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Bundestagswahl 2025: Das sagt Saskia Esken über Friedrich Merz

Bundestagswahl 2025

Saskia Esken: „Friedrich Merz hat nichts als heiße Luft zu bieten“

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    Saskia Esken ist Vorsitzende der SPD.
    Saskia Esken ist Vorsitzende der SPD. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Frau Esken, in zwei Wochen ist Bundestagswahl. Muss die SPD Friedrich Merz dankbar sein, dass er mit der Abstimmung gemeinsam mit der AfD ein Thema geliefert hat, das die Schlagzahl im Wahlkampf spürbar erhöht hat und mit dem Sie eigene Wähler mobilisieren können?
    SASKIA ESKEN: Nein, das, was Friedrich Merz getan hat, war ein ungeheuerlicher Tabubruch. Noch im vergangenen November hat er betont, dass selbst eine zufällige Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen sei – nicht einmal über die Tagesordnung wolle er mit dieser Partei abstimmen. Nun hat Herr Merz sein Wort gebrochen und damit einen jahrzehntelangen Konsens der demokratischen Mitte aufgekündigt. Und das auch noch ohne Not. Er hat nichts erreicht. Der Entschließungsantrag hat keinerlei politische Folgen, außer, dass er ganz klar zeigt, in welche Richtung das Politikverständnis von Friedrich Merz geht. Seine Kompromisslosigkeit und die vollkommene Ignoranz gegenüber unserem Grundgesetz und europäischem Recht haben seine Untauglichkeit bestätigt.

    Macht es sich die SPD nicht dennoch zu einfach, wenn sie rein moralisch argumentiert? Immerhin wünschen sich auch viele SPD-Mitglieder und vor allem SPD-Wähler eine andere Migrationspolitik.
    ESKEN: Wir hätten einen Kompromiss zum Gesetzentwurf der Union zusammen mit der nationalen Umsetzung des neuen europäischen Asylsystems noch vor der Wahl beschließen können, wenn die Union zu Gesprächen bereit gewesen wäre. Friedrich Merz hat aber jegliche Art von Kompromiss im Vorfeld abgelehnt. Die Regierung unter Olaf Scholz hat in Bezug auf die Eindämmung der irregulären Migration mehr geleistet als alle CDU/CSU-geführten Regierungen zuvor. Denn klar ist: Wir sind ein starkes Land, aber auch wir kommen an unsere Grenzen. Unter Führung von Olaf Scholz haben wir die irreguläre Migration um ein Drittel gesenkt, es gab 100.000 Asylanträge weniger als 2023. Die Zahl der Abschiebungen stieg um 20 Prozent. Mit dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem haben wir erreicht, was jahrelang nicht möglich war: die Asyl- und Migrationsfragen endlich wirksam europäisch zu regeln. Doch nun verweigert die Union bei der nationalen Umsetzung die Mitwirkung. Ich lege Wert darauf, die Themen Migration und Sicherheit getrennt voneinander zu diskutieren. Doch auch das Sicherheitspaket, das wir nach dem Anschlag von Solingen vorgelegt haben, wird von der Union blockiert. In puncto Sicherheit ist Friedrich Merz ein Renommist, er hat nichts als heiße Luft zu bieten.

    „Die FDP versucht sich vom Vorwurf reinzuwaschen, gemeinsame Sache mit der AfD gemacht zu haben“

    Tatsächlich ist es in den Statistiken ablesbar, dass die Zahl der Flüchtlinge zurückgeht, trotzdem bleibt das Thema groß. Warum kommt das nicht an bei den Menschen?
    ESKEN: Weil wir noch immer zu langsam sind, was auch an der praktischen Umsetzung liegt. Wenn Abschiebungen beispielsweise nicht stattfinden können, weil die Behörde im Feierabend oder am Wochenende nicht erreichbar ist. Gleichzeitig müssen wir doch bei denen, die bleiben können, in puncto Integration besser werden - sowohl in den Arbeitsmarkt, aber auch in Kindergärten und Schulen. Diese Menschen, die eine gute Bleibeperspektive haben, werden gegebenenfalls noch lange bei uns bleiben. Da ist es doch besser, sie arbeiten als Pflegekräfte, als Busfahrer, als Ärztin oder als Produktionshelfer. Wir gewähren Menschen humanitären Schutz und nutzen zugleich die Vorteile der Zuwanderung, die wir doch dringend brauchen. Der Satz „Migration ist die Mutter aller Probleme“ war jedenfalls der dümmste Satz, der in den vergangenen zehn Jahren in der Politik ausgesprochen wurde.

