Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Ökostrom-Skandal: Verbraucher zahlen für Strom, den es gar nicht gibt

Ökostrom-Skandal

Verbraucher zahlen für Strom, den es gar nicht gibt

    • |
    Klimafreundlicher Ökostrom wird im Wert von Hunderten Millionen Euro vergeudet - die Stromverbraucher bezahlen ihn trotzdem.
    Klimafreundlicher Ökostrom wird im Wert von Hunderten Millionen Euro vergeudet - die Stromverbraucher bezahlen ihn trotzdem. Foto: Adobe Stock (Illustration)

    Während im polnischen Kattowitz derzeit auf der UN-Konferenz die Staaten um mehr Klimaschutz ringen, gehen in Deutschland Jahr für Jahr große Mengen Ökostrom verloren. Dafür verbraucht Deutschland mehr klimaschädliche Braunkohle als China und Russland. Doch die Netze reichen häufig nicht aus, um die grüne Elektrizität abzutransportieren, wenn zum Beispiel an der Küste der Wind kräftig bläst.

    Die Anlagen werden dann abgeschaltet. Und nicht nur das: Viele Windräder auf See sind noch nicht angebunden – oder es gibt bestehende Leitungen aber keine Offshore-Windparks in Betrieb. Was viele nicht wissen: Die Kosten dafür steigen von Jahr zu Jahr.

    Kosten für Entschädigungen steigen um 60 Prozent

    Das ist teuer für Verbraucher: Sie zahlen für den Strom mit, den es nicht gibt, weil die Anlagenbetreiber ein Recht auf Entschädigung haben. „Es werden auch im Jahr 2018 Entschädigungszahlungen von Netzbetreibern an die Erneuerbaren-Energie-Anlagenbetreiber erwartet“, sagt ein Sprecher der Bundesnetzagentur unserer Redaktion. Nach Angaben der Behörde stiegen die entsprechenden Ansprüche der Anlagenbetreiber allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres um über 60 Prozent.

    Im Vergleich zum ersten Quartal 2017 kletterten die Entschädigungsansprüche laut Bundesnetzagentur von 142 Millionen Euro auf 228 Millionen Euro, weil vor allem bei kräftigen Küstenwinden die Netzkapazität nicht für den produzierten Ökostrom  ausreichte. Bereits in den vergangenen Jahren waren die Entschädigungsansprüche stark in die Höhe gewachsen: Im Jahr 2017 waren es laut Bundesnetzagentur 610 Millionen Euro, im Jahr zuvor waren es noch 373 Millionen Euro.

    Grünen-Chefin Barbock: Klimaschädlicher Kohlestrom verstopft die Netze

    Rund 95 Prozent der Entschädigungsansprüche haben Windkraft-Betreiber, der Rest ist für Fotovoltaik oder Strom aus Biomasse. Und auch wenn das Problem geringer geworden ist: Noch immer werden Millionen eingeplant, weil Windräder auf See noch gar nicht angebunden sind – oder umgekehrt zu bestehenden Leitungen die Offshore-Windparks fehlen. Für das Jahr 2019 sind 144 Millionen Euro veranschlagt - die Summe liegt um 25 Prozent höher als in diesem Jahr.

    Die Grünen kritisieren diese Situation scharf: „Erneuerbarer Strom darf nicht ungenutzt verschwendet werden, weil klimaschädlicher Kohlestrom die Netze verstopft“, sagte Parteivorsitzende Annalena Baerbock unserer Redaktion. Deshalb und zur Erreichung der Pariser Klimaziele brauche es den Kohleausstieg und einen raschen Netzausbau zugunsten der erneuerbaren Energien.

    Keine kurzfristige Verbesserung in Sicht

    Denn dass sich die Situation kurzfristig ändert, ist nicht in Sicht. Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres entstanden der Bundesnetzagentur zufolge Kosten von 228 Millionen Euro, um Grünstrom-Erzeuger zu entschädigen, die wegen Netzengpässen nicht einspeisen konnten. Im ersten Quartal 2017 waren es erst 142 Millionen Euro.

    Bei der Bundesnetzagentur sieht man vor allem einen Weg, um die Situation zu verbessern: „Der Netzausbau muss insgesamt aufholen, um mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien Schritt zu halten“, sagte ein Sprecher. Ähnlich denkt man bei den Grünen: „Leistungsfähige Stromnetze sind für eine erfolgreiche Energiewende und die Klimaziele unabdingbar“, sagte Baerbock. Dazu gehöre der zügige Bau der bereits beschlossenen Leitungen, die den Transport von Windstrom vom Norden in den Süden Deutschlands sicherstellen. Bekannt ist, dass auch Bayern hier gebremst hat und darauf pochte, Leitungen unter die Erde zu legen.

    Überschüssiger Strom könnte anders verwendet werden 

    Die Grünen-Chefin fordert nun mehr Tempo. „Das Problem ist, dass die Bundesregierung bisher viel zu wenig getan hat, um den Netzausbau voranzutreiben“, kritisiert Baerbock. „Der geplante Gesetzentwurf zur Beschleunigung des Netzausbaus ist überfällig. Die meisten Maßnahmen hätten schon vor Jahren umgesetzt werden können.“

    Der Bundesverband Windenergie fordert zudem, erneuerbaren Strom stärker für die Mobilität oder die Wärme- und Kälteerzeugung zu nutzen. Dies wären wichtige Beiträge, „um die Kosten zu begrenzen“, sagte Geschäftsführer Wolfram Axthelm. Auch die Grünen pochen darauf, grünen Strom nicht einfach abzuregeln: „Es braucht alternative Verwendungsmöglichkeiten für den Ökostrom“, sagt Baerbock. Ob zum Heizen oder im Verkehrsbereich – technische Möglichkeiten existierten genug.

    Deutschland rutscht im Klima-Index hinter Rumänien

    Baerbock zufolge bleiben solche Techniken fast ungenutzt: „Die Bundesregierung verschläft es, die alternative Nutzung des Grünstroms für die Produzenten wirtschaftlich attraktiv zu gestalten.“

    Recht gibt ihr das neue Ranking internationaler Umweltorganisationen. Deutschland ist hier abgerutscht: Im Klimaschutz-Index liegt die Bundesrepublik nur noch auf Rang 27 – hinter Ländern wie Rumänien oder Indien.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden