Die grauen Mauern wirken noch grauer an diesem trüben Sonntag im Februar, die gedrungenen Baracken noch gedrungener. Die Stäbe des Eisentors sind kalt. „Arbeit macht frei“, haben die Nationalsozialisten darübergeschrieben. Das Konzentrationslager in Dachau war eines der Ersten, das die Nazis in Europa errichtet hatten, es diente als Modell für die Vernichtungsmaschine des Dritten Reiches, ein Fleischwolf aus Beton und Metall. Zehntausende Menschen starben hier, manche wurden ermordet, manche verhungerten. Unter ihnen waren viele Kommunisten. Als AfD-Chefin und Kanzlerkandidatin Alice Weidel vor wenigen Wochen behauptete, ausgerechnet Adolf Hitler sei in Wahrheit ein Kommunist gewesen, zuckte man hier in der Gedenkstätte besonders heftig zusammen. Dabei wollen sie hier doch bald feiern, denn zumindest einen Grund bietet das ehemalige Konzentrationslager dafür: Am 29. April 1945 befreiten amerikanische Soldaten das Lager, wenige Tage später endete der Krieg. Es war dieses Grundverständnis, dass Extremisten, egal welcher Couleur, nie wieder an die Macht kommen dürften, das Europa und Amerika, ganz besonders aber Deutschland und Amerika, über Jahrzehnte unverbrüchlich zusammenschweißen sollte.
Vor dem Mahnmal mit den aus Metall geformten ausgemergelten Körpern steht ein Kranz, geschmückt mit weißen Rosen. Niedergelegt hat ihn ein Mann, der genau das infrage stellt: In einer aufsehenerregenden Rede hat der amerikanische Vize-Präsident J.D. Vance nur 20 Kilometer südlich des Konzentrationslagers das vorgenommen, was man getrost als Verschiebung der tektonischen Platten der Politik beschreiben kann.
US-Vizepräsident J. D. Vance macht Wahlkampfhilfe für die AFD
Vance ist das Sprachrohr von Donald Trump und er zeichnet ein Bild von Europa, das geprägt ist von Zensur, der Unterdrückung Andersdenkender, sogar Wahlen würden annulliert, wenn den Mächtigen das Ergebnis nicht passe. Über die Themen der Konferenz, Verteidigung, Sicherheit, redet er erst gar nicht. Man könnte auch sagen, er ließ sich nicht dazu herab. Was Europa etwa zum Ukraine-Krieg denkt, ist der neuen US-Regierung ziemlich egal. Stattdessen eine Wahlkampfrede für die AfD, auch wenn der Parteiname nicht fällt. Eine Umdeutung westlicher Werte. Meinungsfreiheit ist nun, Hass im Internet verbreiten zu dürfen, Meinungsfreiheit ist nun, dass die Silicon-Valley-Barone auch in Europa grenzenlose Geschäfte machen können sollen - ohne Beschränkungen gegen Hatespeech und rassistische Beleidigungen. 20 Minuten reichen Vance, um das in Trümmer zu legen, worauf sich alle hier immer verlassen hatten, dass ganz egal, wie der Präsident im Weißen Haus auch heißen mochte, man die gleichen Werte teilt und sich beisteht in der Not.
Auf den Gängen der Münchner Sicherheitskonferenz im noblen Hotel Bayerischer Hof ist die Stimmung angespannt. Es ist eine Sicherheitskonferenz, wie sie selbst Altgediente noch nicht erlebt haben. Eine Konferenz, auf der es längst nicht mehr nur um das Ende des Krieges in der Ukraine geht - sondern im schlimmsten Fall um das Ende des Westens, wie er über Jahrzehnte Bestand hatte. Der Ton ist schon am Freitagmittag gesetzt: Die USA sehen Europa als Konkurrenten in jeder Beziehung: wirtschaftlich, politisch, kulturell. Oder wie es der frühere Außenminister Sigmar Gabriel plastisch ausdrückt: Vance sei gekommen, „um uns den Mittelfinger zu zeigen“. Marie-Agnes Strack-Zimmermann sagt es so: „Putin kommt vor Lachen nicht mehr in den Schlaf.“ Andere versuchen, die meterhohen Wellen zumindest zu brechen. Der „wahre Gegner“ sitze noch immer in Moskau und in Peking, aber nicht in Washington, hört man von Militärs. Man will sich nicht treiben lassen. Doch allen ist klar: Hier in München wurde ein Schalter umgelegt. „Jetzt kann keiner mehr auf die Snooze-Taste drücken“, sagt einer. Über wortklauberische Debatten, ob Deutschland nun kriegstüchtig oder verteidigungsfähig sein müsse, schütteln die Männer in den grauen Bundeswehruniformen nur den Kopf.
