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Bundestagswahl 2025: Gewalt gegen Politiker in Bayern nimmt zu

Bundestagswahlkampf 2025

Wut auf Wahlkämpfer: Pöbeleien und Vandalismus nehmen zu

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    Ein zerfetztes Wahlplakat der SPD: Derartige Sachbeschädigungen gehören inzwischen zum Wahlkampf-Alltag der Parteien.
    Ein zerfetztes Wahlplakat der SPD: Derartige Sachbeschädigungen gehören inzwischen zum Wahlkampf-Alltag der Parteien. Foto: Boris Roessler, dpa

    Die Zerstörungswut richtete sich gegen CSU, SPD, Grüne und FDP. Auf deren Wahlplakaten wurden gleich in mehreren Orten im Landkreis Starnberg in der vergangenen Woche Gesichter von Politikerinnen und Politikern mit roter oder schwarzer Farbe beschmiert, durchgestrichen, mit „AFD“ überschrieben. Plakate wurden zer- oder abgerissen, teils wiederholt. Das Entsetzen bei den betroffenen Kandidaten und Kandidatinnen für die Bundestagswahl und bei ihren Parteien war groß. Die Polizei ermittelt.

    SPD-Kandidatin Anna Rasehorn in Augsburg attackiert – Polizei sucht Zeugen

    Wie im Fall der SPD-Landtagsabgeordneten Anna Rasehorn, die nach eigenen Angaben in Augsburg beim Plakatieren Opfer einer Attacke wurde. Ein Unbekannter habe sie verbal bedroht und geschubst. Die Kriminalpolizei Augsburg ruft nun mögliche Zeugen auf, sich unter der Telefonnummer 0821/323-3821 zu melden. Sie sucht nach einem Mann, etwa 50 bis 65 Jahre alt, 1,80 Meter groß, wenige Haare, dunkel gekleidet. Er soll eine Rewe-Papiertüte bei sich gehabt haben. Tatzeitpunkt: 12. Januar, gegen 0.30 Uhr, in der Landsberger Straße.

    Der Hate-Speech-Beauftragte der bayerischen Justiz, Staatsanwalt David Beck, spricht auf Anfrage von einem „Angriff auf die Demokratie“, denn „Amts- und Mandatsträger erfüllen eine Schlüsselfunktion in unserer Gesellschaft“. Er appelliert an die Bevölkerung: „Sprechen und zeigen Sie solche Straftaten an. Nur wenn wir von diesen Straftaten Kenntnis bekommen, können wir auch konsequent dagegen einschreiten.“ Die SPD-Landesvorsitzende Ronja Endres sagt: „Die zunehmende Gewalt gegen Politikerinnen und Politiker sowie Wahlhelfende ist alarmierend und inakzeptabel.“

    Vor kurzem wurde eine ganze Reihe von Wahlplakaten im Landkreis Starnberg, hier in Pöcking, beschmiert und abgerissen.
    Vor kurzem wurde eine ganze Reihe von Wahlplakaten im Landkreis Starnberg, hier in Pöcking, beschmiert und abgerissen. Foto: privat/Grüne

    Körperliche Attacken bilden dennoch eine Ausnahme, wie eine Umfrage unserer Redaktion unter den größeren in Bayern vertretenen Parteien zeigt. Einen besonders markanten Anstieg solcher Straftaten kann auch weder die Generalstaatsanwaltschaft München noch das Landeskriminalamt feststellen. Wobei beide Behörden einschränken, dass belastbare (aktuelle) Zahlen noch nicht vorliegen.

    Laut einer Auswertung der ersten drei Quartale des vergangenen Jahres, die das Landeskriminalamt für unsere Redaktion vorgenommen hat, wurden 204 Delikte gegenüber „Parteirepräsentanten/Parteimitgliedern“ im Bereich der „politisch motivierten Kriminalität“ erfasst. Darunter zweimal „gefährliche Körperverletzung“, siebenmal „Körperverletzung“ und 49 Mal „Üble Nachrede/Verleumdung von Politiker“. Delikte im Zusammenhang mit Wahlplakaten, insbesondere Sachbeschädigung, gab es demnach 518. In den ausgewerteten Zeitraum fällt die Europawahl 2024.

