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Industrie: Welche Rolle spielt ZF Friedrichshafen im Abgas-Skandal?

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Welche Rolle spielt ZF Friedrichshafen im Abgas-Skandal?

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    ZF Friedrichshafen stellt Getriebe, Lenkungen und Sensoren her. Das Unternehmen ist der zweitgrößte Automobilzulieferer der Welt.
    ZF Friedrichshafen stellt Getriebe, Lenkungen und Sensoren her. Das Unternehmen ist der zweitgrößte Automobilzulieferer der Welt. Foto: Felix Kästle, dpa

    Eines wurmt die Getriebebauer von ZF Friedrichshafen seit Jahren gewaltig: Trotz ihrer ausgefeilten Getriebe, Lenkungen und Sensoren stehen sie immer nur in der zweiten Reihe. Im Rampenlicht glänzen die Autokonzerne, egal ob in Fernseh-Werbespots oder auf Messen, wo sie ihre Boliden mit viel Pomp in Szene setzen. Dem Unternehmen vom Bodensee – mit seinen 37 Milliarden Euro Umsatz im Jahr immerhin der zweitgrößte Automobilzulieferer der Welt – bleibt dabei oft nur das undankbare Büßerplätzchen weit abseits.

    An jenem 5. November 2016 dürfte man bei ZF allerdings mit Erleichterung zur Kenntnis genommen haben, dass wie so oft ein anderer im Fokus des öffentlichen Interesses stand. An diesem Tag verbreitete die Bild am Sonntag einen Artikel zu Abgas-Manipulationen beim Ingolstädter Autobauer Audi. Der Name ZF tauchte damals nicht in dem Beitrag auf, obwohl schon damals Anhaltspunkte existierten, dass auch der Friedrichshafener Konzern in die Abgas-Tricksereien involviert sein könnte. „Wir dachten, ZF fliegt die Sache jetzt um die Ohren“, sagt einer, der die Vorgänge mitverfolgte. Einzig: Es geschah nichts. Die Prügel steckte Audi ein.

    Was war geschehen? Die kalifornische Umweltbehörde Carb war im Sommer 2016 bei der Untersuchung großer Audi-Limousinen auf Abgaswerte gestoßen, die sich die US-Prüfingenieure nicht erklären konnten. Sie betrafen Sechszylinder-Motoren, sowohl Benziner als auch Diesel. Die CO2-Emissionen waren auffällig. Auf dem Prüfstand waren die Messdaten in Ordnung, im Normalbetrieb aber deutlich erhöht.

    Hat ZF Friedrichshafen beim Abgas-Schmu mitgeholfen?

    Die US-Tester forschten weiter und fanden bald eine alte Bekannte: Eine sogenannte Lenkwinkelerkennung, die offenbar zwischen 2013 und Mai 2016 in die Fahrzeuge eingebaut wurde. Die Software erfasst anhand des Ausschlags des Steuerrads, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand befindet, und fährt dann die Abgasreinigung hoch. Dieser Trick steht im Zentrum des bereits im Herbst 2015 aufgeflogenen VW-Dieselbetrugs um manipulierte Stickoxidwerte (NOx) bei kleinen Vierzylinder-Motoren.

    Für seine CO2-Schummeleien soll Audi diese sogenannte Abschalteinrichtung weiterentwickelt haben. Das Pikante: Anders als bislang nutzte man offenbar direkt das Getriebe, um die Abgaswerte zu manipulieren. Demnach aktiviert eine Software einen Sparmodus in der Schaltbox, der die Gänge unnatürlich früh einlegt und die CO2-Emissionen empfindlich senkt, sobald das Auto auf dem Prüfstand getestet wird. Damit einher gehen deutlich niedrigere Verbrauchswerte, als vom Hersteller angegeben. Erfreulicher Nebeneffekt laut Test: Auch der Ausstoß gesundheitsgefährdender NOxe sinkt durch den Trick mit dem Getriebe erheblich. Der Lieferant des Getriebes ist ZF.

    Neben Audi rückten daher auch die Friedrichshafener ins Interesse von US-Verbraucherrechtsanwälten. Der Vorwurf: Mithilfe beim Abgas-Schmu. In mehreren Sammelklagen, die erst vor einem kalifornischen Gericht in San Francisco eingereicht und später gebündelt wurden, sind die Friedrichshafener zwar nicht direkt beklagt, werden aber genannt oder als sogenannter „Co-Conspirator“ geführt.

