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Bistum Würzburg: Mutmaßliches Opfer spricht Jahrzehnte später über Missbrauch

Bistum Würzburg

Mutmaßliches Opfer spricht Jahrzehnte später über Missbrauch

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    Alexandra Wolf sagt, ein Prieser habe sie missbraucht. Von der kirchlichen Aufarbeitung ihres Falls ist sie enttäuscht.
    Alexandra Wolf sagt, ein Prieser habe sie missbraucht. Von der kirchlichen Aufarbeitung ihres Falls ist sie enttäuscht. Foto: Arno Burgi dpa, Symbol

    Ihr Vater bereitete sich in einem Kurs im Exerzitienhaus Himmelspforten gerade auf die Weihe zum Diakon vor. Seine damals 17-jährige Tochter begleitete ihn. Was dann geschehen sein soll, erzählte sie über ein Vierteljahrhundert später dem Spiegel-Redakteur Peter Wensierski.

    Er übermittelte dieser Redaktion die Fragen an Alexandra Wolf. Sie antwortete sofort. Peter Wensierski veröffentlichte seinen Artikel unter dem Titel „So ein bisserl liebevoll“. Der Satz stammt aus dem kirchlichen Untersuchungsbericht. „... vielleicht hast du so ein bisserl liebevoll den Arm um sie gelegt oder so“ soll der Generalvikar dem Beschuldigten gesagt haben, als er ihn mit dem Missbrauchsvorwurf konfrontierte. Im Herbst 2012 erfuhr der Würzburger Bischof Friedhelm Hofmann erstmals davon. Im Dezember 2015 wurde der Fall zu den Akten gelegt.

    Was war der Auslöser, sich im Januar 2016 an Claudia Adams zu wenden, die in Trier den Missbrauchs-Blog ,MissBit' betreibt?

    Alexandra Wolf: Ich war in einer sehr ohnmächtigen und hilflosen Situation, die mich bewog, einen Weg an die Öffentlichkeit zu suchen. Ich habe Frau Adams Blog schon viele Monate still beobachtet und dachte mir, da wäre jemand, der sich in auskennt und dem ich vertrauen kann. Sie wusste dann, dass es jemanden im ,Spiegel‘ gibt, der sich schon seit Jahren mit Missbrauchsfällen befasst hat. Ich hab noch etwas überlegt, mich dann aber gemeldet, und es war eine gute Entscheidung. So etwas ist nicht so einfach für jemanden, der das, was er erlebt hat, eigentlich für immer verdrängen wollte.

    Konnten Sie damals noch nicht an die Öffentlichkeit gehen, als ausgerechnet der Mann, den Sie der sexuellen Nötigung beschuldigen, Missbrauchsbeauftragter des Bistums Würzburg wurde? Er hätte womöglich diese Position nie erhalten.

    Wolf: Ich hatte mich seit dem Ereignis von der Obrigkeit in der Kirche entfernt, während ich in meiner Gemeinde dabei war. Erst als 2010 andere Missbrauchsopfer ihr Schweigen brachen, und es durch alle Medien ging, habe ich realisiert, wer in Würzburg seit 2002 der Missbrauchsbeauftragte war.

    Ich meinte dann, man kann sich wohl schlecht bei seinem eigenen Täter als Opfer melden. Ich fand, ohnmächtiger kann man sich gegenüber der Kirche kaum fühlen. Ich hab damals sogar versucht, so eine Hotline in einem anderen Bistum anzurufen, in Freiburg. Aber da gab es nur den bürokratischen Hinweis, ich möge doch jemand in meinem Heimatbistum ansprechen. Da wusste ich nicht weiter.

    Wie geht es Ihnen nun nach der Veröffentlichung ihrer Geschichte im „Spiegel“?

    Wolf: Nun, nach der Veröffentlichung fühle ich mich befreit – es gibt aber auch Momente, in denen mich die Reaktionen und Meldungen des Bistums verletzen. Der Weg, in die Öffentlichkeit zu gehen, war nicht einfach, aber die Kirche möchte am liebsten immer alles verschwiegen regeln, das funktioniert nicht. Geholfen hat mir aber auch die Zusammenarbeit mit einem bei diesem Thema erfahrenen ,Spiegel‘-Redakteur, Peter Wensierski, der die Geschichte recherchiert und aufgeschrieben hat. Es ist wichtig, dass die Medien in Deutschland nicht aufhören, sich für Missbrauch und uns Betroffene zu interessieren. Es betrifft ja doch so viele Menschen.

    Was enttäuscht Sie vor allem an der kirchlichen Aufarbeitung Ihres Falles?

    Wolf: Für mich ist es keine kirchliche Aufarbeitung, was das Bistum Würzburg in meinem Fall gemacht hat. Es ist nur ein Versuch, den Beschuldigten und das Ansehen der eigenen Institution mit allen Mitteln zu schützen. Opferschutz, seelischen Beistand, Anerkennung von Leid, finanzielle Hilfe für Therapien habe ich als Opfer nicht gefunden. Echte Aufarbeitung würde für mich Unbefangenheit, Transparenz, Wahrheitsliebe und Gerechtigkeit bedeuten und nicht Abwehr. Sie müsste vor allem unter dem Stern christlicher Barmherzigkeit für Hilfesuchende stattfinden. Ich habe vom Bistum Würzburg das Gegenteil erlebt und daher mein Vertrauen verloren. Jetzt fühle ich mich von der Kirche wie erneut missbraucht.

    Was raten Sie aufgrund Ihrer Erfahrungen anderen Missbrauchsopfern?

    Wolf: Bei der momentanen Praxis würde ich jedem Opfer abraten, auf diese Institution zu hoffen. Stattdessen würde ich raten: Macht die Taten öffentlich, schreit sie heraus und schließt euch zusammen – nicht nur gegen Täter, sondern gegen ihre Helfer, die Vertuscher in den Institutionen, übrigens nicht nur in den Kirchen.

    Ein Gesprächsangebot mit Generalvikar Thomas Keßler besteht noch, heißt es. Nehmen Sie es an?

    Wolf: Es wurde mir ein Gesprächsangebot von Seiten des Bistums Würzburg erst gemacht als die kirchliche Akte geschlossen war. In einer meiner ersten E-Mails an den Bischof Hofmann bitte ich ihn um seelsorgerlichen Beistand für meine betroffene Familie und mich, so wie es die bischöflichen Leitlinien vorsehen. Bischof Hofmann hat 2010 versprochen, den Kontakt und die Hilfe für Missbrauchsopfer in den Mittelpunkt zu stellen. Er hat all die Monate geschwiegen, statt seiner ureigensten Berufung nachzukommen. Ich bin durch dieses Schweigen von einem Geistlichen tief verletzt und mit meinem Trauma, dass mir der Beschuldigte Priester zufügte, bis heute alleine gelassen. Der innere Schaden ist inzwischen so immens groß, dass ich mir im Moment nicht vorstellen kann, ein sinnvolles Gespräch zu führen, solange ich nicht das geringste Zeichen einer Entschuldigung für das mir zugefügte Unrecht bekomme.

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