Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Kommentar: Warum wir Querköpfe wie Kühnert und Palmer brauchen

Kommentar

Warum wir Querköpfe wie Kühnert und Palmer brauchen

Margit Hufnagel
    • |
    Boris Palmer (Bündnis 90/Die Grünen), Oberbürgermeister der Stadt Tübingen, ist einer der provokantesten deutschen Politiker.
    Boris Palmer (Bündnis 90/Die Grünen), Oberbürgermeister der Stadt Tübingen, ist einer der provokantesten deutschen Politiker. Foto: Sebastian Gollnow

    Wer den grünen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, nach seinem Tübinger Parteifreund Boris Palmer fragt, blickt erst einmal auf eine Stirn voller Furchen. Minutenlanges Schweigen. Dann sagt er einen Satz, der ohne Übertreibung als philosophisches Manifest bezeichnet werden kann: „Palmer ist halt der Palmer und macht halt so Sachen.“ Palmer sucht die Provokation und findet sie an jeder Straßenecke.

    Mal ist es die Bahn-Werbung, mal der Erziehungsstil einer Migrantenfamilie, mal ein aufmüpfiger Student. Der Grüne treibt mit seinen öffentlichen Tadeln nicht nur den Seinen regelmäßig die Zornesröte ins Gesicht. Die Republik schäumt. Sie könnte es auch lassen. Denn: Der Palmer macht halt so Sachen. Und das ist auch gut so.

    Zu populistisch, zu sozialistisch, zu sehr Macho

    Boris Palmer, Kevin Kühnert, vielleicht noch Wolfgang Kubicki. Der eine ist zu populistisch, der andere zu sozialistisch, der andere ein ewiger Macho. Die politischen Querköpfe, die nicht ins aktuelle Korsett der breiten Masse passen, lassen sich inzwischen an einer Hand abzählen. Dabei kann Deutschland froh sein, dass es sie hat. Es mag eine schlechte Idee sein, sie in höchste Staatsämter zu wählen, doch in ihrer Rolle als manchmal auch schrille Störenfriede haben sie eine reinigende Funktion.

    Parteien müssen ihre eigene Politik immer wieder infrage stellen, Gesellschaften ihren Konsens überprüfen. Und dazu braucht es Menschen, die uns dazu zwingen, unsere Haltung zu rechtfertigen und zu erklären. Erst wenn es Menschen gibt, die quer zur gängigen Meinung stehen, werden wir zu diesem mühevollen Handeln gezwungen. Stromlinienförmige Politik mag bequem sein, gut ist sie deshalb noch lange nicht. Und so lange die Wortmeldungen der Krawallnudeln nicht in dumpfe Parolen ausarten oder bewusst verletzen, müssen wir die Querschüsse aushalten. Wer hat denn behauptet, dass Demokratie nicht auch mal nervt? Ganz ehrlich: das ständige Sich-gegenseitig-auf-die-Schulter-klopfen führt doch am Ende auch nur zu Verspannungen. Und da kann so eine Gefühlswallung, wie sie Palmer oder Kühnert auslösen, durchaus befreiend wirken. Politische Willensbildung erfolgt durch Diskussionen – und die lösen ein Boris Palmer und ein Kevin Kühnert (so unterschiedlich sie auch sind) durchaus aus.

    Wer, wenn nicht ein Jusos-Chef, soll von einem System jenseits des Kapitalismus träumen dürfen? Hat nicht auch die soziale Marktwirtschaft dem eigenen Missbrauch immer wieder zugeschaut? Wer, wenn nicht ein Oberbürgermeister, soll sich zum letzten Sheriff stilisieren dürfen? Hat nicht er durch den engen Kontakt zu Menschen und ihren Problemen den besten Blick auf unsere Gesellschaft? Selbst wenn es bisweilen grober Unfug ist, den diese „bad boys“ da verzapfen – und das ist es immer wieder –, eine Demokratie, die Störenfriede nicht aushält, ist keine.

    Die Grenze verläuft dort, wo andere verletzt und ausgegrenzt werden

    Und doch gibt es Grenzen. Gefährlich wird es dann, wenn der Querkopf sich für den einzig wahren Propheten der „mutigen Wahrheit“ sieht. Wenn der Widerspruch nur noch aus egozentrischen Kränkungen und radikalen Einwürfen besteht. Männer wie Palmer, Kühnert und Kubicki müssen der bisweilen arg selbstverliebt wirkenden Neigung widerstehen, zu stören um des Störens willen. Sie dürfen ihre Botschaften nicht wie Giftpfeile in die Menge schießen, das wäre gefährlicher Populismus. Dann unterscheiden sie sich irgendwann nicht mehr von Parteien wie der AfD und bereiten Politikertypen wie Donald Trump den Boden. Politik darf unbequem sein, doch zuallererst muss sie nach Lösungen suchen und nicht nur gehässig auf Probleme deuten.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden