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Leitartikel: Wie lange hält der Hype um Martin Schulz an?

Leitartikel

Wie lange hält der Hype um Martin Schulz an?

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    Sigmar Gabriel (rechts) machte den Weg frei für Martin Schulz.
    Sigmar Gabriel (rechts) machte den Weg frei für Martin Schulz. Foto: Kay Nietfeld (dpa)

    Der SPD ist das erstaunlichste politische Comeback der jüngeren deutschen Geschichte gelungen. Die alte, in Resignation versunkene Volkspartei, die bereits wie die sichere Verliererin der Bundestagswahl im Herbst aussah, ist wie einst Lazarus von den Toten auferstanden und liegt in den Umfragen plötzlich gleichauf mit der CDU/CSU. Was eben noch völlig unwahrscheinlich schien, ist nun im Bereich des Möglichen: eine Niederlage Angela Merkels, ein Machtwechsel im Kanzleramt.

    Martin Schulz ist binnen sechs Wochen gelungen, woran tüchtige Sozialdemokraten wie Gabriel, Steinmeier und Steinbrück ein Jahrzehnt lang gescheitert sind. Der aus dem Raumschiff Brüssel eingeflogene Kanzlerkandidat hat den scheinbar uneinholbaren Vorsprung der Union im Handumdrehen wettgemacht und der SPD eine realistische Machtoption eröffnet. Was Wunder, dass die Partei ihm zu Füßen liegt und begeistert feiert, was die Männerfreunde Schulz und Gabriel unter sich ausgekartet haben: Die ganze Macht für Schulz – und den Außenministerposten für Gabriel, der geräuschlos Platz macht und zum Dank dafür auf eine Fortsetzung seiner Karriere über 2017 hinaus hoffen darf.

    Die SPD war nie weg vom Fenster

    Die im Rekordtempo geglückte Wiederbelebung einer verzagten Partei mag wundersam erscheinen – ein unerklärbares „Wunder“ ist es nicht. Die SPD war ja nie weg vom Fenster. Sie hat ihre Position in den Ländern behauptet und ihre Handschrift in die Große Koalition eingebracht. Ihr Wählerpotenzial im Bund lag und liegt konstant bei 30 Prozent plus. Die Voraussagen über den unaufhaltsamen Niedergang der SPD waren Unfug. Die SPD ist einfach wiederholt unter Wert geschlagen worden, weil sie mit sich selbst beschäftigt war und niemanden zur Hand hatte, der Angela Merkel Paroli bieten konnte. Es bedurfte eines Kicks von außen, um die Erstarrung zu lösen und der Partei neuen Mut einzuflößen.

    Martin Schulz hat diesen Anstoß geliefert. Der Mann hat die Gabe, Menschen unmittelbar anzusprechen. Seine Erzählung von einem Land, in dem es endlich gerechter zugehen müsse, findet Gehör. Er wirkt, wie es so schön heißt, „authentisch“ – obwohl er zu jenen Eliten zählt, die er sich nun im Stile eines Populisten gerne zur Brust nimmt. Er holt zur Linken und zu den Grünen abgewanderte Wähler zurück. Schulz ist ein Mann, der Angela Merkel gefährlich werden kann. Weil er nach zwölf Merkel-Jahren etwas „Neues“ verkörpert, gekonnt mit den Abstiegsängsten in der Mitte der Gesellschaft spielt und – das Geheimnis jeden Wahlerfolgs – sowohl die eigene Partei als auch Wähler mobilisiert.

    Was heißt "mehr soziale Gerechtigkeit"?

    Wie weit der momentane Schulz-Hype trägt, wird sich demnächst bei drei Landtagswahlen erweisen. Noch ist ja keine gegen Merkel gerichtete, verfestigte Wechselstimmung spürbar. Noch hat Schulz leichtes Spiel mit einer Union, die im Schockzustand nach einer Gegenstrategie sucht. Noch hat es die Kanzlerin, die als Garantin von Sicherheit und Stabilität in unsicheren Zeiten gilt, in der Hand, den Aufstieg von Schulz zu bremsen.

    Man weiß inzwischen, dass Schulz einen Teil der bahnbrechenden Schröder’schen Reformen rückabwickeln und noch mehr Geld für soziale Transferleistungen lockermachen will. Der Aufbruch, den er verheißt, wirkt seltsam rückwärtsgewandt. Antworten auf andere, noch drängendere Fragen stehen aus. Wie hält es Schulz mit der Sicherheits-, Einwanderungs- oder Euro-Politik? Was genau verbirgt sich hinter der populären Formel von „mehr sozialer Gerechtigkeit“? Und ist Schulz, wofür vieles spricht, tatsächlich auf eine rot-rot-grüne Regierung aus? Schulz hat einen tollen Lauf – am Ziel ist er noch lange nicht.

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