch. Die handelspolitischen Kompetenzen liegen in Brüssel, nicht bei den Mitgliedstaaten. Selbst der Bundesregierung war in ihren dunkelsten Stunden bewusst, dass Europa nur gemeinsam etwas bewirken kann, wenn es mit den beiden Gorillas USA und China verhandelt. Und auch Frau Meloni oder Herr Orbán dürften verstehen, dass sie allein noch viel weniger Einfluss haben.
Deutschland steckt in der Krise fest. Ihr Institut prognostiziert für 2025 nur Stagnation. Was muss die nächste Bundesregierung sofort angehen?
Schularick: Erstens in Sicherheit und Verteidigung investieren - was übrigens auch erhebliches Wachstum bedeuten kann. Ohne Sicherheit ist alles nichts und wir bleiben von Trump erpressbar. Zweitens in Bildung - unsere Zukunft und auch die Solidität unserer Staatsfinanzen hängen langfristig vor allem von den PISA-Studien-Ergebnissen ab, davon, wie gut ausgebildet, innovativ und forschungsstark wir sind. Menschen sind die wichtigste Ressource, über die unser Land verfügt. Wir sind da inzwischen in wichtigen Bereichen deutlich abgeschlagen. Drittens in Infrastruktur, vor allem in Digitales, Verkehr und Wohnungen, Energie. Auch hier haben wir massive Defizite. Schließlich Deregulierung und Entbürokratisierung. Dieses Land braucht eine Rosskur.
Sie haben Ex-Finanzminister Lindner neulich im Fernsehen live vorgerechnet, warum Einsparungen beim Bürgergeld nicht reichen werden, und die Schuldenbremse reformiert gehört. Was kommt da auf die neue Bundesregierung zu?
Schularick: Was in den nächsten zehn Jahren an zusätzlichen Verteidigungsinvestitionen auf uns zukommt, wird sich nicht so einfach mit Umschichtungen im Haushalt organisieren lassen. Dafür sind die Summen zu groß. Das weiß auch Herr Lindner. Wenn man auf die nächste Dekade blickt, ist es unehrlich, zusätzliche Kreditaufnahme auszuschließen. Wir werden schnell rund 80 Milliarden pro Jahr mehr ausgeben müssen, um verteidigungsfähig zu werden. Das ist aus dem regulären Haushalt kurzfristig auch durch radikale Streichungen nicht zu finanzieren. Mittelfristig müssen wir, wenn wir über Steuererhöhungen nicht weiter an Wettbewerbsfähigkeit einbüßen wollen, umschichten. Etwa jeder dritte Euro, den der Bund als Steuern einnimmt, geht aktuell in den Rentenzuschuss. Das kann nicht langfristig so bleiben, wenn wir mehr in die Zukunft des Landes investieren wollen. Wir werden also darüber nachdenken müssen, wie wir unsere Sozialsysteme so reformieren, dass im Haushalt mehr Platz für die Zukunft ist.
Trump wird den Druck hochhalten, dass die Nato-Partner ihren Anteil bezahlen.
Schularick: Die deutsche Politik ist Weltmeister darin, den Kopf in den Sand zu stecken. Alle denken nur darüber nach, was zu tun ist, damit Trump zufrieden ist. Wir haben noch nicht einmal angefangen, darüber nachzudenken, was wir tun müssten, wenn wir eines Tages ohne die USA dastehen. Denken Sie nur an die europäische Luftverteidigung. Wir haben derzeit nichts, womit wir deutsche Großstädte gegen weit über Hundert in Kaliningrad stationierte russische Raketen verteidigen könnten. Das kann nicht sein. Und nochmals: Investitionen in unsere Verteidigung bedeuten auch mehr Wachstum. Und einen Schuss in den Arm kann unsere Wirtschaft derzeit gut gebrauchen.
Vergangene Woche ist der neue iranische Präsident Peseschkian nach Moskau gereist, um die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu stärken. Ist das eher ein Zeichen für Russlands Geschmeidigkeit oder für seine wachsende Verzweiflung?
Schularick: Ich denke, der Druck in der russischen Wirtschaft steigt gerade massiv. Die Sanktionen, die zuletzt verschärft wurden und weiter verschärft werden müssen, haben Wirkung gezeigt. Russland hat faktisch auf Kriegswirtschaft umgestellt und produziert Militärgüter in erheblichem Umfang. Der Abstand zu den Produktionskapazitäten in der EU hat sich dadurch eher vergrößert. Übrigens auch ein Zeichen, wie wenig Zeitenwende bei uns tatsächlich in der Praxis ankam. Die Folge der russischen Kriegswirtschaft ist allerdings: Die Inflation ist stark gestiegen und die Zinsen liegen bei über 20 Prozent. Putin fehlen die Mittel, um den Krieg langfristig ohne massive ökonomische Probleme zu führen. Der Druck wird durch sehr erfolgreiche ukrainische Angriffe auf russische Raffinerien und Häfen verstärkt. Es können zudem immer weniger russische Flugzeuge abheben, weil Ersatzteile fehlen. Es würde mich also nicht überraschen, wenn wir in den kommenden ein bis zwei Jahren echte Risse im System sehen.