    Die FDP will in der kommenden Woche nochmal einen Anlauf nehmen für einen „Migrationspakt der Mitte“. Werden Sie zustimmen?
    ESKEN: Warum hat die FDP denn dagegen gestimmt, als wir vorgeschlagen haben, einen Kompromiss im Innenausschuss zu beraten? Jetzt kommt sie mit einem Vorschlag, der zuerst bei der Presse landet und erst dann beim SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. So ein Vorgehen ist nicht dienlich für ein vertrauensvolles Miteinander. Die FDP versucht sich damit von dem Vorwurf reinzuwaschen, gemeinsame Sache mit der AfD gemacht zu haben. Wäre Christian Lindner daran gelegen, zu einem Konsens zu kommen, würde er abseits der Öffentlichkeit das Gespräch suchen – das findet aber nicht statt. Auch hier: Nur heiße Luft.

    Sie halten Merz für einen ungeeigneten Kanzlerkandidaten, ihr Parteikollege Mützenich sprach davon, dass er das Tor zur Hölle geöffnet habe. Wie kommt man da menschlich wieder zusammen?
    ESKEN: Friedrich Merz hat viel Vertrauen in seine Person verspielt. Dazu kommt: Gerade er ist im Austeilen besser als im Einstecken. Womöglich hat er bis heute nicht überwunden, dass weder Kohl noch Merkel ihn für einen Kabinettsposten geeignet hielten. Sein Agieren der vergangenen Wochen zeigt neben der fehlenden Haltung eben auch, dass er über keinerlei Regierungserfahrung verfügt. Unser Kanzleramt ist in diesen Zeiten aber nicht für einen Praktikantenjob geeignet. Wir brauchen einen Profi wie Olaf Scholz.

    Dennoch deuten zumindest die Umfragen darauf hin, dass es nach der Wahl wieder eine Große Koalition geben wird.
    ESKEN: Es ist notwendig und zudem geübte demokratische Praxis, in den Wahlkämpfen deutlich zu machen, wo die Unterschiede liegen. Da darf man um klare Worte nicht verlegen sein. Unter demokratischen Parteien muss aber immer Gesprächsbereitschaft herrschen, egal wie hart der Wahlkampf war. Im Sport gibt es auch trash talk und nach dem Spiel geht man zusammen was trinken.

    Die Jusos wollen eine Koalition mit der Union am liebsten ausschließen. Die SPD hat in den vergangenen Jahren immer wieder mit einer GroKo gehadert. Wie sehen Sie das?
    ESKEN: Demokratietheoretisch ist eine Große Koalition keine besonders gute Idee, weil sie die Unterschiede zwischen den Parteien verwischt und die Menschen das Gefühl bekommen, es wäre egal, was sie wählen. Gleichzeitig sind wir aber gehalten, mit allen demokratischen Kräften zusammenzuarbeiten.

    „Olaf Scholz ist der Mann, bei dem unser Land in den besten Händen ist“

    In den Umfragen liegt die AfD vor der SPD. Ist das auch Kanzler Olaf Scholz anzulasten? Es gibt Gerüchte, dass die SPD-Spitze versucht haben soll, Boris Pistorius zum Kanzlerkandidaten zu machen.
    ESKEN: Diese Darstellungen sind frei erfunden. Ich arbeite seit mehr als fünf Jahren sehr eng und vertrauensvoll mit Olaf Scholz zusammen. Ich war und bin überzeugt davon: Er ist der Mann, bei dem unser Land in den besten Händen ist. Und auch international hat er die richtigen Antworten. Er war der Einzige, der sich Donald Trumps Plan, sich Grönland einzuverleiben, mit den richtigen Worten entgegengestellt hat. So jemanden brauchen wir.

    16 Prozent sind dennoch kein guter Wert. Was hat die SPD etwas falsch gemacht?
    ESKEN: Der Bundeskanzler hat selbst eingeräumt, dass er möglicherweise schon früher und härter auf den Zwist in der Regierung hätte reagieren müssen. Gerade die FDP ist zunehmend destruktiv aufgetreten, gegen die Koalitionspartner und auch gegen den Bundeskanzler. Sie hat in Kauf genommen, dass Olaf Scholz nicht nur als Person beschädigt wurde, sondern auch sein Amt. Auch gegen das so genannte Heizungsgesetz hätte er früher eingreifen müssen, der Entwurf war wirklich lausig. Inzwischen ist daraus ein gutes Gesetz geworden, denn wir lassen die Menschen nicht alleine mit den Kosten der Wärmewende. Der Flurschaden ist trotzdem da. Aber Umfragen sind keine Wahlergebnisse, wir haben schon 2021 gezeigt, dass wir kämpfen können.

    Ein Thema, das viele Menschen besorgt, ist die Wirtschaft. Weder die GroKo, noch die Ampel galten als reformfreudig. Was braucht es, um Deutschland wieder fit zu machen?
    ESKEN: Unser Land zahlt gerade den Preis für die langen Jahre des Stillstands, in denen viel zu wenig investiert wurde und keine Wirtschaftspolitik für die beste Wirtschaftspolitik gehalten wurde. Die Krise der Corona-Pandemie und anschließend die Energie-Krise sowie die hohe Inflation haben uns zusätzlich gebeutelt. Die SPD-geführte Regierung konnte deshalb anfangs eine wirkliche Aufbruchstimmung erzeugen und hat auch vieles erreicht, wenn man den Pulverdampf der Streitereien mal beiseite schiebt. Insgesamt haben Wirtschaft und Gesellschaft aber über den Krisen ein Stück weit Zuversicht verloren und das müssen wir überwinden. Deshalb sind wir sehr entschlossen, mit Investitionen auf allen Ebenen einen Weg nach vorn zu weisen. Der Staat muss sich durch eine Reform der Schuldenbremse wieder die Möglichkeit geben, mehr zu investieren. Mit dem Deutschlandfonds wollen wir öffentliche und private Mittel für Investitionen sammeln. Und Unternehmen sollen durch einen „Made in Germany“-Bonus mit Steuererleichterungen belohnt werden, wenn sie in Deutschland investieren. Ich bin überzeugt: Wir sind ein starkes und hochinnovatives Land.

    Einst hat die SPD die Wirtschaft mit der Agenda 2010 aus der Krise geholt. Brauchen wir wieder eine Reform, die auch Zumutungen enthält?
    ESKEN: Diese Forderung nach Zumutungen betrifft ja meistens den Sozialstaat und selten die Vermögenden im Land, obwohl die solche Zumutungen viel besser aushalten könnten. Aber natürlich muss der Sozialstaat immer wieder begutachtet und wo nötig reformiert werden. Doch da geht es nicht um die Kürzung von Leistungen, sondern um einen effizienteren Einsatz der Mittel. So sollten die Leistungen des Sozialstaates mit wesentlich weniger Bürokratie verbunden sein, denn die frisst viel Geld. Derzeit müssen etwa Leistungen wie das Wohngeld oder der Kinderzuschlag auf vielen Formularseiten beantragt werden. Das muss vereinfacht werden und sollte so automatisch wie möglich erfolgen. Aber auch in der Wirtschaft gibt es einen bürokratischen Überbau, den wir verringern müssen. Wir brauchen aber keine Entweder-oder-Politik. Wir müssen unsere Wirtschaft und den Sozialstaat stärken. Die Gesellschaft braucht Sicherheit. Es gibt Menschen, die nicht hinreichend leistungsfähig sind, etwa Menschen mit chronischen Krankheiten oder Alleinerziehende. Die kommen ohne Unterstützung des Staates nicht zurecht. Klar ist: Missbrauch müssen wir so weit wie möglich ausschließen, schon aus Gründen der Gerechtigkeit. Wer Bürgergeld bezieht, kann nicht nebenher schwarzarbeiten. Das ist kriminell.