    In einem 520 Seiten starken Papier der US-Kanzlei Lieff Cabraser Heimann & Bernstein, das unserer Zeitung vorliegt, wird ZF beispielsweise vorgeworfen, „direkt oder indirekt“ in den Abgasskandal verwickelt zu sein. ZF habe die betreffenden Achtgang-Automatikgetriebe entwickelt, geliefert und insbesondere deren Steuerung designt.

    Die Absprachen zwischen Audi und ZF sollen eng gewesen sein

    Die Tricksereien von Audi seien, so die Kläger-Anwälte, in enger Abstimmung mit Bosch, aber auch mit Zulieferern wie ZF geschehen. Bosch wird in der Sammelklage neben Audi ebenfalls als Beklagter geführt. Zusammen mit Continental und dem Berliner Ingenieursdienstleister IAV, die wie ZF als „Co-Conspirator“ bezeichnet werden, habe man nach Ansicht der Kläger eine Art Betrugs-Kartell gebildet, um „Behörden und Kunden zu täuschen“ und die eigenen Erlöse zu maximieren.

    Aus Sicht von Experten sind die bislang noch nicht juristisch belegten Vorwürfe gegen ZF technisch effektiv. Unabhängig vom vorliegenden Fall lasse sich mit „einer verbrauchsoptimierten Getriebestrategie durch eine Wahl hoher Gänge, niedrigen Drehzahlen und wenig Leistungsreserve, also einem sehr trägen Fahrverhalten der Kraftstoffverbrauch spürbar senken“, sagt etwa Thomas Koch, Leiter des Instituts für Kolbenmaschinen am Karlsruher KIT.

    Von ZF heißt es, man sei „in dieser Klage weder als Beklagte geführt noch benannt“. Auch seien dem Unternehmen „keine behördlichen Untersuchungen zu dieser Thematik gegen ZF“ bekannt. Ansonsten verweist man auf den aktuellen Geschäftsbericht. Dort ist von einer in den USA anhängigen „Klage gegen mehrere Unternehmen aus der Automobilindustrie“ die Rede. In dieser werde ZF zwar genannt, sei aber nicht beklagt.

    50 Mitarbeiter von ZF Friedrichshafen wurden verwarnt

    Alles nicht so wild also? Nach Recherchen des Südkurier hat der Vorgang zumindest hinter den Kulissen für erhebliche Unruhe gesorgt. Intern werde die Angelegenheit bereits seit dem Jahr 2015 – also deutlich vor dem öffentlichen Bekanntwerden der Vorwürfe – von einer Taskforce untersucht, sagte eine mit den Vorgängen bei ZF vertraute Person. In der Spitze sollen bis zu 25 Rechercheure den Konzern auf den Kopf gestellt haben. Im Interviewstil hätten die US-Anwälte die beteiligten Ingenieure befragt, heißt es. Zu den Ergebnissen schweigt ZF. Nach Informationen dieser Redaktion sind in der Folge allerdings fast 50 Mitarbeiter verwarnt, abgemahnt oder versetzt worden. Von vier Mitarbeitern habe man sich demnach getrennt.

    Für ZF könnte sich die Angelegenheit erheblich auswachsen. Wenn der Vorwurf der „Co-Conspiration“, also der Mitverschwörung, mit den Beklagten nachgewiesen werde, komme „eine Verurteilung zu Schadensersatz und Strafschadensersatz in Betracht“, sagt der Freiburger Zivilrechtler Alexander Bruns. Denkbar wäre auch die Einbeziehung ZFs in einen Vergleich. Generell habe es in den USA in der Vergangenheit „eine ganze Reihe vergleichbarer Fälle in Produkthaftungssachen gegeben, die teilweise mit hohen Schadenersatz- und -Strafschadenersatzsummen ausgegangen seien, sagt der Experte für internationale Fälle. Lene Kohl, Verbraucherrechtsanwältin bei Hausfeld in Berlin, hält je nach Verfahrensverlauf auch Regressforderungen von Audi gegenüber ZF für „nicht ausgeschlossen“.

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