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Foto: Tobias Schuhwerk
Foto: Tobias Schuhwerk

Von ihren Kundinnen und Kunden wird sie als „Tankstellen-Queen“ bezeichnet: Die 85-jährige Aloisia Osterried arbeitet seit über 60 Jahren im Familienbetrieb in Füssen, etwa 100 Meter von der Grenze zu Österreich entfernt.

Lesetipp
25.09.2022

Die Tankstellen-Queen steht seit über 60 Jahren an der Zapfsäule

Von Tobias Schuhwerk

Plus Die 85-jährige Aloisia Osterried aus Füssen ist Bayerns älteste Zapfsäulen-Betreiberin. Seit 62 Jahren packt sie im Familienunternehmen an.

Auf das Klingeln der kleinen Glocke an der Ladentür folgt meist ein großes Hallo. Viele Kunden, die an der Tankstelle der Familie Osterried in Füssen zum Zahlen in den Shop kommen, begrüßen die alte Dame an der Kasse überschwänglich: Aloisia Osterried ist für viele Kult. Die 85-Jährige mit dem herzlichen Humor und dem ansteckenden Lachen ist Bayerns älteste Tankstellen-Betreiberin. „Eine wie sie gibt es wohl kein zweites Mal“, sagt Günter Friedl, Vorsitzender des Tankstellengewerbes Bayerns mit 1000 Betrieben und 15.000 Mitarbeitern.

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Tankstellen-Queen aus Füssen will Queen-Rekord knacken

Seit 62 Jahren wacht Aloisia Osterried über ihr kleines Reich in Füssen-Ziegelwies, nur knapp 100 Meter von der Grenze zu Österreich entfernt, und kümmert sich persönlich um jeden Kunden. Manche Urlauber schauen auf der Durchreise von Hamburg oder Berlin nach Österreich oder Italien eigens bei ihr vorbei. „Kürzlich hat mich ein alter Bekannter sogar schon Tankstellen-Queen genannt“, sagt die Witwe schmunzelnd. „Das hat mich sehr gefreut.“

Im Vergleich zu Queen Elizabeth II. fehlen ihr zwar noch ein paar Dienstjahre: Die Monarchin herrschte 70 Jahre und 214 Tage. Doch diese Marke will sie locker knacken. Als wir die „Tankstellen-Queen“ am Telefon um eine Audienz bitten, sagt sie augenzwinkernd: „Sie brauchen it pressieren. Ich werd’ über 100 Jahre alt!“ Wichtigste Voraussetzung: „Ich muss halt weiter in unserer Tankstelle arbeiten können. Sonst wüsst’ ich doch gar nicht, was ich tun sollte.“ Zwar hat sie die kleine „Tanke“ längst an den ältesten ihrer beiden Söhne überschrieben. „Aber Chefin ist die Mama immer noch“, sagt der 60-Jährige Franz, der neben den beiden Zapfsäulen eine Autowerkstatt betreibt.

1960 hat der Sprit noch 50 Pfennig gekostet

Dass sie Bayerns älteste Tankstellen-Betreiberin werden würde, hätte Aloisia Osterried als junge Frau nie gedacht. Sie arbeitete als Bedienung, als eine zufällige Begegnung ihr Leben veränderte. Sie kam mit einem Gast ins Gespräch, der ihre große Liebe werden sollte: Franz Osterried senior arbeitete damals in der 1955 von seinem Vater eröffneten Tankstelle. „Zwischen dem Franz und mir hat es gleich gefunkt. Ich wäre ihm überall hin gefolgt“, sagt sie. „Wäre er nach Hollywood gegangen, wäre ich auch mit. Aber so wurd’s halt die Ziegelwies.“

Nach der Hochzeit 1960 übergab Franz’ Vater Tankstelle und Werkstatt an das junge Paar. An den Spritpreis erinnert sich Aloisia Osterried genau: „50 Pfennig für den Liter Benzin oder, wie man heut sagt, 25 Cent.“ Eine traumhafte Zeit sei das gewesen. Die Geschäfte brummten mit jedem neu zugelassenen Auto. Und die Tankstellen im benachbarten Österreich verlangten in etwa gleiche Preise wie auf bayerischer Seite. Aktuell ist die Konkurrenz in der Alpenrepublik an manchen Tagen um 30 Cent billiger. „Das tut weh. Wir brauchen endlich gleiche Steuern und Bedingungen in Europa“, sagt die „Tankstellen-Queen“, die auf Gäste aus Nah und Fern eingestellt ist. Mit Einheimischen spricht sie im Dialekt, mit Touristen aus China, Holland oder Amerika, die nach einem Besuch von Schloss Neuschwanstein über die Ziegelwies weiterreisen, parliert sie auf Englisch. Italienern hellt sie mit einem lockeren „Ciao“ die Miene auf und nennt den Preis in deren Landessprache: „Hab’ ich mir alles selbst beigebracht.“

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Sorgen um Tankstellen-Räuber macht sich die Betreiberin keine

Die Tankstelle und ihr bunt gemischtes Publikum sind ihr Leben. Früher arbeitete sie teils von 5 Uhr morgens bis 22 Uhr abends. Und das nicht nur an der Kasse: „Ich hab’ auch Scheiben geputzt, vollgetankt, Luft- und Ölstände geprüft und Lampen gewechselt“, sagt sie. „Heute mit diesen modernen Scheinwerfern schaff’ ich das aber leider nicht mehr.“ Dafür ist sie auch dank ihrer drei Enkel fit am Computer. Und sie weiß sich zu helfen. Wenn ein Durchreisender mal zu zahlen „vergisst“, greift sie zum Handy und verständigt die Polizei in Österreich. „Zu denen hab’ ich einen guten Draht. Wenn ich das Kennzeichen durchgeb’, ziehen die mir den gleich aus dem Verkehr“, erzählt sie. Doch zum Glück seien 99,9 Prozent ihrer Kunden ehrlich.

Nach Angaben des Tankstellengewerbes wird allerdings alle drei bis vier Wochen eine Tankstelle im Freistaat überfallen. Aloisia Osterried ist in über sechs Jahrzehnten davon verschont geblieben. Sorge vor Räubern macht sich die eiserne Lady auch heute keine: „Wenn die mich sehen“, sagt sie mit einem schallenden Lachen, „laufen die doch von alleine weg.“

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