Europäer sind schockiert vom Auftritt des Trump-Vize auf der Sicherheitskonferenz
Hinüber ins Rosewood-Hotel, das die Sicherheitskonferenz ebenfalls in Beschlag genommen hat. Im zugigen Gang dort drängen sich Raucher, auch Österreichs Kanzler Schallenberg legt eine Verschnaufpause ein. „Gelassenheit“, rät er nach der Rede von Vance. Jetzt nicht aufgeregt reagieren, erstmal zurücklehnen. Schallenberg, der von Mitarbeitern umringt ist, weiß, wovon er spricht. Er ist schon seit Monaten Interimskanzler in seinem Land, weil keine neue Regierung zustande kommt. Zuletzt scheiterte der Versuch der FPÖ, so etwas wie das Vorbild aller Rechtsaußenparteien in Europa, eine Regierung zu bilden.
Doch auch am Samstag, Tag eins nach Vance’ Auftritt, von Gelassenheit keine Spur. „Die USA treten hier in Gegnerschaft zu uns auf“, sagt Norbert Röttgen. Der CDU-Außenpolitikexperte steht am Bartresen und nippt an einem Kaffee. Röttgen ist ein gefragter Gesprächspartner, er hat Vance‘ Rede bereits für US-Medien aus deutscher Sicht kommentiert, der Schock des Auftritts ist ihm anzumerken. Von der „pädagogischen Rede eines weltpolitischen Missionars“, spricht der Chef der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Thomas Kleine-Brockhoff. „Aber Vance sollte sich nicht täuschen. Weidel ist vielleicht pro Trump aber gegen Amerika.“ Was die extrem Rechten in Europa und die Trump-Regierung allerdings eine, sei „das Ziel der Systemzerstörung“. Disruption nennt sich das Konzept, Trump beherrscht es meisterlich.
Es gibt sie in München, die starken Reden, die Vance in die Schranken weisen und Europa in die Pflicht nehmen. Allein: Der Trump-Vize sitzt da längst an Bord der Air Force Two auf dem Weg zurück nach Washington.
Olaf Scholz wehrt sich gegen Einmischung des Amerikaners
Sogar der deutsche Kanzler Olaf Scholz, der den zweiten Tag der Konferenz eröffnet und als Meister der politischen Schwurbelsätze in die Geschichte eingehen wird, ist deutlich klarer, als er es in der Vergangenheit häufig war. Die Lehre aus der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands, sagt er, sei: „Nie wieder“. Dieses Bekenntnis aber sei mit der Unterstützung der AfD schlicht nicht in Einklang zu bringen, der Partei also, die das monströse Verbrechen der nationalsozialistischen Vergangenheit als „Vogelschiss“ der deutschen Geschichte verharmlose. Scholz: „Deshalb werden wir es nicht akzeptieren, wenn zugunsten dieser Partei in unsere Demokratie und unsere Wahlen und unsere demokratische Meinungsbildung eingegriffen wird.“ Das gehöre sich nicht, erst recht nicht unter Freunden, „und das weisen wir entschieden zurück.“ Der Kanzler ergänzt: „Wie es mit unserer Demokratie weitergeht, das entscheiden wir selbst.“ Applaus brandet auf im Bayerischen Hof. Auf eine spätere Nachfrage, ob er irgendetwas Gutes an Vance‘ Rede gefunden habe, sagt Scholz alles Mögliche. Wie ein „Ja“ klingt nichts davon.
