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Foto: Adobe Stock (Symbolbild)

Lesetipp

Die einsamste Entscheidung – und alle wollen mitreden

Bis zur zwölften Woche können Frauen in Deutschland eine ungewollte Schwangerschaft beenden. Doch oft wird ihnen eine Abtreibung unverhältnismäßig schwer gemacht – besonders in Bayern. Über einen jahrzehntealten Kampf, der noch nicht beendet ist.

Corinna Illner spürt es schon, bevor sie es weiß. Erst verändert sich ihr Körper, dann folgt die Erkenntnis im Kopf: Irgendetwas ist anders. An einem Donnerstagnachmittag im Winter 2021 macht sie einen Schwangerschaftstest. Nach wenigen Minuten das Ergebnis: zwei Streifen, positiv. Illner blickt auf den Test und denkt sofort an ihren Partner. Aber es ist keine Freude, die sie überwältigt, sondern Angst. Auf keinen Fall soll ihr Freund von der Schwangerschaft erfahren. Denn Illner ist damals mit einem Mann zusammen, der sie quält, bedroht, kontrolliert, immer wieder gewalttätig wird. Heute, über ein Jahr später, sitzt die schlanke Frau mit den dunklen Haaren in ihrer Wohnung in einer bayerischen Stadt und erzählt ihre Geschichte. Sie spricht darüber, wie schwierig die Situation war. Die Beziehung geht damals dem Ende entgegen. Was, wenn sie ihm von der Schwangerschaft erzählt? Sie fürchtet sich vor seiner Reaktion, vor Drohungen und Ansprüchen. Corinna Illner überlegt lange in den folgenden Tagen, ringt mit sich. Am Ende wird sie das Kind nicht bekommen.

Illner ist eine von rund 100.000 Frauen in Deutschland, die im vergangenen Jahr eine Schwangerschaft abgebrochen haben. Ihr Name lautet eigentlich anders. Sie will ihn nicht in der Zeitung lesen, genauso wenig wie ihren Wohnort. Zu groß ist die Angst vor ihrem Ex-Freund, von dem sie sich kurz nach dem Schwangerschaftsabbruch getrennt hat. Zu groß ist auch die Sorge, von Fremden für ihre Entscheidung verurteilt zu werden. Und doch will Illner ihre Geschichte erzählen, um anderen Frauen zu helfen – und um auf Missstände aufmerksam zu machen. Sie hat sich, wie rund 1300 weitere Frauen, auf einen deutschlandweiten Aufruf des Recherchenetzwerks Correctiv gemeldet. In einem Fragebogen konnten die Frauen ihre Erlebnisse bei Schwangerschaftsabbrüchen schildern. In diesen Report, der aus einer Kooperation von Correctiv, FragDenStaat und unserer Redaktion entstanden ist, sind ihre Erfahrungen eingeflossen. Die Frauen berichten von Stigmatisierungen, Demütigungen und einer teils katastrophalen Versorgungslage – besonders in Bayern.

100.000 Schwangerschaftsabbrüche gab es zuletzt in Deutschland

In Deutschland hat jede Frau das Recht, selbstbestimmt über ihren Körper zu entscheiden. Doch vielerorts im Land, so zeigt es diese Recherche, wird ihr diese Entscheidung unverhältnismäßig schwer gemacht, manchmal fast unmöglich.

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Das mag erst einmal befremdlich wirken. Denn geht es in den Nachrichten um Schwangerschaftsabbrüche, um mangelhafte Versorgung und Abtreibungsgegner, dann stammen die Schlagzeilen meist aus anderen Ländern. Etwa aus Polen, wo zuletzt viele Menschen gegen die verschärften Abtreibungsregeln auf die Straße gingen. Oder aus Texas, wo ein neues Gesetz Abbrüche nahezu unmöglich macht. Schwere Schläge gegen die Frauenrechte, mal mehr, mal weniger weit weg.