    Grünen-Vorsitzende Eva Lettenbauer: „zunehmende Verrohung in diesem Wahlkampf“

    Während beschädigte Plakate inzwischen zum Wahlkampf-Alltag der Parteien gehören und in der Regel vor Ort Schlagzeilen machen, werden immer wieder Attacken auf Politiker bayern- und bundesweit zum Thema. Wie 2022 die auf den Bayreuther SPD-Lokalpolitiker Halil Tasdelen. Oder 2023 der Steinwurf in Richtung des damaligen Grünen-Spitzenduos für die Landtagswahl, Katharina Schulze und Ludwig Hartmann, bei einer Wahlkampfveranstaltung in Neu-Ulm. Die Grünen verweisen aktuell auf einen Vorfall von Anfang Januar, bei dem der Wahlkampfstand von Direktkandidat André Hermann in München-Neuperlach vor den Augen von Wahlkampfhelfern und -helferinnen zerstört wurde. Die AfD Bayern äußerte sich auch auf wiederholte Bitte nicht zu den Fragen unserer Redaktion.

    Mit Ausnahme der ÖDP sind für die verbliebenen sieben befragten Parteien Sachbeschädigungen und verbale Aggressionen ein – zum Teil zunehmend – großes Problem im laufenden Bundestagswahlkampf im Freistaat. Genaue Zahlen, erklären sie, liegen ihnen jedoch nicht vor. So heißt es von den Grünen, dass Pöbeleien und Beleidigungen beim Plakatieren oder an Infoständen häufiger vorkämen. „Vandalismus und Zerstörung von Wahlplakaten hat in diesem Wahlkampf nochmals zugenommen“, sagt ein Sprecher, und zwar „flächendeckend in ganz Bayern“. Eva Lettenbauer, die Landesvorsitzende der Grünen, ist besorgt über „die zunehmende Verrohung in den letzten Jahren, auch in diesem Wahlkampf“. Hass und Hetze gebe es „nicht mehr nur im Internet, sondern auch auf den Straßen in Bayern“. Sie lässt dem ein „Aber“ folgen: „Wir Grüne verteidigen unsere Demokratie, wir bleiben stehen, auch wenn der Wind mal rauer pfeift.“

    FW-Minister Mehring: „Attacken gegen Volksvertreter sind stets ein Angriff auf uns alle“

    Die SPD stellt ebenfalls eine Häufung von verbalen Angriffen und Sachbeschädigungen an Plakaten fest. „Büros, Einrichtungen und Wahlplakate der CSU wurden in den vergangenen Jahren und auch im aktuellen Wahlkampf immer wieder attackiert und beschmiert“, sagt eine Sprecherin der CSU. Bislang sei es bei kleineren Sachbeschädigungen geblieben. Die Landesvorsitzende der Partei Die Linke, Kathrin Flach Gomez, berichtet davon, dass derzeit zahlreiche Plakate zerstört werden: In Fürth seien einige angezündet, in Nürnberg „überdurchschnittlich viele“ kaputt getreten worden.

    Die SPD-Landtagsabgeordnete Anna Rasehorn wurde nach eigenen Angaben beim Plakatieren in Augsburg verbal bedroht und geschubst.
    Die SPD-Landtagsabgeordnete Anna Rasehorn wurde nach eigenen Angaben beim Plakatieren in Augsburg verbal bedroht und geschubst. Foto: Matthias Becker

    Groß ist die Solidarität mit der SPD-Landtagsabgeordneten Anna Rasehorn, hinter die sich Spitzenpolitikerinnen und -politiker anderer Parteien stellen. Fabian Mehring, bayerischer Digitalminister der Freien Wähler, sagt etwa: „Attacken gegen Volksvertreter sind stets ein Angriff auf uns alle.“ Und weiter: „In Deutschland wählt man den Bundestag und stürmt nicht das Kapitol: Trumpismus ist in unserer Heimat nicht erwünscht.“ Der bayerische FDP-Landesvorsitzende und Spitzenkandidat zur Bundestagswahl, Martin Hagen, erklärt: „Angriffe auf Politiker oder ehrenamtliche Wahlkämpfer beschädigen den demokratischen Diskurs nachhaltig und sind deshalb aufs Schärfste zu verurteilen.“ Klaus Ernst, BSW-Landesvorsitzender und bayerischer Spitzenkandidat zur Bundestagswahl, sagt: „Wir verurteilen jede Art von Gewalt gegen Wahlkämpfer, egal welcher Partei sie angehören. Jene, die Wahlhelfer angreifen und damit das Hängen von Plakaten oder das Verteilen von Flugblättern verhindern, stellen sich außerhalb unserer Verfassung. Sie greifen die Meinungsfreiheit an.“ Er fordere die staatlichen Organe auf, solche Straftäter rasch zu ermitteln und im Rahmen der Gesetze zu bestrafen, so Ernst. Der bayerische ÖDP-Bundestagsspitzenkandidat Günther Brendle-Behnisch bezeichnet den mutmaßlichen Angriff auf Rasehorn als „verwerflich und außerhalb jeder kultivierten politischen Auseinandersetzung“.

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    8 Kommentare
    Rainer Kraus

    Es ist schlimm, aber Menschen denen man etwas vorgegaukelt hat und jetzt mit Fakten und Realität konfrontiert werden, fühlen sich hinters Licht geführt und werden aggressiv. Leider hat da in der Vergangenheit der Journalismus eine entscheidende Rolle mit gespielt. Beim Qualitäts-Journalismus ist deshalb noch sehr viel Luft (keine heiße) nah oben.

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    Maria Reichenauer

    Man hat niemand etwas vorgegaukelt und es gibt keinen Grund, seine Aggressivität an Menschen auszuleben, die für eine politische Partei Wahlkampf machen. Dafür ist weder der Journalismus, noch die Politik noch sonst wer verantwortlich zu machen. Das gebietet der Anstand. Wenn es nicht mehr so ist, leben wir in einem Saustall.

    Klemens Hain

    Das sehe ich genauso und füge hin zu, dass es ein grausamer Zustand ist, wie man sich in einem noch freiheitlichen Staat so verhält. Genießt die Demokratie, so lange es noch geht. Ich denke es wird nicht immer so laufen wie man es gerne hätte, aber man sollte auch darüber nachdenken, wie viele Jugendliche Deutsche Gruben herum Pöppel und auch nicht immer Straffrei sind. Ich frage mich was ist all die Jahre Falsch gelaufen?? Kann doch nicht immer an der Politik liegen und schon gar nicht immer die Grünen für alles verantwortlich machen!!! Man sieht jetzt bei Herrn Söder das man Sie braucht, oder????

    Wolfgang Boeldt

    Immer wieder ist zu lese oder zu hören, man (die Politik) ist empört, ist alarmiert, ist entsetzt ... . Ich nehme doch stark an, daß einige erkannt haben, daß sich die Zeiten geändert haben, ziemlich genau seit 30 Jahren. Nachrichten (richtige und falsche) verbreiten sich in Sekundenschnelle, die Autorität des Staates und der Gesetze wird immer weniger anerkannt, man hat mehr persönliche Freizeit ... . Antworten zur annähernd 100%igen Eindämmung gibt es nur in einem autoritär geführten Staat. Eine freiheitliche demokratische Grundordnung wird wohl mit solchen Auswüchsen leben müssen.

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    Maria Reichenauer

    Dies alles ist aber weder ein Grund, Sachbeschädigung zu tolerieren noch Wahlkämpfer und Wahlkämpferinnen beim Plakatieren oder dergl. zu bedrohen, zu beschimpfen oder sie auch nur aggressiv anzuehen. Nein, solche Auswüchse muss man nicht tolerieren. Man muss ihnen mit aller Macht entgegentreten. Egal welcher politischen Partei man sich am nächsten fühlt, man muss zumindest miteinander kommunizieren können, ohne agressiv oder gar tätlich zu werden. Dafür gibt es keine Entschuldigung.

    Franz Xanter

    Hierbei wird leider in der Regel die menschliche Mentalität sowie die menschliche Geduld vergessen. Sehen wir nach Amerika, nach Frankreich, nach Italien oder den Niederlanden. Dort sind derzeit politische Unzufriedenheit äußerst ausgeprägt und je nach Mentalität treten diese auch äußerst aggressiv auf. Kein Wunder, denn Jahre, Jahrzehnte von Misswirtschaft, politischen Fehlleistungen sowie Ansammlungen des Gefühls der politischen Ignoranz oder Gleichgültigkeit prägen. Und dann kommt so zu solchen Ausbrüchen. Scheint auch in DEU bald so zu sein, denn die durch die Bevölkerung wahrgenommene Gleichgültigkeit in der Politik zu ihren Anliegen wächst.

    Maria Reichenauer

    Interessant ist schon, dass vor allem die, die dem rechten Lager sehr zugetan, Gewalt gegen Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer relativieren. Das sollte uns zu denken geben. Als es die AfD nur als kleines Grüppchen gab, war die Situation eine andere. Und ich erinnere daran, dass auch in den 1920er und 1930er Jahren diese Vorfälle zunahmen. Das Dritte Reich hat nicht erst 1933 angefangen, die braunen Agitatoren waren schon vorher aktiv. Oppositionelle wurden angepöbelt, verprügelt, manche auch umgebracht. Wehret den Anfängen. Und wenn Sie sie nicht sehen, schauen Sie genau hin!

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    Peter Zimmermann

    Sie haben recht Frau Reichenauer die Ähnlichkeiten sind frapierend.

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