Aber trotz der bisher 15. Sanktionspakete exportiert Russlands Schattenflotte weiter Öl.
Schularick: Die Biden-Administration hat genauso wie die Bundesregierung nicht den Mut gehabt, Russland wirklich von den Öleinnahmen abzuschneiden. Die Sorge war: Wenn man - wie inzwischen mit ein paar hundert Schiffen geschehen - die ganze Flotte sanktioniert, würde vor den US-Wahlen der Ölpreis steigen - und Biden verliert die Wahl. Nun hat Trump ohnehin gewonnen, jetzt kann man die Daumenschrauben anziehen und im Prinzip die gesamten russischen Ölexporte unter Sanktionen stellen. Zumal Trump gerne zuhause bohrt und so die Rückwirkung auf den Ölpreis geringer gehalten werden kann.
Am Montag wird nicht nur Trump vereidigt, es beginnt auch das Weltwirtschaftsforum in Davos. Was erwarten Sie?
Schularick: Auch ich bin gespannt auf die Stimmung in Davos und freue mich auf die Diskussionen dort. Es gibt viele Unbekannte, auch mit Blick auf den Nahen Osten. Israel, Iran, die Hisbollah - das ist eine sehr volatile Situation. Dazu Trump. Es ist denkbar, dass er festgefahrene Situationen lösen kann. Die Unberechenbarkeit, mit der Trump bewusst auftritt, könnte gerade im Nahostkonflikt vieles durcheinanderwirbeln. Aber auch in Europa. Wenn sie zum Beispiel mit Ukrainern reden, werden sie überrascht sein, mit wie viel Hoffnung die mitunter auf seine Präsidentschaft blicken. Man ist vom Herumlavieren von Biden und Scholz extrem enttäuscht, also von einer Politik nach dem Motto: Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin kein Trump-Fan, aber die disruptive Kraft, die von ihm ausgeht, könnte auch zu positiven Überraschungen führen.
Wahrscheinlicher ist aber doch, dass die USA sich viel mehr für China und weniger für die Ukraine und Europa interessieren?
Schularick: Deshalb ist es wichtig, den Trump-Leuten immer wieder klarzumachen: Wenn Putin in der Ukraine gewinnt, gewinnt auch China. Wenn das aber nicht gelingt, wenn sich die Amerikaner aus der Verantwortung für Europa zurückziehen, dann sind die derzeitigen Diskussionen über europäische Verteidigungsausgaben reine Makulatur. Dann müssen wir zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs selbst für unsere Sicherheit einstehen. Mal zum Vergleich: Die Amerikaner unter Präsident Eisenhower hatten in den 1950er Jahren Verteidigungsausgaben von deutlich über 10 Prozent des BIP. Und haben damit im Übrigen auch das US-Autobahnnetz ausgebaut, weil das strategisch wichtig für die Landesverteidigung war. Die aktuellen Nato-Verteidigungspläne beruhen auf dem Schienennetz der Deutschen Bahn... Wir sind noch nicht so weit, aber Teil des deutschen Problems ist, dass niemand der Verantwortlichen ernsthaft proaktiv die Frage stellt: Was wäre, wenn? Sollten sie aber!
Welchen Einfluss wird China dieses Jahr auf die globale Konjunktur haben?
Schularick: China ist nach dem Platzen der Immobilienblase und den daraus resultierenden massiven staatlichen Eingriffen in einer schweren ökonomischen Krise. Und weil das Binnenwachstum schwächelt, sucht China - genau wie wir Anfang der 2000er Jahre - sein Heil im Export. Wir erleben aktuell einen zweiten China-Schock, der Deutschland ins industrielle Herz trifft. Wir werden unsere Produktionsinfrastruktur überdenken und Forschung und Innovationen stärken müssen. Da sollte das Geld rein, nicht in die Rettung der alten Industrien.
Ist die deutsche Autoindustrie noch zu retten?
Schularick: Nicht alle drei großen Autobauer werden dieses Jahrzehnt überleben. Die deutsche Wirtschaft wird neue Produkte und neue Märkte erschließen müssen. China ist vom Rückenwind zum steifen Gegenwind für die deutsche Wirtschaft geworden.
Als mögliche Alternative zu China gilt Indien.
Schularick: Indien ist auf jeden Fall ein Wachstumsmarkt, auf dem uns übrigens auch China harte Konkurrenz macht. Wir haben da aber Chancen. Wir sollten sie nutzen.
Wird Europa nicht zwischen China und den USA zerdrückt?
Schularick: Wir müssen als EU gegenüber den USA und China robuster auftreten lernen und unsere Interessen verteidigen. Wir müssen stark sein, sonst werden wir nicht ernst genommen. Gegenüber dem Rest der Welt sollten wir Champions der Offenheit und Globalisierung sein und für einen offenen, regelbasierten Handel eintreten. Dann haben wir große Chancen. Dass es der EU gelungen ist, sich mit Mercosur auf ein Freihandelsabkommen zu einigen, ist eine exzellente Nachricht.
Zur Person: Moritz Schularick ist Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW) und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Sciences Po in Paris.

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