Wie die Lage in Deutschland ist, darum geht es vergleichsweise selten. Dabei gibt es auch hier Meldungen, die wie aus einer anderen Zeit wirken, Meldungen wie diese: In manchen Gegenden in der Bundesrepublik müssen Frauen mehr als 100 Kilometer weit fahren, um einen Arzt oder eine Ärztin für einen Schwangerschaftsabbruch zu finden. In ganz Bayern listet die Bundesärztekammer nur neun Mediziner und Medizinerinnen, die offiziell angeben, eine Abtreibung durchzuführen. In Augsburg, einer Stadt mit 300.000 Einwohnern, ist es kein einziger und keine einzige.

Rund 100.000 mal im Jahr wird ein Schwangerschaftsabbruch durchgeführt – und doch ist die Abtreibung eines der letzten großen Tabus in der deutschen Gesellschaft. Wer sich mit diesem Thema beschäftigt, stößt auf viel Leid bei den Betroffenen, auf verhärtete Positionen und jahrzehntelange Grabenkämpfe. Es geht um die großen Fragen der Menschheit: Wann beginnt das menschliche Leben? Wer entscheidet über den eigenen Körper? Wie weit darf sich der Staat in das Leben jeder Einzelnen einmischen?

Vor einer Abtreibung muss die Frau ein Beratungsgespräch führen

Corinna Illner hat sich andere Fragen gestellt, als sie vor der Entscheidung stand, ob sie ihre Schwangerschaft abbrechen würde. Fragen, die ihr eigenes Leben betreffen. Soll sie ein Kind mit einem gewalttätigen Mann aufziehen? Welchen Situationen würde sie sich und das Kind, das in ihr heranwächst, damit aussetzen?

Die ersten Wochen nach dem positiven Test sind für Illner belastend. Ihr Partner hat von der Schwangerschaft erfahren, drängt sie dazu, das Kind zu behalten. Er sei laut geworden, erzählt Illner ein Jahr später, habe ihr mit einem Sorgerechtsstreit gedroht und gesagt, er könne die Vaterschaft auch einklagen. „Ich wusste gar nicht, woher er so was weiß“, sagt sie. „Ich habe eine Heidenangst bekommen.“

„Ich dachte: Das kannst du nicht machen. Das Kind kann nichts dafür.“

Corinna Illner

Illner beginnt, ernsthaft über einen Abbruch nachzudenken. Anfangs hadert sie mit sich. Über ihre Gefühle in dieser Zeit sagt sie: „Ich dachte: Das kannst du nicht machen. Das Kind kann nichts dafür. Ich will ja nur das Beste.“

Doch was ist das Beste? Ein Kind mit ihrem gewalttätigen Partner oder allein großzuziehen? Bis heute ist sie sich sicher, dass sie das geschafft hätte, sagt Illner. Aber was für ein Leben, fragt sie sich, wäre das für ihr Kind gewesen?

In dieser Zeit hat Corinna Illner eine Liste mit zwei Spalten angelegt: Auf der einen Seite hat sie die Punkte notiert, die gegen einen Abbruch sprechen. Es sind drei. Auf der anderen Seite stehen Gründe für den Abbruch. Es sind 21 Punkte. Ganz unten auf der Contra-Seite hat Illner notiert: „Wenn ein Kind, dann mit dem richtigen Partner, der einen unterstützt und nicht wegläuft, wenn es mal sehr schwierig wird.“

Das Gesetz erlaubt Illner, diese Abwägung zu machen und eine ungewollte Schwangerschaft abzubrechen. Der Abbruch ist jedoch nicht legal, sondern lediglich straffrei. Auch für Ärztinnen und Ärzte ist eine Abtreibung streng reglementiert: Bisher dürfen sie nicht einmal angeben, mit welchen Methoden sie einen Abbruch durchführen. Diesen Passus, das sogenannte Werbeverbot, will die Ampel-Regierung allerdings noch in diesem Jahr streichen.