Doch zur Wahrheit gehört auch: Vance selbst gewährt dem Kanzler in München noch nicht einmal ein kurzes Treffen. Für die Amerikaner ist der SPD-Mann eine „lame duck“, eine lahme Ente. Dafür verschwindet am Freitagmittag der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz mit dem Republikaner im Gebäude der Commerzbank gegenüber vom Bayerischen Hof, hier gibt es Räume für vertrauliche Gespräche. Der Gesprächsfaden soll bloß nicht reißen zwischen Washington und dem Mann, der aller Voraussicht nach der nächste Bundeskanzler sein wird. Man will der US-Administration begreiflich machen, welche Positionen die AfD vertritt und dass Amerikafreundlichkeit explizit nicht dazu gehört. Ob das Argument verfängt? Bei einem Präsidenten, der sich um Recht und Gesetz nicht schert und die USA nach seinen Vorstellungen umbaut?
Auch Merz bezieht klare Position, als er auf der Bühne des großen Saales Platz nimmt. Das Thema des Panels ist die Unterstützung der Ukraine. Zumindest vordergründig. „Es geht um die gesamte politische Ordnung, die wir seit 1990 in Europa aufgebaut haben. Deswegen halten wir zur Ukraine“, sagt er. Die EU müsse alles tun, damit diese aus einer Position der Stärke verhandeln könne. Doch die eigentliche Botschaft ist nach Innen gerichtet: „Wir müssen unsere Verteidigungsausgaben aufbessern, das ergibt sich aus den vergangenen drei Jahren.“ Das Sondervermögen werde 2027 aufgebraucht sein, danach müsse das Militärbudget im regulären Haushalt aufgestockt werden. „Wir müssen sehr viel mehr Geld ausgeben.“ Was das in Zahlen heißt, lässt sich leicht ausrechnen: Jedes weitere Prozent, das Deutschland zusätzlich für seine Verteidigung ausgibt, entspricht nach jetzigem Stand 43 Milliarden Euro mehr pro Jahr. Woher die kommen sollen? Unklar. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will zumindest über die Aktivierung einer Sonderklausel zu den europäischen Schuldenregeln höhere Verteidigungsausgaben ermöglichen.
Wie reagiert Europa auf die Koalition zwischen Trump und Putin?
Sparen könnten die Europäer, wenn sie sich endlich auf Standardisierung und Vereinfachung einigen könnten. „Ich kann nicht akzeptieren, dass wir in der EU 150 verschiedene Waffensysteme produzieren“, mahnt Merz - und sagt einen Satz, der so etwas ist wie das Mantra dieser Sicherheitskonferenz: „Wenn wir jetzt nicht den Weckruf hören, dann ist es vielleicht zu spät für die gesamte Europäische Union.“
Reinhard Bütikofer, Ex-Europaabgeordneter und Ex-Parteichef der Grünen, sitzt an der Seite im Ballsaal, ein amerikanischer Bekannter kommt nach Merz’ Auftritt vorbei. „Was ist das deutsche Wort für word salad?“, fragt er. Ein anderer schüttelt Bütikofers Hand, er trägt eine Baseball-Kappe mit der Aufschrift „Make Europe great again“. Neue europäische Führung sei das nicht gewesen, sagt er. Der Grüne Bütikofer winkt ab. Der albanische Ministerpräsident Edi Rama sagt, als außenstehender Beobachter komme ihm das alles vor wie zwei parallel laufende Netflix-Serien: Hier die amerikanische „One-Sheriff-Show“ und auf der anderen Seite die EU als „Patient mit 27 Ärzten“ - in Anspielung auf die Mitgliederzahl der Europäischen Union.


