Startseite
Icon Pfeil nach unten
Augsburg
Icon Pfeil nach unten
Feuilleton regional
Icon Pfeil nach unten

Literaturgeschichte: Was Bertolt Brecht an Leonardo da Vinci gefiel

Literaturgeschichte

Was Bertolt Brecht an Leonardo da Vinci gefiel

    • |
    Was Bertolt Brecht an Leonardo da Vinci gefiel
    Was Bertolt Brecht an Leonardo da Vinci gefiel

    Dass er Vegetarier und überdies ein Frauenfeind war, ist für Brechts Interesse an Leonardo da Vinci sicherlich nicht ausschlaggebend gewesen. Auch fällt der Name des italienischen Meisters in den Texten Brechts zwischen 1918 und den 1950er Jahren relativ selten, und doch spricht vieles dafür, dass er hier einen Verwandten im Geist gefunden hat, der ihn bis zuletzt fasziniert hat. Der gerade einmal Zwanzigjährige bekennt sich gegenüber Caspar Neher, um dessen Überleben im Ersten Weltkrieg er sich sorgte, eine große Sympathie für Leonardo, „den ich sehr liebe und der sehr viel geschrieben hat. Der tat nie etwas umsonst.“ Vermutlich hat Brecht wie viele andere seiner Generation für dieses Wissen auf zwei Schriften zurückgegriffen, die von Marie Herzfeld betreut worden waren, zum einen der Band – er ist noch in Brechts Bibliothek erhalten – über „Leonardo da Vinci. Der Denker, Forscher und Poet“ von 1906, vielleicht auch auf den „Traktat über die Malerei“. Außerdem findet sich ein Bildband in seiner nachgelassenen Bibliothek.

    Da Vincis Unerschöpflichkeit muss Brecht fasziniert haben

    In Leonardo konnte Brecht auf vielfache Weise einen Bundesgenossen erkennen. Hier war zum einen eine Nähe von Kunst und Wissenschaft gegeben, die Brecht für seine eigene Konzeption des eingreifenden Denkens und Schreibens für unverzichtbar hielt; des Weiteren hat Leonardo auf seine Weise eine mutige Subversion des von den Auftraggebern erwarteten Weltbildes geboten, er bestätigte in seinen Werken, auch mit einem religiösen Sujet, keineswegs die christliche Botschaft, sondern riskierte immer wieder, zum Beispiel im „Heiligen Johannes“ aus dem Louvre, eine Art „Mythenkontrafaktur“, wie sie Brecht im Umgang mit den mythischen Stoffen der Antike geliebt hat.

    Leonardos Heiliger ist nicht der von Askese Gezeichnete, sondern ein kräftig gebauter junger Mann, der in seiner betonten Diesseitigkeit so viel Anstoß erregte, dass eine weitere Fassung des Täufers später übermalt und zu einer Bacchus-Figur stilisiert wurde. Leonardos christliches Bekenntnis erweist sich als offensichtlich fadenscheinig.

    Am 2. Mai jährt sich Leonardo da Vincis Todestag zum 500. Mal.
    Am 2. Mai jährt sich Leonardo da Vincis Todestag zum 500. Mal. Foto: dpa

    Technische Zeichnungen von Leonardo hat Brecht für das Bühnenbild des amerikanischen Galilei mit Charles Laughton herangezogen, und in noch späteren Jahren, bei seiner Inszenierung des „Urfaust“ in Berlin, hat er Leonardo als eine Gegenfigur zu der Unlösbarkeit von Fausts Konflikt herangezogen, wie Manfred Wekwerth berichtet: Während Faust sich für die Verwirklichung seiner „pantheistisch-humanistischen Ideale in die Fänge des Teufels begeben müsse, sich also auf der Suche nach anderen gesellschaftlichen Werten <…> zunächst eine Verneinung aller“ ergebe, könne Leonardos Weg als Ausweg gelten: „Er überprüfte die Richtigkeit seiner Gedanken, indem er Maschinen baute.“

    Man kann davon ausgehen, dass es gerade die Unerschöpflichkeit von Leonardos Zeichnungen war, seine technische und medizinische, seine naturwissenschaftliche Neugierde, die Brecht als eine Affinität zu seiner eigenen Weltanschauung wahrgenommen und geschätzt hat, wenn besonders der Kreislauf der Natur, von Zeugung und Vernichtung, den Menschen umgreift und die Dimension der Transzendenz ausschließt. Immer wieder hat man die Erbarmungslosigkeit der Fantasie beschrieben, mit der Leonardo Szenarien von Naturkatastrophen studiert und festgehalten hat, aus denen kein Mitleid und kein Ausweg durch eine höhere Hand ersichtlich wird. Als Vegetarier hat er sich selbst diesem Weg von Essen und Gegessenwerden entzogen.

    Leonardo da Vinci tat nie etwas umsonst

    Wie kaum ein anderer Künstler hat er indes das Zeigen in seinen Bildern zum Motiv erhoben, die nach oben weisende Hand oder der einzelne Zeigefinger (u. a. im Johannes-Bild) sind für einen Autor, der das Gestische zu einem Grundprinzip seiner Ästhetik gemacht hat, zu einem wichtigen Impuls geworden. Dass gerade das Zeigen selbst gezeigt werden muss, hat Brecht dann in einem späten Gedichtentwurf zum Thema gemacht.

    Vor allem aber: Der tat nie etwas umsonst. Was biografisch als Schlafminimierung bei Leonardo bezeugt wird und sich in seinen Einfällen manifestiert, dass etwa der Anblick einer Mauer und ihrer Maserung schon als Ausgangspunkt künstlerischer Fantasie von Landschaften und Figuren gelten kann, muss auf Brecht elektrisierend gewirkt haben: Wie er selbst hat Leonardo sozusagen aus allem, was er mit dem „Auge der Welt“ (Volker Reinhardt) wahrgenommen hat, etwas gemacht. Es gab keinen Fleck der Unkreativität. Dieses Prinzip einer enormen Materialverwertung hat Brecht, der Leser und Beobachter, auf seine Weise umgesetzt, – auch aus der nur knapp dokumentierbaren Begegnung mit Leonardo hat er eine Art Geistesverwandtschaft gewonnen, die Leonardo, den Verächter des Wortes, des Humanismus, nicht zuletzt als einen Intellektuellen des dialektischen epischen Theaters erkennbar werden lässt.

    Aus den frühen 1950er Jahren gibt es den Brief der Deutschen Akademie der Künste an Brecht, in dem um die Zahlung von 12 DM gebeten wird, für die Übersendung von immerhin „4 Leonardo-Festschriften“, die aus Anlass seines 500. Geburtstages erschienen waren, zum Teil mit zahlreichen Abbildungen. Bezug genommen wird auf „das Telefongespräch vom 18. d. Mts.“ – das sich natürlich unserer Kenntnis entzieht. Auch wenn die Spuren der Faszination somit fast „verwischt“ scheinen, sie sind gleichwohl deutlich genug.

    Zur Person: Mathias Mayer ist Lehrstuhlinhaber für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Augsburg

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden