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Pflege zu Hause oder im Heim: Herausforderungen für Angehörige und Pflegebedürftige

Pflege

Das große Pflege-Problem: Kaum einer will ins Heim, doch zu Hause ist die Versorgung oft ein Kraftakt

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    Zunächst war es für Erika Gröning (links) und für Lothar Almaschan ein Schock, ins Altersheim zu müssen. Auch Erika Grönings Tochter Petra Herbel hat sich mit dem Schritt nicht leicht getan. Heute fühlen sich die beiden Senioren in der AWO-Einrichtung in Königsbrunn sehr gut versorgt.
    Zunächst war es für Erika Gröning (links) und für Lothar Almaschan ein Schock, ins Altersheim zu müssen. Auch Erika Grönings Tochter Petra Herbel hat sich mit dem Schritt nicht leicht getan. Heute fühlen sich die beiden Senioren in der AWO-Einrichtung in Königsbrunn sehr gut versorgt. Foto: Marcus Merk

    Mit einem Ohr ist sie immer bei ihrem Mann. Tag und Nacht. Sie hört sofort, wenn etwas nicht stimmt. Wenn das Sauerstoffgerät merkwürdige Geräusche macht. Wenn ihr Mann nicht ausreichend Luft bekommt. Dann ist Eile geboten. Dann muss das Gerät hochgeschaltet werden, oft nur Nuancen, aber nur so kann ihr schwer kranker Mann wieder atmen. Er ist auf sie angewiesen. Rund um die Uhr. Seit etwa einem dreiviertel Jahr.

    Ihr Leben hat sich seither komplett verändert – seines, aber auch ihres. „Jede Spontanität ist weg, jede Freiheit. Man kann nirgends einfach hingehen, alles muss geplant werden, selbst der kürzeste Einkauf“, sagt die 67-Jährige, die mit ihrem Mann im Ries wohnt. Was ihr immer wieder auffällt: „Viele fragen, wie es meinem Mann geht. Aber wie es mir geht, das fragen die wenigsten.“

    „Viele fragen, wie es meinem Mann geht. Aber wie es mir geht, das fragen die wenigsten.“

    Eine 67-Jährige, die zu Hause ihren schwer kranken Mann pflegt

    Es ist auch kein schönes Plauderthema. Pflege. Damit beschäftigen sich viele erst, wenn sie selbst betroffen sind. Oder Angehörige. Immer mehr kommen allerdings in diese Lage, denn die Zahl der Pflegebedürftigen steigt: Ende 2023 gab es nach Angaben des Bayerischen Landesamtes für Statistik im Freistaat 631.273 Pflegebedürftige. Die Zahl hat demnach zwischen 2021 und 2023 um 9,2 Prozent zugelegt – in Mittelfranken und Schwaben liege das Plus mit 11,6 und 11,5 Prozent über dem Schnitt. 82,4 Prozent der Pflegebedürftigen werden zuhause durch Angehörige oder durch einen ambulanten Pflegedienst versorgt. Doch das klappt nicht immer.

    Der Umzug von einem Haus in ein kleines Zimmer ist eine sehr schmerzhafte Zäsur

    Bei Lothar Almaschan hat es nicht geklappt. Dass er heute im AWO-Seniorenheim in Königsbrunn im Landkreis Augsburg lebt, das hätten er und seine Lebensgefährtin sich vor nicht allzu langer Zeit noch nicht vorstellen können. Vor etwas über einem Jahr habe er sich noch fit gefühlt, erzählt der 83-Jährige und ein Lächeln huscht über sein schmales, freundliches Gesicht. Doch plötzlich sei es Schlag auf Schlag gekommen. Zuerst waren die starken Schmerzen im Rücken. Dann stürzte er. Dann kam eine Operation. Dann wieder ein Sturz. Wieder eine Operation. Mit jedem Klinikaufenthalt sei er schwächer geworden, gebrechlicher. Ausgerechnet er, der begeisterte Tänzer. Ein Mann, der nicht nur in seinem Beruf als Lehrer aufging, sondern auch seit Jahrzehnten leidenschaftlich gerne töpferte. Ein Mann, der es gewohnt war, Platz zu haben – für sich und seine vielen Kunstwerke. Plötzlich musste er sich mit einem kleinen Zimmer begnügen, weil das Haus, das er mit seiner Lebensgefährtin bewohnte, nicht barrierefrei ist und somit für ihn, der nun einen Rollator braucht, jederzeit zur tödlichen Falle werden kann. Plötzlich war er pflegebedürftig. Plötzlich blieb nur noch das Heim. „Das war ein Schock“, gibt er zu. Eine schmerzhafte Zäsur. „Auch an das Zusammenleben mit anderen schwer kranken, oft verwirrten Menschen musste ich mich erst gewöhnen.“ Was ihn tröstet, seien die regelmäßigen Besuche seiner Familie. Keine Selbstverständlichkeit. Viele würden kaum oder nie Besuch bekommen.

    Erika Gröning sieht man an, wie gut sie nachvollziehen kann, wie sich Lothar Almaschan fühlt. Die 87-Jährige sitzt ihm vis-a-vis in einem Gemeinschaftsraum im Erdgeschoss in dieser architektonisch sehr offenen, großzügig und einladend gestalteten Einrichtung. Sie hört ihm aufmerksam zu und nickt, als er zusammenfassend sagt: „Ich habe mich arrangiert.“ Schließlich bemühten sich im Haus alle so sehr, es den Bewohnerinnen und Bewohnern so angenehm wie möglich zu machen.

    Erika Gröning hat sich auch arrangiert. Auch bei ihr war es ein Sturz, der alles veränderte. Sie fiel aus ihrem Bett sehr unglücklich auf ihr Steißbein. Dabei lebte sie damals schon im betreuten Wohnen, hatte also vorgesorgt für den Fall, dass sie eines Tages mehr Pflege braucht. Doch nach dem Sturz, zu dem es ausgerechnet in der Corona-Zeit gekommen ist, kam sie einfach nicht mehr auf die Beine, konnte sich beispielsweise nicht mehr alleine duschen, brauchte für alles viel Unterstützung. „Es war ein Drama“, erinnert sich ihre Tochter Petra Herbel. In ein Heim wollte ihre Mutter auf gar keinen Fall. Doch die 63-Jährige ist selbst gesundheitlich so angeschlagen, dass sie ihre Mutter nicht pflegen kann. Das Heim, es war für alle Beteiligten kein leichter Schritt. Heute versucht Erika Gröning das Beste daraus zu machen. Wer ihr Zimmer betritt, ist erst einmal überrascht, weil der Blick gleich auf eine Nähmaschine, viel Wolle, Stoffe und vor allem unzählige kleine, liebevoll bis ins letzte Detail ausgestattete Püppchen fällt. Auch etliche selbst gemalte Bilder zieren die Wände des kleinen Raums. „Ich male, ich nähe, ich beschäftige mich selbst“, sagt Erika Gröning und man sieht der gut gekleideten Dame an, dass sie stolz ist auf ihre vielen und vielseitigen künstlerischen Talente.

    „Das ist doch ein Armutszeugnis, dass die alten Menschen, die ein Leben lang gearbeitet und Kinder groß gezogen haben, am Ende ihres Lebens Sozialfälle werden.“

    Petra Herbel, Tochter einer Altersheimbewohnerin

    Um so trauriger macht sie ein Umstand, den ihre Tochter erzählt: „Meine Mutter, die mit 55 Jahren schon Witwe geworden ist, hatte immer Angst, dass ihr Geld nicht für das Heim reicht.“ Und genau das sei jetzt eingetreten: Erika Gröning muss Sozialhilfe beantragen. „Das ist doch ein Armutszeugnis, dass die alten Menschen, die ein Leben lang gearbeitet und Kinder groß gezogen haben, am Ende ihres Lebens Sozialfälle werden“, ärgert sich Petra Herbel.

    Erika Gröning ist kein Einzelfall. Da die Kosten für die Heime stark steigen, müssten immer mehr Bewohnerinnen und Bewohner Sozialhilfe beantragen, sagt Dieter Egger, Vorstandsvorsitzender der AWO Schwaben. „Für viele unserer Seniorinnen und Senioren ist das extrem stigmatisierend. Zumal damit die Offenlegung aller Vermögenswerte verbunden ist.“ Die Kostensteigerungen in den Heimen seien vor allem auf höhere Personalkosten zurückzuführen. „Es ist auch für uns eine echte Zwickmühle.“ Denn eines der größten Probleme in der Pflege sei der Mangel an gut ausgebildeten, empathischen und engagierten Fachkräften. „Wir bräuchten viel mehr Menschen in der Altenpflege. Und sie sollen auch gut verdienen. In der Altenpflege verdienen sie immer noch im Schnitt bis zu 15 Prozent weniger als im Krankenhaus. Dennoch erhöhen sich mit den Tariferhöhungen die Heimkosten so stark, dass viele unserer Seniorinnen und Senioren Sozialhilfe beantragen müssen, was auch uns schmerzt.“ Daher fordert er seit Langem, dass zumindest die Ausbildungskosten vom Staat übernommen und nicht mehr den Heimbewohnerinnen und -bewohnern in Rechnung gestellt werden.

    Und die Altenheime brauchen nach Einschätzung von Dieter Egger eine Investitionsförderung. Es sei schon bemerkenswert, dass die Bundesregierung, die eine Pflegereform versprochen hat, einen „Investitionsbuster“ für die Wirtschaft aufstellt, aber von Investitionen in die Altenpflege spreche keiner. Glaubt er also, dass mit dieser Bundesregierung eine Pflegereform kommt? Dieter Egger weiß, dass das Problem Pflege hoch komplex ist. Worauf der 63-Jährige hofft: „Dass diese Bundesregierung zumindest anfängt. Und so Schritt für Schritt eine finanzierbare und gute Pflege auf den Weg gebracht wird. Dass dafür auch mehr Steuermittel nötig sind, ist doch klar. Doch die Altenpflege ist eindeutig eine Aufgabe des Staates.“

    Wobei sich Altenpflege nicht auf Altersheime beschränke. Dieter Egger weiß: „Ins Altersheim will so gut wie niemand.“ Zumal man keine Heime mehr mit rüstigen Seniorinnen und Senioren habe, wie noch vor etwa 20 Jahren. „Wir sind heute Hospizen näher als Heimen. Heute kommen die Menschen in der Regel erst, wenn es gar keine andere Alternative mehr gibt.“

    Viele kommen zum VdK, weil sie sich nicht mehr allein duschen können, aber niemanden haben, der ihnen hilft

    Das kann auch Daniela Stark bestätigen. Sie berät in der Geschäftsstelle Augsburg beim Sozialverband VdK Pflegebedürftige und ihre Angehörige. Der Beratungsbedarf sei enorm. Viele wüssten gar nicht, was ihnen zusteht und was sie wo beantragen können. „Die Menschen müssten hier viel besser aufgeklärt werden. Doch die Pflegestützpunkte, die beraten sollen, sind völlig unbekannt.“ Auch kämen immer mehr Menschen zu ihr, die selbst zwar merken, dass sie allein nicht mehr zurecht kommen, die aber niemanden haben, der sie unterstützt. „Das ist ein Riesenproblem.“ Diese Menschen erzählten ihr dann beispielsweise, dass sie sich nur noch waschen, aber nicht mehr duschen können. Dass sie niemanden haben, der für sie einkauft, es zum Supermarkt aber nicht mehr schaffen. Dass sie jemanden bräuchten, der ihnen bei der Wäsche zur Hand geht. „Früher waren gerade die haushaltsnahen Dienstleistungen wie Putzen, Einkaufen, Wäsche waschen und Bügeln in die Pflegestufen integriert“, sagt Daniela Stark. „Heute stehen sie jedem zu, der sie braucht, aber nur wenige Anbieter können mit der Pflegekasse abrechnen. Im Alltag heißt das: Die meisten, die dringend haushaltsnahe Dienste bräuchten und Anspruch darauf haben, finden niemanden – hier klafft eine riesengroße Versorgungslücke.“ Auch bei den Pflegegraden gebe es Probleme: „Wir vom VdK müssen immer wieder hier Widerspruch einlegen, weil die pflegebedürftigen Menschen einen zu geringen Grad erhalten.“

    Gerade bei den haushaltsnahen Dienstleistungen klaffe eine riesengroße Versorgungslücke

    Auch die 67-Jährige, die ihren 70-jährigen Mann im Donau-Ries pflegt, sagt: „Für die haushaltsnahen Dienstleistungen finde ich niemanden. Dabei wären sie so wichtig.“ Denn oft komme sie an ihre Grenzen: „Dann sehe ich beispielsweise zwar, dass die Böden oder die Fenster geputzt werden müssten, aber ich habe dafür keine Kraft mehr.“ Sie weiß, dass es vielen pflegenden Angehörigen so geht wie ihr. Sie war auch einmal in einem Gesprächskreis für pflegende Angehörige. Ihr hat das nichts gebracht: „Da kreist man doch wieder nur um die ganzen Probleme.“ Was sie aufbaut, das sind positive Themen, alles, was nichts mit Pflege zu tun hat. Ihre Fluchten, das sind ihre Bücher, die sie vor allem abends liest. Und ihre stärksten Stützen, das sind ihre Kinder, ihre Tochter und ihr Sohn. Vor allem, dass ihre Tochter jeden Abend anruft und sie über ihren Tag berichten, sich alles von der Seele reden kann, das sei für sie eine enorme Entlastung. Viele Außenstehende könnten sich gar nicht vorstellen, was es bedeutet, für einen anderen rund um die Uhr da zu sein. Ihr schwer lungenkranker Mann kann nicht mehr zur Toilette, sich nicht selbstständig waschen und kommt ohne Hilfe nicht mehr aus dem Bett. Was dazu kommt: „Mein Mann ist sehr auf mich fixiert.“ Fremde Hilfe nehme er ungern an.

    Ihr pflegebedürftiger Mann leidet auch oft psychisch und fühlt sich dann nur noch als Last

    Dass ihr Mann tiefe psychische Krisen durchleidet, ist nachvollziehbar. „Er sagt dann immer, ich bin doch nur noch eine Last, ich bin nichts mehr Wert.“ Dann werde es oft richtig anstrengend. Denn natürlich sei die ganze Situation eine Belastung. „Und es ist unglaublich schwer, jemand anderen aus einem Loch zu ziehen, wenn man selbst jemanden bräuchte, der einen aus dem eigenen Loch zieht. Aber Du versuchst natürlich immer, den anderen aufzubauen.“ Denn, und das ist ihr ganz wichtig: „Ein Mensch hat immer einen Wert. Auch wenn er noch so krank, noch so pflegebedürftig ist. Das sage ich meinem Mann immer wieder: Du hast einen Wert, Du bist bei uns, bei Deiner Familie.“

    Sie und ihren Mann verbindet aber weit mehr: „Nächstes Jahr haben wir Goldene Hochzeit“, erzählt sie. „Uns verbindet also ein ganzes Leben. Und unsere Liebe“, sie stockt, kämpft mit den Tränen, setzt noch einmal an, „unsere Liebe, die ist immer noch da, sie hält uns zusammen – an guten und eben auch an schlechten Tagen“.

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    6 Kommentare
    Jochen Hoeflein

    Bin selbst im vorgerücktem Alter - aber es ist mehr klar , dass mit einem Unfall oder schwerer Erkrankung von heut auf morgen, im Grunde das bisherige freie ungebundene Dasein beendet sein kann. Ich habe bei meiner Mutter gesehen - Pflegeheim ist die Endstation des Lebens ohne jegliche Aussicht auf Besserung- man kann nur hoffen dass es dann schnell geht. No hope, no future. Wenn man dann noch hört erfülltes Leben beim Warten auf den Tod. Mir persönlich ist es nicht danach, dass andere mich Mal beim Sterben beobachten- lieber wie ein Tier verkriechen.

    Marianne Böhm

    Das ist was man immer wieder feststellen kann, dass sich wirklich keiner in den jüngeren, mittleren Jahren fragt wo soll meine Reise im späteren Alter hingehen. Ich denke wenn es so wäre.. dass wir nur ein bisschen unsere Rentenzeit, Gesundheit in den Fokus nehmen würden, sich doch jeder ein Paradies für diese (längere)Zeit erschaffen würde und es nie diese größten Teils hässlichen, total überteuerten Alten- Pflegeheime geben.. Was mich aber auch wütend macht ist, wie schnell ältere Menschen plötzlich hilflose Rentner werden.. mit Trolli und Stock und immer weniger selber machen können.. sie geben einfach auf, soll der Staat, oder die Kinder machen..! Es müsste jeder zu einem Teil verpflichtend für sein Alter vorsorgen. Wir werden immer älter und immer mehr Rentner und immer weniger haben je in die Rentenkasse eingezahlt, oder dass vom Staat immer öfter in die Rentenkasse gegriffen und zweckentfremdet wird. Ein Bürger der lange gearbeitet hat darf einen angenehmen Ruhestand haben.

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    Thomas Keller

    An meinen Eltern habe ich es gesehen. Sie zogen aufs Land, mein Vater brauchte nie einen Führerschein und konnte später eh nicht mehr. Er verstarb, meine Mutter konnte dann auch nicht mehr fahren. Somit war die Mobilität weg, die schöne Wohnung auf dem Land hilft nichts. Aber natürlich will meine Mutter auch nichts in Heim, stark sehbehindert findet sie in ihrer Wohnung alles und kennt sich aus.

    Rainer Kraus

    Was stimmt? "Kaum einer will ins Heim", aber die Alters- und Pflegeheime haben lange Wartezeiten.

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    Thomas Keller

    Eher so vom autonomen Leben weg ins Fremde, ins womöglich bevormundende Leben und auch Endstation.

    Marianne Böhm

    Richtig so sehe ich es auch.. Es wäre doch wesentlich besser wenn es schöne Senioren Wohngemeinschaften geben würde.. oder Mehrgenerationenhäuser..

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