Paragraf 218 regelt den Umgang mit Schwangerschaftsabbrüchen

Wie der Staat zu Schwangerschaftsabbrüchen steht, ist im Strafgesetzbuch festgeschrieben, neben den Regelungen zu Mord und Totschlag. Der entsprechende Paragraf 218 stammt im Grundsatz aus dem Jahr 1871, der Gesetzgeber hat dort notiert: Eine Abtreibung ist rechtswidrig, zu bestrafen mit bis zu drei bis fünf Jahren Gefängnis. Nur unter drei Bedingungen ist ein Schwangerschaftsabbruch straffrei für die Frau und den Arzt: wenn eine Frau vergewaltigt wurde, wenn die Schwangerschaft für sie eine große gesundheitliche Gefahr bedeuten würde oder wenn die Frau innerhalb der ersten zwölf Wochen eine Beratungsstelle besucht hat. Man spricht dann von der sogenannten Beratungsindikation.

Knapp 50 Jahre ist es her, dass der Bundestag Frauen das Recht gegeben hat, eine Schwangerschaft auch auf eigenen Wunsch abzubrechen. Zuvor war das nur in wenigen Ausnahmefällen möglich. In den 1970er Jahren tobten heftige Kämpfe um den sogenannten Abtreibungsparagrafen, ausgelöst durch die Frauenrechtsbewegung und einen Magazin-Artikel. Im Juni 1971 erschien der Stern mit der Schlagzeile „Wir haben abgetrieben“. Über 300 Frauen berichteten darin – initiiert von Journalistin und Frauenrechtlerin Alice Schwarzer – über ihren Schwangerschaftsabbruch, auf den damals noch das Gefängnis stand, darunter auch Prominente wie Romy Schneider oder Senta Berger.

Foto: Stern

Die Versorgungslage in Bayern ist schlechter als in anderen Bundesländern

Ohne diese Bewegung wäre vermutlich auch die Geschichte von Corinna Illner heute eine andere. Im Frühjahr 2021 geht Illner mit ihrer ausführlichen Pro-und-Contra-Liste zu einem Beratungsgespräch. Wenn sie heute von dem Termin erzählt, schwingt noch immer die Wut mit, die sie damals empfunden hat. Die Beraterin, sagt Illner, habe sie eindringlich gebeten, das Kind zu bekommen. Illner erfährt, welche Hilfen junge Mütter vom Staat erhalten können. Doch sie ist nicht auf der Suche nach einer finanziellen Unterstützung, sie will eine andere Form von Sicherheit. „Aber eine Zukunftssicherheit hätte sie mir ja nicht geben können“, sagt Illner. „Und genau das hätte ich eigentlich gebraucht.“

Corinna Illners Erfahrung ist kein Einzelfall: Jede fünfte Teilnehmerin berichtet im Fragebogen von Correctiv, dass sie in der Beratung dazu gedrängt worden sei, die Schwangerschaft nicht abzubrechen. Das Strafgesetzbuch vermerkt hierzu im Paragrafen 219: Eine Beratung „hat sich von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen“.

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Einen Beratungsschein bekommt Corinna Illner am Ende trotzdem. Nur mit diesem Schein dürfen Ärztinnen und Ärzte eine Abtreibung vornehmen. Für Illner folgt nun jedoch die nächste Hürde: einen Mediziner oder eine Medizinerin finden, der oder die einen Abbruch durchführt. Keine leichte Aufgabe, vor allem nicht in Bayern.

Das Gesetz verpflichtet die Staatsregierung, dafür zu sorgen, dass ausreichend Kliniken und Praxen Abtreibungen durchführen. Die Realität im Freistaat sieht allerdings anders aus: In den bayerischen Kliniken in öffentlicher Hand, auf die Städte und Landkreise immerhin direkt Einfluss nehmen können, ist die Versorgungslage schlecht. Ein Drittel der Kliniken mit gynäkologischer Fachabteilung führt gar keine Abbrüche durch, auch nicht, wenn die Frau vergewaltigt wurde oder ihre Gesundheit bedroht ist. Im Rest Deutschlands ist diese Verteilung ähnlich.

Allerdings werden im Freistaat deutlich weniger Abtreibungen auf Wunsch der Frauen, also nach Beratungsindikation, durchgeführt als im Rest des Landes. Nur etwa jede zehnte öffentliche Klinik, die eine gynäkologische Abteilung besitzt, nimmt Abtreibungen in diesen Fällen vor. Deutschlandweit sind es mehr, aber immer noch weniger als 40 Prozent. Dabei machten Abbrüche nach Beratungsindikation im Jahr 2020 etwa 96 Prozent aller Schwangerschaftsabbrüche aus. Anders formuliert: Die Krankenhäuser in Deutschland bieten die Indikation, die am häufigsten von Frauen in Anspruch genommen wird, am seltensten an. Die Staatsregierung in Bayern gibt dazu auf Anfrage an, dass "weiterhin ein ausreichendes Angebot an stationären und ambulanten Einrichtungen in Bayern vorhanden" sei.

