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Corona-Pandemie: Die neue Gemeinschaft: Unsere Serie zur Zukunft nach Corona

Corona-Pandemie

Die neue Gemeinschaft: Unsere Serie zur Zukunft nach Corona

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    Im Dezember wurde die Fassade von Schloss Bellevue in Berlin mit einer künstlerischen Lichtprojektion angestrahlt, bei der Botschaften gezeigt wurden, die Menschen aus ganz Deutschland eingeschickt haben.
    Im Dezember wurde die Fassade von Schloss Bellevue in Berlin mit einer künstlerischen Lichtprojektion angestrahlt, bei der Botschaften gezeigt wurden, die Menschen aus ganz Deutschland eingeschickt haben. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa (Symbolbild)

    Corona war ein Schock für diese Gesellschaft, für jeden von uns, für die ganze Welt – Corona ist aber auch eine Chance, weil die Pandemie und ihre Folgen einen Ausblick ermöglichen auf eine andere, veränderte Welt, auf einen anderen Umgang mit einander und mit der Natur, weil sich etwas öffnet, ein Blick nach vorne, oft aus Notwendigkeit oder auch Not heraus: Veränderung ist unumgänglich, sie ist aber auch möglich.

    Wie viele Menschen haben ihr Verhalten auf eine Art und Weise verändert, die vor ein paar Monaten noch undenkbar gewesen wäre. Wie viele alte Gewissheiten wurden erschüttert, wie viel Neues ist dabei aber auch sichtbar geworden. Wie viel hat sich im Handeln und vor allem im Denken schon verschoben – was sich gezeigt hat, ist eine Art pandemisches Denken, ein Denken der Adaption und Innovation, ein Denken des Experimentierens, des Lernens und Reagierens, ein Denken auch, das die Enge des Augenblicks überwindet.

    Die Corona-Pandemie ist eine systemische Krise

    Wichtig ist zu verstehen: Diese Pandemie ist mehr als eine Erscheinung, die vorübergeht. Masken werden wieder verschwinden, nicht aber die Gründe für die Pandemie. Corona ist nicht allein eine Krankheit, die einzelne Menschen befällt und zum Teil tragischer Weise auch tötet; Corona ist eine systemische Krise über die Fragen der individuellen Gesundheit hinaus – denn die Gründe reichen tief und betreffen die wesentlichen Grundlagen, wie wir in den vergangenen 250 Jahren Wirtschaft und Politik organisiert haben.

    Corona, und das ist erstmal die schlechte Nachricht, ist der Beginn von weiteren Pandemien und Krisen dieser und anderer Art, wie sie das 21. Jahrhundert prägen werden – im Zentrum steht dabei der menschengemachte Klimawandel, die Gründe und die Folgen. Corona aber, und das ist die gute Nachricht, zeigt mit schonungsloser Klarheit die Verbindungen dieser Krisen, Corona zeigt die Verletzlichkeit unserer Gesellschaften, Corona zeigt die Grenzen unserer Vorstellung von Wachstum, Freiheit, Autonomie.

    Corona könnte also, wenn wir es richtig anstellen, ein Anfang sein für etwas Neues – getragen von der Einsicht, dass wir alle verbunden sind, in dieser Zeit und über diese Zeit hinaus, denn die Folgen unseres Handelns werden alle Generationen betreffen, die nach uns kommen: Ein existentielles Verständnis von Ökologie, das Netzwerk der Natur, dessen Teil wir Menschen sind. Wir sind nicht außerhalb – und deshalb müssen wir uns als Menschen und jeder für sich so verhalten, dass das System, dass das Ganze überlebt.

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    Foto: Zhang Yuwei/XinHua, dpa

    Die Bedeutung von Pflege und Solidarität hat sich durch die Corona-Pandemie gezeigt

    Aus dieser Erkenntnis nun ergeben sich ein paar sehr grundsätzliche Fragen: Wie können wir etwa Freiheit und Verantwortung zusammen denken und damit den reduktionistischen Freiheitsbegriff überwinden, der Wirtschaft und Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten geprägt hat? Wie können wir darauf aufbauend das Gemeinsame, das Kollektive so denken und stärken, dass daraus eine Gesellschaft entsteht, in der jede und jeder auf seine Art wachsen und gedeihen kann? Vor allem aber: Wie können wir unsere Wirtschaft, unsere Ernährung, unsere Transportsysteme, unser Leben so einrichten, dass die Naturzerstörung aufhört?

    Die Pandemie hat hier schon mal ein paar Perspektiven eröffnet und die Richtung angezeigt: Die Bedeutung von Pflege etwa, die Solidarität untereinander, die Sorge füreinander, Rücksicht, Empathie, eine Verlangsamung des Lebens und eine Genauigkeit für das Alltägliche.

    Die Pandemie hat gleichzeitig auch die gravierenden Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft selbst für die entlarvt, die sie bislang nicht sehen wollten: Die Verarmung und Vereinsamung, die Sorge um Arbeit und Existenz, eine veraltete Infrastruktur des Lernens und des Lenkens, also Verkehr, der fossil funktioniert, Energie- und andere Konzerne, die eher das Alte retten als das Neue ermöglichen wollen.

    Eine gemeinsame Serie von "The New Institute" und der Augsburger Allgemeinen

    Dabei entsteht in diesem Moment gerade das Bild eines anderen, besseren, gerechteren Lebens für viele, möglichst für alle: Was ist uns wichtig? Wie wollen wir leben, als Individuen und als Gemeinschaft? Was sind die Werte, auf die wir unser Gemeinwohl bauen? Diese Fragen beschäftigen „The New Institute“ in Hamburg – eine Plattform für die Gestaltung gesellschaftlichen Wandels und ein neuartiges Institute of Advanced Study, wo von Herbst 2021 an Menschen aus Akademie und Aktivismus, Kunst, Wirtschaft und Politik zusammenkommen und konstruktiv, lösungsorientiert, hoffnungsvoll an Antworten auf die großen Herausforderungen unserer Zeit arbeiten werden. Diese Fragen stehen auch im Zentrum dieser Serie, die Visionen einer Welt nach Corona aufzeigt – die von „The New Institute“ kuratiert wurden und nun gemeinsam mit der Augsburger Allgemeinen präsentiert werden.

    Georg Diez ist Chefredakteur von "The New Institute".
    Georg Diez ist Chefredakteur von "The New Institute". Foto: Jelka von Langen

    Neue Zeiten, und auch das ist ein Zeichen von Corona, erfordern neue Kollaborationen, eine Offenheit für Experimente, um aus dem Gegebenen Veränderung zu schaffen. Dazu gehört auch eine veränderte demokratische Öffentlichkeit mit dynamischen und selbstbewussten Medien auf nationaler, vor allem aber auf lokaler Ebene. Sie sind zentral für den Erhalt demokratischer Normen und Praxis.

    Denn das sind die Herausforderungen: Wie lässt sich eine demokratische Öffentlichkeit unter radikal anderen technologischen und ökonomischen Bedingungen herstellen?

    Welche Rolle spielen dabei die traditionellen Medien, welche Rolle spielt auch das Lokale – in einer Zeit, in der die drängenden Probleme, auch das war eine Lehre von Corona und verbindet die Pandemie mit dem Klimawandel, nur noch global gelöst werden können? Globales Denken, lokales Handeln, so kann man die Antwort auf diese Frage zusammenfassen, das Wort „glokal“ beschreibt diese Sichtweise des 21. Jahrhunderts sehr gut. Und auch das hat Corona gezeigt: Vertrauen ist die Grundlage der Demokratie, sie kann nur durch Klarheit und Transparenz geschaffen werden.

    Folgt auf die Corona-Pandemie ein Ende des neo-liberalen Zeitalters?

    Um die Veränderungen zu verstehen, die Corona mit sich bringt, haben wir Menschen gefragt, die über diesen Moment hinausdenken: Audrey Tang etwa, die Digialministerin Taiwans, die den eindrucksvollen Erfolg ihres Landes in der Pandemie unter anderem damit erklärt, dass die Gesellschaft so offen und experimentierfreudig ist, auch in Hinblick auf digitale Technologien.