Dass ausgerechnet Moskau zum größten Profiteur dieser transatlantischen Krise werden könnte, dürfte nicht nur für ihn wie ein Treppenwitz der Geschichte wirken. Die Nachkriegsordnung, in der sich West und Ost so häufig gegenüberstanden, wird auf den Kopf gestellt. Während die Europäer in Schnappatmung verfallen, dealt Trump mit Wladimir Putin und macht damit jenen Mann wieder hoffähig, der seit Jahren versucht, die europäischen Gesellschaften zu destabilisieren. Schon in dieser Woche werden sich ranghohe Vertreter Russlands und der USA in Saudi-Arabien treffen, um über ein Kriegsende in der Ukraine zu verhandeln. Bald könnten sich auch Trump und Putin persönlich die Hand schütteln. Jetzt sei die „Trump-Time“ angebrochen, sagt der US-Sonderbeauftragte Keith Kellogg. Den Europäern hat man eine Art Fragebogen geschickt, auf dem sie ankreuzen können, wie viele Waffen und Soldaten sie für die Ukraine stellen wollen. Mit am Tisch sitzen sollen sie nicht, dann werde es nur wieder kompliziert, heißt es. Europa bleibt nichts anderes übrig, als eilig eine Art „Gegengipfel“ zu organisieren. Der wird schon an diesem Montag in Paris ausgetragen. Es dürfte ein Treffen der langen Gesichter werden. Denn obwohl der Krieg bereits ins vierte Jahr geht, sind die Armeen mehr schlecht als recht vorbereitet auf diesen Ernstfall. „Was ist mit Ihren Streitkräften, sind sie bereit?“, fragt Wolodymyr Selenskyj. Eine Antwort erwartet er erst gar nicht.
Der ukrainische Präsident kann es sich nicht leisten, die USA zu verärgern
Für den ukrainischen Präsidenten ist die Situation nichts anderes als ein Tanz auf dem Drahtseil. Er kann und darf es sich nicht mit den Amerikanern verscherzen, dafür sieht es gerade zu schlecht aus an der Front. Doch dass über seinen Kopf von Gebietsabtretungen an Russland und den Verzicht auf die Nato-Mitgliedschaft entschieden werden könnte, ist ein Brocken, den er nicht schlucken kann. „Von nun an werden die Dinge anders sein, und Europa muss sich darauf einstellen“, sagt er - ein bisschen womöglich auch zu sich selbst. Vielleicht braucht es am Ende keine konventionellen Waffen, sondern im Gegenteil unkonventionelle, um zumindest das Schlimmste zu verhindern. „Europa kontrolliert den Friedensnobelpreis“, sagt der polnische Außenminister Radek Sikorski und spielt damit auf den sehnlichen Wunsch von Trump an, als Friedenspräsident in die Geschichte einzugehen.
Den Satz, der die Stimmung des sicherheitspolitischen Gipfeltreffens an diesem Wochenende aber am besten auf den Punkt bringt, formuliert die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen: „Wir sind nicht im Krieg, aber wir sind auch nicht mehr im Frieden.“ Dem hat kaum jemand etwas hinzuzufügen.
Man muss aber auch erkennen, dass der Westen, die EU, dass Europa selbst dazu beigetragen hat. Mehr mit sich selbst beschäftigt, angeblich notwendige Weltverbesserungen, uneingeschränkte Migration bzw. unkontrollierte Migration bis hin zur Unfähigkeit der Prüfung und Kontrolle usw. usw. Liese sich für alle wichtigen Bereiche noch fortsetzen. Vernachlässigt wurde hierzu eine effektive Verteidigungsfähigkeit, Schutz nationaler Interessen, wirtschaftliche Steigerungen etc. Und jetzt musste man erkennen, wurde einem aufgezeigt, dass man als Europa nicht wahrgenommen wird bzw. keine Beachtung findet. Sieht nach klassischen Eigentoren aus.
Vielleicht sollte der "Westen", anscheinend gehören dazu nur die "guten" EU-Staaten (ich sehe den Westen etwas breiter aufgestellt), mal in sich gehen und überlegen, ob er seinen 90°-Tunnelblick mal auf 180° erweitern sollte. Quelle surprise: andere Kulturen haben z.T. andere Werte :=)
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