Nur neun Ärzte führen in Bayern offiziell Abtreibungen durch

Bei privaten Arztpraxen ist die Lage ähnlich. Auf einer Karte der Bundesärztekammer sind weite Teile Bayerns weiße Flecken. Die Kammer führt im ganzen Freistaat neun Mediziner, die offiziell Abtreibungen durchführen.

Cornelia Wenske ist eine dieser Ärztinnen. Auf der Karte der Bundesärztekammer findet sich im Südwesten Bayerns nur ihr Name. Wer Wenske in ihrer Praxis in Günzburg besucht, trifft auf eine Frau voller Energie. Dass sie im Sommer 70 wird, sieht man ihr nicht an. Wenske praktiziert halbtags, die Praxis hat sie bereits an ihre Nachfolgerin verkauft. In ihr Büro fällt an diesem Tag die Wintersonne, von ihrem Platz hinter dem Schreibtisch blickt Wenske auf weiße Regale voller Fachbücher.

Viele Mediziner, die heute Abtreibungen durchführen, sind in Wenskes Alter. Die Ärztin gehört zu einer Generation, die den Kampf gegen den Abtreibungsparagrafen unmittelbar mitbekommen hat. In den 1970ern beginnt sie mit dem Medizinstudium, kurz zuvor war der berühmte Stern-Titel erschienen. Wenske sagt: „Das war ein anderes Klima als heute.“

Cornelia Wenske ist eine der wenigen Ärztinnen in Bayern, die Abtreibungen vornimmt.
Foto: Bernhard Weizenegger (Archivbild)

Wer wie Wenske in dieser Zeit ausgebildet wird, behandelt noch Frauen, die illegal abtreiben lassen – mit Seifenlauge oder einer Stricknadel. Die Ärztin erzählt von 17-jährigen Mädchen mit schweren Bauchinfektionen, von Frauen, denen die Gebärmutter entnommen werden muss. Von ihrem ersten Chef lernt sie damals: Legale Abtreibungen verhindern schwere Krankheiten oder sogar den Tod.

Wenske macht verschiedene Stationen, wird Oberärztin, übernimmt später ihre Praxis. Ihre Einstellung zu Schwangerschaftsabbrüchen bleibt immer dieselbe: Es sei nicht ihre Aufgabe, in so einer Situation zu moralisieren, sagt die Medizinerin. Für sie gehört eine Abtreibung zu ihren Aufgaben als Ärztin. „Ich habe mir das überlegt, als ich den Beruf ergriffen habe“, erzählt Wenske. Gynäkologie sei nicht nur Geburtshilfe, sagt sie. „Wenn ich dieses Fach belege, dann weiß ich, ich habe mit Missbrauch, Vergewaltigung, Infektionskrankheiten, Totgeburten und eben Schwangerschaftsabbrüchen zu tun.“ Sie fokussiere in diesen Momenten auf die Frau, auf das, was für sie am besten ist.

Betroffene berichten von Stigmatisierungen nach Schwangerschaftsabbrüchen

Rund drei Abtreibungen nimmt Wenske in der Woche vor. Die Patientinnen kommen aus dem Umkreis, aber auch aus Augsburg oder dem Allgäu. Eines, sagt Wenske, hätten sie alle gemein: Sie würden immer in einer Konfliktsituation stecken. Noch nie habe sie eine Patientin vor sich sitzen gehabt, die diese Entscheidung leichtfertig treffen würde. „Die weinen, sie ringen mit sich, manche schämen sich oder ärgern sich über sich selbst“, erzählt Wenske. Jede Frau habe für ihre Entscheidung Gründe, persönliche Gründe, die nur sie angehen. „Ich kann die Situation, in der sie sich befinden, nicht beurteilen“, sagt die Ärztin. Niemand könne das. Nicht der Staat, nicht die Kirche.