    Ist das Bürgergeld an sich für Sie verhandelbar?
    ESKEN: Die Einführung des Bürgergeldes war eine sehr umfassende Reform, die muss natürlich nach einiger Zeit evaluiert werden. Es gab auch schon Änderungen, etwa bei den Mitwirkungspflichten. Die Höhe des Bürgergeldes ist dagegen vorgegeben durch das Bundesverfassungsgericht. Doch es ist so und muss auch so bleiben, dass man mehr in der Tasche hat, wenn man arbeitet, als wenn man nicht arbeitet.    

    Zur Person

    Saskia Esken, 63, seit 2019 eine der beiden Bundesvorsitzenden der SPD.

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    7 Kommentare
    Franz Wagner

    Ja der böse angebliche Tabubruch... jetzt wackelt der Schwanz halt nicht mehr mit dem Hund, die Machtperspektiven für die linke Minderheit im Lande schwinden und SPD und Grünen droht ein Wahldebakel. Da kann es nicht schaden den Teufel an die Wand zu malen. Oder vielleicht in letzter Sekunde den Kanzlerkandidaten zu tauschen. Was hilft wohl besser?

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    Richard Merk

    Merz hat sein Wort gebrochen. Wann macht er es wieder? Dieser Mann ist, auch wenn er gewählt wird, unbrauchbar als Kanzler für Deutschland.

    Wolfgang Boeldt

    Ein Wortbruch war das wohl nicht. Da fallen mir ganz andere Kehrtwendungen ein. Von der Friedenspartei zur Kriegspartei. Der Name muß wohl nicht genannt werden. Wenn die CDU behauptet 2+2 = 4, die AfD ebenfalls und die Grünen z.B. behaupten, nur um dagegen zu sein: 2+2=5 => dann ist für mich alles klar.

    Franz Xanter

    Blödsinn, Ignoranz, falsche Auffassung und Auslegung bis hin zu einem richtigen und konstruktiven Umgang mit solch einer Partei. Wer kann denn generell alle Aktivitäten, seinen sie gezielt oder zufällig, mit dieser Partei ausschließen. Tue ich dies, so zeigt dies doch nur, abgesehen von kindlicher Sturheit, die Unfähigkeit, mit Unvorhergesehenem umzugehen. Paradebeispiele hierfür gibt es zu hauf. Mehr als die Unfähigkeit solcher Politiker wird doch hiermit nicht aufgezeigt. Erinnert mich an Kindergartenaktivitäten.

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    Rolf Kalo

    Vielleicht sollten Linke und Grüne mal Unterricht in Parlamentarismus belegen. Denn eigentlich gibt es ja auch keinen Fraktionszwang, sondern jeder Abgeordnete soll nach seinem Gewissen entscheiden. Davon sind wir meilenweit weg, leider. Und insofern kann man auch keine gewählten Parlamentarier von allem ausschließen. Auf kommunaler Ebene ginge dann in vielen Gemeinden nichts mehr.

    Johannes Stümke

    Naja, die Esken wollte ja auch unbedingt Scholz zur Wiederwahl stellen. Auf diesem "Wortbruch" rum zu reiten bei jeder Gelegenheit ist wohl das einzige was die SPD gerade zu bieten hat.

    Rainer Kraus

    Aktualisiert Saskia Esken das Märchen "Des Königs neuen Kleider" ? ......der Merz ist ja nackt.

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