    Oder Christoph Möllers, Professor für Verfassungsrecht an der Berliner Humboldt-Universität und Senior Advisor des „The New Institute", der den Unterschied zwischen individueller und kollektiver Freiheit erklärt. Oder die Philosophin Corine Pelluchon, die im Verständnis der eigenen Verletzlichkeit die Grundlage für eine andere Ethik sieht.

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    Foto: Dan Herrick/ZUMA Wire, dpa

    Entstanden ist dabei ein Bild, das multiperspektivisch, interdisziplinär, transsektoral ist: Andreas Malm beschreibt die direkte Verbindung zwischen Corona und Klimawandel, Evgeny Morozov analysiert die Rolle des Kapitalismus, Pankaj Mishra und Yuk Hui geben globale Sichtweisen auf den „Westen“ und den „Osten“, die Bedeutung von Kunst und Imagination reflektieren Esther Schipper und Geoff Mulgan, Unsicherheit und Trauer wiederum sind die Themen von Wilhelm Krull, Gründungsdirektor von „The New Institute“, und Eugen Baer, Senior Fellow dort – all diese Reflexionen verbindet der Gedanke, dass wir es in der Hand haben, die Welt auf einen anderen Kurs zu bringen, wenn wir nur gemeinsam handeln.

    Die Zukunft nach Corona hat längst begonnen

    Das ist es auch, was der Technologie-Autor Azeem Azhar mit dem Begriff „pandemic mindset“ meint, das Denken also, das durch und an Corona geschult ist – ein neues Verhältnis von Markt und Staat etwa, weil die Pandemie deutlich gezeigt hat, wie wenig der Markt dazu dient, auf Katastrophen konstruktiv zu reagieren.

    Ob das auch das Ende der neoliberalen Ära bedeutet, wie viele jetzt sagen, wird sich zeigen, auch an den Reaktionen auf die pandemische Herausforderung. Wie also bauen wir unsere Gesellschaften, unsere Wirtschaft wieder auf? Was sind die Prioritäten? Auf wen nehmen wir Rücksicht?

    Es ist wichtig, diese Diskussionen in aller Breite und Offenheit zu führen, es ist wichtig, hier die neuen Realitäten und auch neuen Allianzen zu benennen – weil nur so die Zukunft der Demokratie gesichert werden kann. Wir werden diese Demokratie verändern müssen, so wie Audrey Tang es andeutet, wir werden offener und flexibler werden müssen, um gesellschaftliche Stabilität zu bewahren, wie es Geoff Mulgan beschreibt. Kommunikation, und damit die Rolle der Medien, ist dabei zentral – auch sie wird sich verändern, verändert sich schon längst.

    Die Texte, die Sie in den kommenden Tagen lesen werden, sollen dazu beitragen: den Blick zu weiten, die Dimensionen zu umreißen, den Horizont zu bereisen. Auch wenn es schwerfällt, das zu sehen, in diesen Lockdown-Tagen der Enge, der Einsamkeit, des Eingeschlossenseins – die Zukunft hat längst begonnen, und wir sind Teil derer, die sie gestalten können. Corona bietet, wie jede Krise, die Möglichkeit zur grundsätzlichen Erneuerung.

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    The New Institute ist eine Neugründung in Hamburg, deren Ziel die Gestaltung gesellschaftlichen Wandels ist. Von Herbst 2021 an werden hier bis zu 35 Fellows aus Wissenschaft, Aktivismus, Kunst, Wirtschaft, Politik und Medien gemeinsam leben und an konkreten Lösungen für die drängenden Probleme in den Bereichen von Ökologie, Ökonomie und Demokratie arbeiten. Gründungsdirektor ist Wilhelm Krull, akademische Direktorin für den Bereich der ökonomischen Transformation ist Maja Göpel. The New Institute ist eine Initiative des Hamburger Unternehmers und Philanthropen Erck Rickmers.

    Alle bisher erschienenen Teile der Serie finden Sie auf unserer Übersichtsseite.

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