Corinna Illner fährt für ihren Schwangerschaftsabbruch nach München, eine Autostunde von ihrem Heimatort entfernt. Zum ersten Termin, der Beratung in der Praxis, bringt sie ihr bester Freund. Illner bekommt zwei Tabletten, die den Abbruch einleiten sollen. Es ist wieder ein Donnerstag, als sie die erste Tablette zu Hause nimmt. Es war, wird sie später sagen, als sei danach eine Last von ihr abgefallen. „Ich habe die Tablette genommen und eine Stunde später konnte ich wieder atmen.“

Frauen protestieren gegen das Abtreibungsgesetz in Texas.
Foto: Bob Daemmrich, dpa (Archivbild)

Am Tag danach nimmt Illner die zweite Tablette. Ihre beste Freundin fährt sie ins OP-Zentrum nach München, wo die Gynäkologin den Abbruch durchführen soll. Im Auto bekommt Illner Unterleibsschmerzen, fängt an zu bluten. Sie ist überfordert mit der Situation. Als sie in der Klinik ankommt, vergisst sie, einen Mund-Nasen-Schutz aufzusetzen. Die Sprechstundenhilfe, erzählt Illner später, habe sie sofort angeherrscht: „Setzen Sie gefälligst eine Maske auf!“ Illner steht weinend in der Empfangshalle. Sie sagt: „Ich blute, ich muss erst aufs Klo!“ Die Sprechstundenhilfe schimpft weiter. „Dann“, erzählt Illner heute, „habe ich wieder gesagt: Ich blute!“

Ihre Freundin klärt die Situation, Corinna Illner darf auf die Toilette, die Freundin meldet sie währenddessen in der Klinik an. Illner klingt noch immer ungläubig und verärgert, als sie später von dieser Szene berichtet. Sie sagt: „Das war die einzige Person, die mir in dieser ganzen Geschichte wirklich negativ im Gedächtnis haften geblieben ist: diese Empfangsdame im OP-Zentrum. Da habe ich mir gedacht: Wie gemein kann man denn sein? Du weißt doch, was jetzt gleich abgeht.“

Von solchen Erfahrungen berichten viele Betroffene. Jede vierte der fast 1300 Frauen gibt im Fragebogen von Correctiv an, dass sich medizinisches Personal rund um den Abbruch unprofessionell verhalten habe, sie beleidigt oder gedemütigt habe.

"Er meinte, ich wäre ein Monster, wenn ich es abtreibe. Ich war damals 14 Jahre alt.“

Teilnehmerin der Correctiv-Umfrage

Eine Betroffene aus Nordrhein-Westfalen notiert über ihren Abbruch im Jahr 2015: „Mein erstes Gespräch hatte ich beim Frauenarzt, der die Schwangerschaft bestätigt hat. Er hat mir ein schlechtes Gewissen eingeredet à la „andere Paare würden sich freuen, wenn sie ein Kind bekommen würden“ und meinte, ich wäre ein Monster, wenn ich es abtreibe. Ich war damals 14 Jahre alt.“

Eine Frau aus Baden-Württemberg schreibt über ihren Eingriff: „Der Arzt ist als 'Metzger' bekannt. Der Abbruch war schmerzhaft laut und der Dämmerschlaf fast ohne Wirkung. Der Arzt hat beim Vorgespräch Witze über tote Babys gemacht und dass eine Patientin Bestatterin sei, falls ich nicht überlebe. Ich musste aber zu dieser Praxis, weil alle anderen im Umkreis für sechs Wochen keine Termine mehr hatten.“

Betroffene berichten außerdem über fehlende Privatsphäre, nicht sauber durchgeführte Abbrüche, fehlende Nachversorgung. Eine Frau aus Bayern, die 2014 abgetrieben hat, schreibt: „Ich wurde namentlich bis kurz vor der Narkose mehrmals verwechselt, bin in einer Blutlache wieder aufgewacht und nach 20 Minuten wach sein, sollte ich gehen. Die Toilette war auf einem anderen Gang, ich habe mir das Blut mit der Bettdecke abgewischt.“

Studierende wünschen sich mehr Praxis bei Schwangerschaftsabbrüchen

Wer nach Gründen für die teils schlechte Versorgungslage sucht, landet schnell auch beim Medizinstudium. Aktuell gibt es kein Regelwerk, das festschreibt, wie Universitäten Studierenden das Wissen über Schwangerschaftsabbrüche beibringen. Wenn es nach Elisabeth Schröder geht, dann muss sich das ändern. Schröder studiert in Augsburg Medizin, aktuell im fünften Semester, engagiert sich außerdem im Bund der Medizinstudierenden in Deutschland. Der Schwangerschaftsabbruch, betont sie, müsse Thema für alle Studierenden sein, und zwar im Studium. Aktuell verlasse man sich zu sehr darauf, dass die jungen Medizinerinnen und Mediziner den Eingriff in der Facharztausbildung lernen würden. Doch wer an einem Haus ausgebildet wird, das keine Schwangerschaftsabbrüche anbietet, sagt Schröder, der könne auch nicht lernen, wie das geht.

Elisabeth Schröder gehört in Augsburg zum ersten Jahrgang im Medizinstudiengang am Universitätsklinikum. Das bedeutet, dass manche Unterrichtseinheiten aktuell noch geplant werden. Ein Anruf bei Christian Dannecker, Inhaber des Lehrstuhls für Frauenheilkunde am Universitätsklinikum und Direktor der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Augsburg. Schwangerschaftsabbrüche, sagt Dannecker, seien im neunten Semester Thema. Eine Unterrichtseinheit von 45 Minuten plus Vorbereitung, Lektüre und Selbststudium. Der Schwerpunkt liegt dabei laut Dannecker auf der Beratungsindikation, da die medizinische Indikation und die Therapie auch anderswo bereits vorkämen.

In der Unterrichtseinheit sei dann Zeit für die Technik des Schwangerschaftsabbruchs und für rechtliche Fragen. Dannecker kann sich vorstellen, auch außerhalb des Stundenplans Angebote zu machen, zum Beispiel eine Ringvorlesung mit anderen Fachbereichen. Und er betont zur Lehre bei Abbrüchen: „Das Studium ist nicht alles in der Medizin. Jeder, der in die Frauenheilkunde geht, lernt das.“

Corinna Illner, die Frau vom Anfang dieser Geschichte, ist mittlerweile am Ende ihrer Erzählung angekommen. Über ein Jahr ist es her, dass sie sich für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden hat. Sie sagt: Auch heute noch wisse sie, dass das absolut richtig gewesen sei. Ab und an vergießt sie trotzdem ein paar Tränen, zum Beispiel am Tag des errechneten Geburtstermins.

„Das ist ein Stück Lebenserfahrung, das ich in den Händen halte.“

Corinna Illner

Ihren Mutterpass hat sie als Erinnerungsstück behalten, genauso wie die beiden Ultraschallbilder. Sie nimmt die Unterlagen in die Hände. Eigentlich, erzählt sie, habe sie alles wegwerfen wollen, konnte es aber bisher nicht. Illner sagt: „Das ist ein Stück Lebenserfahrung, das ich in den Händen halte.“

Erst einmal will sie nun alles aufheben. Vielleicht, sagt sie, werde sie einmal ein Kind haben, das etwas Ähnliches erlebt – auch wenn sie es ihrem Kind nicht wünschen würde. „Dann kann ich in meiner Kiste kramen und sagen: Schau mal, die Mama war auch mal in so einer Situation.“ Oder sie hebe es auf für die Kinder von Freunden, schiebt Illner dann noch nach. Für die könne sie dann die coole Tante sein. Eine Tante, die keine Tabuthemen kennt.

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Diese Recherche ist Teil einer Kooperation unserer Redaktion mit FragDenStaat und Correctiv.Lokal. Das Netzwerk setzt datengetriebene und investigative Recherchen gemeinsam mit Lokalredaktionen um. Zusammen wurden mehr als 300 öffentliche Kliniken zu Abtreibungen befragt. Die Ergebnisse stehen in einer Datenbank mit weiteren Infos.